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„Es hat sich niemand gefunden, der in TINA investieren wollte“

Die ARD-Serie „Tina Mobil“ bekam den wichtigsten Fernsehpreis und wird von den Zuschauer*innen geliebt. Trotzdem wird sie nicht fortgesetzt. Ein Gespräch mit der Drehbuchautorin Laila Stieler über das Aus der Serie – und das ihres realen Vorbilds

Renommiertester Fernsehpreis, tolle Quote, begeisterte Zuschauer*innen – kack der Hund drauf! Das Leben einer Frau, die 47+ ist und nicht in einer Betonvilla mit Panoramascheiben und passend grauem Ehemann wohnt, ist einfach keine Fortsetzung wert.
Foto: rbb/ARD/X Filme Creative Pool GmbH/Stefan Erhard



Laila, Du hast mit „Tina Mobil“ eine großartige Geschichte einer Frau 47+ in die Welt gebracht. Vielen Dank dafür!
„Tina Mobil“ erzählt die Geschichte einer Frau Anfang, Mitte 50, die mit dem Bäckermobil durch Brandenburg fährt, um sich und ihre drei bald erwachsenen Kinder zu finanzieren – die Serie hat alle wichtigen Fernsehpreise gewonnen. War Dir klar, dass „Tina Mobil“ so erfolgreich sein würde?
Vielen Dank für die Komplimente. Die tun mir gerade gut, machen mich aber auch ein bisschen wehmütig. Und zu Deiner Frage: Ich versuche, mir beim Schreiben über mögliche spätere Erfolge oder Zuschauerzahlen keine Gedanken zu machen. Also, das ist mir nicht egal, aber ich blende es aus und konzentriere mich darauf, das zu schreiben, was mich selbst interessiert und inspiriert. Am Ende bin ich ja auch nur eine ganz normale Zuschauerin. Aber natürlich hoffe ich und wünsche ich mir, dass es möglichst vielen Leuten gefällt. Als ich bei Tina die ersten geschnittenen Folgen sah, hatte ich allerdings doch das Gefühl: Das wird gut.

Manchmal kommt es vor, dass die Kritiker*innen ein Format lieben, aber die Zuschauer*innen ausbleiben. Das ist bei „Tina Mobil“ nicht der Fall, oder?
In der Mediathek gab es unfassbar viele Kommentare. Über 400, glaub ich. Und in fast jedem zweiten Kommentar wurde gefragt, ob es eine Fortsetzung gibt. Da war ich sehr stolz. Es ist ja meine erste Serie. Auch gefreut hat mich das Zuschauerspektrum. Da waren Kollegen und Kolleginnen dabei, aber auch Menschen aus meinem Dorf, die mich auf der Straße oder am Bäckermobil, bei dem ich selbst kaufe, ansprachen. Alexander Hörbe, der in der Serie Tinas Ex-Mann spielt, wurde im Asia-Markt von der Verkäuferin angesprochen mit den Worten: Ach, da kommt ja der Herr Sanftleben.

Tolle Zuschauer- und Abrufquoten, große Fernsehpreise, trotzdem wird „Tina Mobil“ nicht fortgesetzt. Warum nicht?
Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich habe lediglich von meinem Produzenten erfahren, dass es nicht fortgesetzt wird, weil das Geld fehlt.

Du hattest die zweite Staffel bereits fertig, als die Absage kam, oder?
Ja. Gottseidank. Wäre die Absage gekommen, während ich noch mitten im Schreibprozess bin – das hätte mich richtig fertig gemacht. So konnte ich die zweite Staffel wenigstens abschließen. Auch innerlich. Diese Figuren leben ja mit mir, in mir. Und wenn sie nicht weiterleben dürfen, tut mir das weh. Das klingt vielleicht esoterisch oder versponnen, aber das ist ja meine Arbeit, mir etwas auszudenken, was dann eine eigene Realität wird.

Wie kommt es, dass man erst das Go für eine Fortsetzung bekommt, und dann wird doch nicht produziert?
Ich wusste, dass es riskant ist. Das wurde von Anfang an kommuniziert, dass wir womöglich nicht die Mittel zusammenkriegen. Ich wollte es trotzdem wagen. Ich dachte mir, wenn du nicht schreibst, dann wird es erst recht nicht stattfinden. So gibt es wenigstens eine Chance.

Es ist bekannt, dass der RBB, der „Tina Mobil“ produziert hat, sparen muss. Wurden andere Projekte auch abgesagt? Produziert der RBB gar nichts mehr?
Ich weiß es nicht genau. Ich höre traurige Dinge über den Sender, den ich wirklich ins Herz geschlossen habe. Aber da möchte ich nicht spekulieren.

Wenn der RBB zu klamm ist, um „Tina Mobil“ fortzusetzen, das Format aber so erfolgreich ist, wieso übernimmt dann nicht jemand wie die Degeto, die Film- und Fernsehproduktionsfirma der ARD, das Projekt?
Es hat Gespräche mit der Degeto und anderen ARD-Anstalten gegeben. Aber ich war nicht dabei. Ich weiß nur, dass meine RBB-Redakteurinnen gekämpft haben, aber schlussendlich sich niemand gefunden hat, der in TINA investieren wollte. Mein Produzent Michael Polle reißt sich ein Bein aus, um doch noch etwas möglich zu machen mit anderen Sendern oder Plattformen. Peinlich für die ARD, finde ich.

