Die Menopause hält Überraschendes bereit und der Körper veranstaltet eigenartige Dinge.
Gut, wenn unsere Wechseljahrsexpertin Britta Scholten mal einen Blick drauf wirft.
Nadine erzählt: „Meine Tochter packte die letzten Kisten in das Auto, drückte mich noch einmal und fuhr dann in ihre erste eigene Wohnung. Als ich die Tür schloss, begannen die trüben Gedanken und die ersten Tränen flossen. Aber nach ein paar Tagen wurden die Gedanken wieder heller und ich begann mich auf den neuen Lebensabschnitt zu freuen: kein Teenagerchaos mehr, stattdessen ein Zimmer für mich. Keine hitzigen Debatten über die Lautstärke der Musik, stattdessen Zeit für leidenschaftliche Abende. Ich kaufte mir neue Highheels und plante fürs nächste Wochenende sinnliche Paarzeit.
Doch am Samstagmorgen saß ich antriebslos auf dem Sofa unter der bleiernen Decke einer depressiven Verstimmung. Trug statt der Highheels Betonstiefel, die es mir unmöglich machten, auch nur in die Küche zu gehen, um mir einen Gute-Laune-Tee zu kochen. Blaffte meinen Mann an, weil er mir den falschen Tee brachte und brach in Tränen aus, weil ich vergessen hatte, meiner Tante zum Geburtstag zu gratulieren.“
Bin ich krank oder sind das die Wechseljahre?
Auf der Achterbahn der Stimmungsschwankungen gibt es für Frauen freien Eintritt. Jede Frau darf irgendwann mal mitfahren, sobald sie das Einstiegsstalter erreicht hat, das meist zwischen 40 und 45 Jahren liegt. Nur in besonderen Fällen (das sind vorzeitige oder aus medizinischen Gründen ausgelöste Wechseljahre) können auch jüngere Frauen dabei sein.
Die Gefühlsachterbahn wird stark vom Zusammenspiel der Hormone gesteuert. Das kennen Frauen aus dem Monatszyklus: In der ersten Hälfte und besonders kurz vor dem Eisprung ist man unter dem Einfluss des Östrogens besonders aktiv. Biologisch-logisch: Wir sind auf der Suche nach möglichst qualitativen Spermien für eine Befruchtung. In der zweiten Zyklushälfte geht es dagegen ab auf die Couch. Auch das ist biologisch-logisch: Wir sollen in der zweiten Hälfte des Zyklus nichts machen, was eine potentielle Schwangerschaft gefährden kann. Also bleiben wir zu Hause, pflegen uns gut und chillen auf der Couch. Das Hormon, das diese Phase prägt, das Progesteron, wird daher auch gerne als „Chill- und Relax-Hormon“ betitelt.
Keine Gelbphase mehr
Die Produktion des Progesterons ist ein faszinierendes Beispiel für Upcycling: Die Eihülle, die nach dem Eisprung zurückbleibt, wird nicht einfach in den Restmüll geworfen. Mit Hilfe von Hormonen wird aus ihr der Gelbkörper, die kleine Hormonfabrik für Progesteron. Doch ohne Eisprung kein Ausgangsmaterial. Dummerweise werden unsere Eizellen in den frühen Wechseljahren träger und haben oft keine Lust auf weite Sprünge. Kein Eisprung, kein Progesteron. Und damit springt unsere Stressampel schnell auf Rot.
Noch zwei weitere Hormone spielen im Zyklus eine Rolle, das FSH und das LH. In einem fein austarierten Regelkreis misst unsere innere Steuerungszentrale immer wieder das Östrogenlevel und schickt je nach Situation FSH und LH los. Bleiben die Eizellen aber im Östrogenbummelstreik, setzt die Hypophyse ein paar Extra-Schichten in der Hormonproduktion an, damit es doch zum Eisprung kommt. Mit dem Resultat, dass die Hormonspiegel teilweise extrem schwanken und unsere Stimmung mit ins Ungleichgewicht bringen. Wir werden dünnhäutig, sind nah am Wasser gebaut, brechen wie ein Vulkan aus, kennen uns selbst nicht mehr, könnten am liebsten nur noch schlapp auf der Couch liegen – und sind der Depression nahe.
Die kleine Schwester der Depression
Stimmungsschwankungen und depressive Verstimmungen kennen wir wohl alle, an Depressionen erkranken aber nur einige Menschen. Depressionen werden diagnostiziert, wenn bestimmte Symptome (z. B. Antriebslosigkeit, Schlafstörungen, verminderte Konzentration) über mindestens zwei Wochen auftreten.
