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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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Neoliberale Hormone

Dr. Sheila de Liz hat uns darüber aufgeklärt, was während und nach den Wecheseljahren in unserem Körper los ist. Mit ihrem Wissen um Abhilfe verdrängt der kapitalistische Leistungsgedanke einen natürlichen Prozess. Von Silke Burmester

Der Freiheitsbegriff der Gegenwart: „Weil ich es kann!“
Foto: Eric Mclean, unsplash



Neulich habe ich einen Vortrag von Sheila de Liz gehört, jener Gynäkologin, die mit ihrem Hormon-Erklärbuch „Woman on Fire“ einer ganzen Generation von Frauen, nämlich unserer, die Augen geöffnet hat. Sie gilt jetzt, wahrscheinlich zu Recht, als Deutschlands bekannteste Gynäkologin.

In diesem Vortrag erklärt sie, was sie auch in ihrem Buch darlegt, nämlich, welche Funktion die Hormone haben, wie es in den Wechseljahren zum Abbau dieser kommt, und welche Wirkungsweise, welche Konsequenzen dies für unsere Befindlichkeit hat. Was daraus folgt, ist der Appell, diese Umstände – die Schlappheit, die Antriebslosigkeit, die Depression, die geringe oder verschwundene Libido – nicht hinzunehmen. Sie klärt über bioidentische Hormone auf, deren angeblich geringes Risiko und sagt dann Sätze, die seit einigen Jahren im Munde vieler Frauen sind. Es sind Sätze wie: „Das muss so nicht sein.“ „Keine Frau muss das heute aushalten.“ Und: „Warum sollten wir uns nicht helfen lassen, wenn es doch geht?“

Der Impuls, etwas zu nehmen

Auch ich habe bei ihrer Rede den Impuls gespürt zu denken, ja, vielleicht wäre es doch nicht so schlecht, was zu nehmen. Mir Testosteron-Salbe auf den Arm zu schmieren, etwa um die Antriebslosigkeit in den Griff zu bekommen. Oder ein ß-Estradiol-Pflaster aufzukleben, damit in Kombination mit einer Progesteron-Tablette die Hitzewallungen milder ausfallen. Nach Jahren, in denen es über Wochen keine Nacht ohne drei- bis vierstündiges Wachsein gab, ein Energieniveau kurz vor dem Nullpunkt und Gedächtnis- und Konzentrationsschwierigkeiten, bei denen mir mitunter nicht mal mehr der Name meines Vis-à-vis-Nachbarn einfiel oder mir das Wort nicht in den Kopf kam, wie dieses Ding heißt, das man nimmt, wenn man nicht mit der U-Bahn fährt, sondern mit diesem langen Ding mit den Rädern, geht es mir mittlerweile wieder recht gut. Der Kopf funktioniert wieder, die Schlafstörungen kommen nur noch ab und zu vor, Energie ist wieder da und spürbar und auch die restlichen Beschweren wie etwa Herzrasen haben sich weitestgehend verflüchtigt. Aber bestimmt, so der verführerische Gedanke, könnte es mir noch besser gehen. Ich habe mit dem Aufbau meiner Onlineplattform für Frauen ab 47, Palais F*luxx, so eine anstrengende Zeit vor mir und gleichzeitig eine große Angst, körperlich nicht durchzuhalten, dass es doch nicht schaden könnte, sich ein wenig helfen zu lassen. Zu unterstützen. Ein klein wenig Hormone zu nehmen, um sich noch fitter zu fühlen, um noch mehr zu schaffen.

Meine Freundin sagte, das wäre wie Doping. Darum könne es ja wohl nicht gehen.

Ich bin auf dieser Veranstaltung , dem „Douglas Beauty and Health Summit“, mit einer Frau ins Gespräch gekommen, die begeistert davon erzählte, dass sie Hormone nehme. Ihre Wechseljahresbeschwerden schienen nicht besonders stark gewesen zu sein, im Vergleich mit meinen ein kleiner, nerviger Floh. Sie schien unter leichter depressiver Verstimmung gelitten zu haben, aber jetzt, wo sie Hormone nimmt, fühlt sie sich so gut und kraftvoll – ich war neidisch. Auch sie war von dem Umstand begeistert, dass es ja alles gar nicht so sein müsse, wie die Natur es für uns eingerichtet hat. Und freute sich, ihr ein Schnippchen schlagen zu können. Einfach, weil sie es kann.
Jetzt, da die Medizin so weit ist. Wir Frauen das Wissen haben. Sheila de Liz uns aufgeklärt, ja geradezu befreit hat von der Geißel der Unwissenheit.

Und während ich die Liz-Jüngerin so anschaute und sehr neidisch wurde ob ihrer abgeworfenen Skepsis, ihrer hinter sich gelassenen Bedenken und Mahnungen wegen möglicher erhöhter Krebs- und Thrombose-Risiken und sich mir stattdessen ihr Wille zur Freiheit offenbarte, meinte ich etwas Entscheidendes zu verstehen: Es geht der Frau gar nicht so sehr um die Hormone und die Frage, ob es wirklich klug ist, sie zu nehmen. Es geht darum, es zu tun, weil sie es kann. Es ist der Rausch einer vermeintlichen Selbstermächtigung. Es ist die Freude über eine neu erkämpfte Freiheit, die Frauen wie Sheila de Liz so beflügelt.