Wer sind die Personen, die entscheiden, wir produzieren trotz des Erfolgs nicht weiter?
Wer genau das ist, kann ich Dir leider nicht sagen. In solchen Momenten wird mir schmerzlich bewusst, wie weit am Ende der Nahrungskette ich als Autorin sitze. Ich habe jedenfalls das Gefühl, dass ich keine Möglichkeit habe, Einfluss zu nehmen. Diese Ohnmacht ist kein schönes Gefühl, aber wohl allgegenwärtig.

Die Kernfrage lautet doch: Wenn etwas so erfolgreich ist, also klar ist, Menschen wollen das sehen – und in diesem Fall werden es vorwiegend Frauen sein, die „Tina Mobil“ geguckt haben – und die Serie wird dennoch nicht fortgesetzt, heißt das dann nicht, die Zuschauer*innen sind dem Sender egal?
Das glaube ich nicht. Das will ich nicht glauben. Ich hoffe es nicht.

Wie lang hast Du an der Fortsetzung gearbeitet?
Etwa ein halbes bis Dreivierteljahr. Es war nicht leicht zu schreiben, wenn die ganze Zeit dieses Damoklesschwert über dir hängt. Dazu noch komödiantisch zu schreiben. Aber ich hatte trotzdem eine gute Zeit mit Tina.

Bekommst Du das bezahlt, auch wenn der Stoff nicht umgesetzt wird?
Ja. Der Redaktion und meinem Produzenten sei Dank dafür. Zwar nur einen Teil der Summe, aber immerhin. Da geht es mir besser als vielen anderen. Meiner echten Tina zum Beispiel, die Vorlage für die Film-Tina war. Ihr Bäckermobil ist kaputt. Es zu reparieren oder einen neues (gebrauchtes) zu kaufen, kostet mehr, als sie je auftreiben kann. Und nun muss sie aufgeben. Sie kam über mehr als zwei Jahrzehnte dreimal pro Woche in mein Dorf mit ihren Bäckerwaren und dem täglichen Bedarf. Jetzt kommt sie nicht. Das ist nicht nur für unser Dorf und all die anderen Dörfer ein Verlust, für die Menschen, die nicht Auto fahren und bei Tina einkaufen oder sich an ihrem Bäckermobil treffen konnten, das ist auch privat für Tina eine herbe Niederlage. Seltsam, wie die Dinge manchmal parallel laufen, nicht? Oder auch nicht seltsam, sondern „zeitgemäß“.

Fragen: Silke Burmester


Die Autorin

Foto: Andreas Höfer

Laila Stieler ist eine der interessantesten Drehbuchautorinnen, die die DDR hervorgebracht hat. Ihre Mutter ist die Dokumentarfilmerin Barbara Junge, die vor allem für die Langzeitstudie „Die Kinder von Golzow“ bekannt ist.
Laila wurde 1965 in Neustadt an der Orla geboren, volontierte beim Fernsehen der DDR und studierte Film- und Fernsehdramaturgie an der Filmhochschule Babelsberg. Nach der Wende ging sie für ein Jahr zum MDR und arbeitete anschließend neun Jahre bei der UFA Fernsehproduktion als Producerin.
Irgendwie, irgendwo, irgendwann traf sie auf den Regisseur Andreas Dresen – sein Glück, denn sie schrieb die Drehbücher seiner Erfolgsfilme wie „Die Polizistin“, „Wolke 9“, „Gundermann“ und „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“. Für Filme wie „Die Friseuse“ (Doris Dörrie) und „Die Lehrerin“ schrieb Laila Stieler nicht nur das Drehbuch, sondern sie hat diese auch produziert. Entsprechend der Erfolge bringen Silberne Bären, Goldene Löwen und die coolen Grimme-Preis-Statuetten ebenso wie der Bayerische Filmpreis wunderbares Leuchten in die Uckermark, in der Laila Stieler lebt.

Die Serie

Foto: rbb/ARD/X Filme Creative Pool GmbH/Stefan Erhard

Grund zum Feiern: Die sechsteilige ARD-Serie wurde mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet und das Drehbuch mit dem Preis der Deutschen Akademie für Fernsehen.


Die Zahl der Zuschauer*innen zeigt die Beliebtheit: laut des RBB hat „Tina Mobil“ in der ARD-Mediathek bisher 4,4 Millionen Wiedergaben. Mit der Ausstrahlung im linearen Fernsehen kommt die Serie insgesamt auf aktuell 14,4 Millionen Zuschauer*innen. So war die Sendung etwa am Abend des 6. Oktober Spitzenreiter und hatte etwa am 22. September einen Marktanteil von 15,8 Prozent.

Der rbb begründet das Aus unsgegenüber so: „Der rbb sieht aufgrund der nötigen Einsparungen im Programm aktuell keine Möglichkeit zur Finanzierung einer zweiten Staffel von „Tina Mobil“

Hier geht es zu den sechs Folgen in der ARD-Mediathek

TINA MOBIL – die Besprechung der Serie von Silke Burmester

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