Moment mal – Antriebslosigkeit, Schlafstörungen, verminderte Konzentration? In der Tat ähneln einige der Symptome einer ernsten Depression den Beschwerden, über die viele Frauen in den Wechseljahren klagen. Das kann ein Problem werden: Auf der einen Seite verschreiben einige Ärzt:innen diesen Frauen viel zu schnell Antidepressiva, weil sie die Hormonumstellungen als potenzielle Auslöser der Verstimmungen ignorieren. Auf der anderen Seite werden die Frauen auch zu schnell mit dem Argument „Das sind halt die Wechseljahre“ abgespeist, so dass eine echte Depression eventuell nicht behandelt wird. Eine gute ärztliche Beratung ist hier wichtig. Auch um körperliche Ursachen der Beschwerden, wie z. B. Schilddrüsenstörungen, auszuschließen.
Die Achterbahnfahrt langweiliger machen
Die Wechseljahre sind eine Phase der Veränderung – nicht nur körperlich. Allein der Abschied vom Bild der fruchtbaren Frau stellt einige Frauen vor große Herausforderungen. Ein erster Ansatz, mit den Gefühlsschwankungen und depressiven Verstimmungen umzugehen, liegt daher in der Akzeptanz. Akzeptanz, dass diese Zeit gefühlsmäßig anstrengend sein kann. Dass man nicht immer funktionieren kann und muss. Dass „negative“ Gefühle auch mal ausgelebt werden dürfen.
Die Wechseljahre sind auch eine Zeit, um gut für sich selbst zu sorgen. Spätestens jetzt sollten wir gelernt haben: Lücken im Kalender müssen nicht für das nächste To-do auf der langen Liste genutzt werden. Sie dürfen auch mal einfach entspannende Ich-Zeit sein. Natürliche Aromaöle können helfen, so wirken z. B. Rose, Bergamotte oder Fichtennadel stimmungsaufhellend, Basilikum oder Lorbeer stresslösend. Johanniskraut gilt als gute Heilpflanze bei leichten Depressionen. Bei der Einnahme ist jedoch daran zu denken, dass die Lichtempfindlichkeit der Haut erhöht wird. Auch die Ernährung bietet Möglichkeiten, Stimmungsschwankungen abzumildern: Ein ausgeglichener Blutzuckerspiegel hält auch die Stimmung stabil und Omega-3-Fettsäuren (z. B. in Lachs, Makrele oder Leinsamen) sollen entzündungshemmend und antidepressiv wirken.
Selbst für Antrieb sorgen
Wer keine Lust mehr darauf hat, willenlos von der Gefühlsachterbahn über Berg und Tal geschickt zu werden, kann die Steuerung der Fahrt selbst übernehmen. Bewegung ist ein Schlüssel gegen mentale Tiefs (und hat natürlich auch noch andere Vorteile), denn sie lässt den Serotonin-Spiegel und damit auch unsere Stimmung steigen. Auch über unsere Gedanken können wir die Stimmung stabilisieren: Verstimmungen oder Gefühlsschwankungen können als Signal gedeutet werden, dass etwas in unserem Leben im Ungleichgewicht ist. Fragen zum Selbstcoaching findet man im Internet und in vielen Zeitschriften. Es kann sich aber auch lohnen, mit einer Beraterin oder einem Coach genauer hinzuschauen: Welche Verhaltens- und Denkmuster tun uns nicht gut? Was will stattdessen gelebt oder ausgedrückt werden? Wie kann ich mich besser vor den Anforderungen anderer schützen?
Das multifunktionale Zimmer für Nadine
Nadine hat die Betonstiefel abgestreift und sich inzwischen ihr Zimmer eingerichtet. Es ist Entspannungs- und Selbstfürsorgetempel, Gym und Konditionsstudio. Geheizt wird mit ihren Hitzewallungen – besonders an Abenden, an denen sie ihren Mann zu sich einlädt.
Definition Depression
deutsche-depressionshilfe.de/depression-infos-und-hilfe/was-ist-eine-depression
Ernährung
ndr.de/ratgeber/gesundheit/Gute-Ernaehrung-kann-helfen-Depression-zu-lindern
Bewegung
patienten-information.de/patientenblaetter/depression-bewegung
Lektüre
über die schmerzhafte Zeit der Großwerdens und des Auszugs der Kinder und wieso dies für Frauen in der Menopause besonders tückisch ist, hat Silke Burmester das Buch „Mutterblues – mein Kind wird erwachsen, und was werde ich?“ geschrieben.
Britta Scholten ist ausgebildete Wechseljahrsberaterin, aber keine Medizinerin. Bei Unsicherheiten, starken oder langanhaltenden Beschwerden unbedingt eine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen.
Illustration: Brigitta Jahn