Am Ende des Tages triumphiert hier nichts anderes als der Kern des Neoliberalismus: etwas, das im Rahmen des Möglichen liegt, als Freiheit zu verstehen. Und daraus einen Anspruch zu formulieren, den es umzusetzen gelte, auch, wenn die Umsetzung unklug sein könnte. Es reicht aus, das Gefühl, den Gedanken zu haben: „Weil ich es kann!“

„Weil ich es kann“ ist das Mantra der Stunde

Diese ständig wiederholte rhetorische Frage, „warum man sich nicht helfen lassen soll, wenn es doch geht“, und der Satz, dass man doch nichts aushalten müsse, was auszuhalten keine Notwendigkeit ist, ist das Mantra der Stunde. Was der Autofahrer-Lobby „Freie Fahrt für freie Bürger“ ist, ist uns Frauen „Warum was aushalten, was ich nicht aushalten muss?“. Es ist nach Jahrhunderten, in denen Frauen durch Mediziner – häufig in Absprache mit den Ehemännern – bevormundet wurden, die Ermächtigung, die vermeintliche Selbstbestimmung, die dahintersteht und die den Hormonkonsum so attraktiv macht.
Die wirksame Suggestion ist die: Bis zu diesem Punkt waren Frauen abhängig von dem Wissen und der Macht der (meist männlichen) Ärzte. Jetzt sind wir aufgeklärt. Sheila de Liz hat uns aufgeklärt. Sie hat uns Wissen gegeben, sie hat uns befreit. Wir können jetzt Zaubermittel schlucken, die uns aus dem Joch des Leides herausholen. Und weil wir das können, tun wir es. Wir wären ja dumm, es nicht zu tun. 
Diese Gedanken in ihrer lieblichen Verführung und ihrem süßen Versprechen lassen nicht nur die Skepsis an den Hormonen zur Rede der Dummen werden, sie schalten jeden relativierenden Gedanken aus.

Was bleibt, ist ein Mensch, ist eine Frau, für die sich Möglichkeiten zu einem intrinsischen Anspruch wandeln. Die zwischen Können und Wollen nicht mehr unterscheidet und für die – Kern der neoliberalen Denke – Vernunft nicht länger eine Währung ist. Was hinter der vermeintlichen Ermächtigung verschwindet, ist die kapitalistische Knute der uneingeschränkten Leistungsbereitschaft, die ein gesellschaftliches Thema – Wechseljahre – zu einem der individuellen Lösung und Ertüchtigung macht. Die einen natürlichen Prozess, den einer Wandlung, zum vermeidbaren Übel erklärt. Die Natur muss ausgetrickst werden, die Trickserei wird als Triumph der Selbstbestimmung verkauft. Auf dem Siegertreppchen der neoliberalen Leistungsgesellschaft stehen die fitten, die hormongefütterten Frauen; die, die nicht cremen und schlucken, liegen kollabiert davor.

Was wir brauchen, ist ein neues Bild von Alter

Klar, jede Frau, die Hormone nehmen will, soll es tun. Es ist gut, dass es die Möglichkeit gibt, wenn es notwendig und medizinisch unbedenklich ist. Aber wir sollten uns vielleicht mehr mit der Frage beschäftigen: Nehme ich sie, weil ich sie brauche, oder nehme ich sie, weil ich die Möglichkeit habe? Weil es zu tun ein Ausdruck meiner Selbstermächtigung ist, nach den Jahrhunderten der Bevormundung und Unterdrückung die Entscheidung selbst treffen zu können?

Unsere Entwicklung in den Wechseljahren, unser körperliches und geistiges Älterwerden hat ihren Sinn. Es ist ein Abschied von der Zeit, als unsere Fruchtbarkeit unterschiedlichste Türen der Lebensgestaltung geöffnet hat, gleichzeitig ermöglicht er uns, andere Positionen in der Gesellschaft einzunehmen. Fern der Kümmernden, der Versorgenden – in manchen Kulturen steigen wir in die Sphären der Weisen auf, bekleiden angesehene Ämter. Gleichzeitig sind die Wechseljahre die Vorbereitung auf das, was kommt: das letzte Lebensdrittel.
Es ist schwierig, diesem Prozess zuzugucken, ihn auszuhalten. Er tut weh. Gerade, wenn man sich wenig „alt“ fühlt, wenn man sich als in der Blüte seines Lebens stehend empfindet und noch viel vorhat, ist es, als führe ein Zug mit dem Körper davon, während der Geist noch auf dem Bahnsteig steht.

Unsere Generation von Frauen, die jetzt in ihren 50ern ist, ist eine neue. Eine, die sich befreit. Die die Zuschreibungen und Bilder von „älteren“ Frauen hinter sich lässt und diese neu definiert. Die neue Bilder schafft. Das ist großartig und auch für mich das vorrangige Ziel. Das ist es, was ich will: ein neues Bild von Frauen und von Alter in der Gesellschaft verankern. Für mich ist es allerdings nicht damit getan, bunte, fancy Klamotten anzuziehen und auf Instagram zu zeigen, dass wir auch mit 55 noch „voll jung“ aussehen oder so viel leisten können wie 30-Jährige. Es geht auch darum, sich mit Alter und dem Älterwerden auseinanderzusetzen, den Prozess des Alterns zu begreifen und zu gestalten. Etwas zu schaffen, das mehr ist als eine Hülle. Etwas, das uns innerlich erfüllt und ausfüllt und – auch der Gesellschaft – Antworten gibt. Es ist die anstrengende Art. Die mit Hirn. Nicht nur mit Hormonen.


Dieser Text ist am 8. Februar zuerst in der taz erschienen.

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