Warum die Mini-Serie empfehlenswert ist – und ein winziger Haken
Die Handlung
Neun, von ihrem Leben unterschiedlich schwer geplagte Menschen – fünf Frauen und vier Männer –, reisen voller Hoffnung auf eine seelische und körperliche Veränderung samt wohltuender Anwendungen ins „Tranquillum House“. Das Resort, traumhaft gelegen im sonnigen Irgendwo, wird von der aus Russland stammenden Masha geleitet. In acht Folgen begeben sich die Städterinnen und Städter in die Hände der mysteriösen Heilerin und hoffen auf Transformation de luxe. Doch das Resort ist nicht das, was es zu sein scheint und wir sehen zu, wie sich die Besucher*innen bis an den Rand des Wahnsinns treiben lassen, um ein anderer Mensch zu werden.
Die Freude an der Persiflage
Damit es mit der neuen Menschwerdung etwas wird, wird das Handy eingesackt und die Gäste somit von der Außenwelt abgeschnitten. Obendrein sorgen regelmäßige Blutentnahmen für Unwohlsein und der Umstand, dass der morgendliche Smoothie nicht geteilt werden darf, ebenso. Über dem Areal schwebt etwas Rätselhaftes, und die in einem Überwachungsraum sitzende und ihre Klient*innen ausspionierende CEO sorgt nicht für Beruhigung. Was, zum Kuckuck, ist das für ein Ort und wo will die Geschichte hin, fragt sich die Zuschauerin – und schaut weiter: Wie alle neun Fremden zu Beginn ihre angestauten Gefühle noch verbergen können, und wie sich in den weiteren Folgen die Psychen allesamt nackt und hilfsbedürftig zeigen werden. Wie die Methoden der Masha Dmitrichenko sich von harmlos bis ins grenzwertig Experimentelle steigern. Es ist ein Seh-Fest, denn die Serie persifliert zielsicher den Wellness- und Selbstoptimierungswahn unserer Zeit. Und dass die überzogenen Figuren dank der exzellenten Darsteller*innen und intelligenten Dialoge, auch mit manch komödiantischen Einlagen, immer glaubhaft bleiben, hebt die Serie in die Hall of Fame der Unterhaltung.
Nicole Kidman als Masha Dmitrischenko
Die Rolle hätte kaum besser gecastet werden können, wirklich. Doch nicht nur Frau Kidman, auch die Figur ist brillant – schon in Folge 1 wird klar, mit der ätherisch wirkenden und umherwandelnden Wellness-Chefin stimmt etwas nicht. Sie umgibt ein Geheimnis (das sich nach und nach gekonnt entblößt). So betont sie in der ersten Folge, dass ihre Kur auf Leiden beruhe und ausnahmslos alle nach zehn Tagen als glückliche und andere Menschen entlassen würden. Mit einem nicht zu dick aufgetragenen osteuropäischen Akzent verkörpert die 54-Jährige die Leiterin in ihrer an Übergriffigkeit grenzenden Art mit Grazie und einer “Fräulein Rottenmeier-Strenge”, da bin ich als Zuschauerin hin- und hergerissen zwischen Anbetung und Abneigung. Das Licht und die Kamera spielen mit Nicole Kidmans Gesicht und überziehen so gekonnt das Narrativ eines heilbringenden Retreats und seiner Erfolge. Und die Nahbarkeit der Figur wächst mit der Unschärfe ihrer immer wieder sehr weichgezeichneten Konturen.
Zum Niederknien auch Melissa McCarthy als Frances Welty
Die US-amerikanische Komikerin übertrifft sich selbst und ist für mich der Star der Serie. Sie gibt uns Frauen im leuchtenden Alter ein Gesicht, eine Stimme und den Galgenhumor, den es angesichts dieses Ortes und der Methoden bedarf. Sie verkörpert die erfolgreiche Schnulzen-Autorin Frances Welty, die endlich mit einer schlimmen Trennung abschließen möchte. Und abnehmen. Und gelassener werden. Glückseligkeit würde sie ebenfalls nicht ablehnen. Und sie ist reich an überschüssigen Hormonen und bestimmt nicht erpicht darauf, Leid zu erfahren. Das hat sie jeden Tag – und vor allem jetzt, da ihr aktuell abgeschlossenes Manuskript abgelehnt wurde. Sie kämpft mit Verlust, Scham, Enttäuschung und Schuld – und den Folgen des Microdosing während der Tranquillum-Kur. Diese Figur ist dank McCarthy das leuchtende Tüpfelchen auf dem Serien-i.
Ein Häkchen – vielleicht
Mutet das Ende fast Seifenoper-würdig an, so verzeihe ich das der gelungenen Produktion und bringe dies hier nur als Häkchen an. Denn dies mindert in keiner Weise diese gekonnt auf die Spitze getriebene und geschriebene Geschichte von Liane Moriarty – ihr Roman „Neun Fremde“ diente hier als Vorlage.
Besprechung: Simone Glöckler
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