Buchvorstellung: „Bergland“
Worum geht es?
Auf dem Innerleit, dem höchstgelegenen Hof im Tiefenthal, scheint das Leben ein ewiger Kampf zu sein. Gegen die Unwuchten der Natur, die Widrigkeiten der abgeschiedenen Lage. Dort oben führt Rosa den Hof alleine fort, nachdem ihr Vater gestorben ist. Die Geschichte spielt anfangs in den 1940er-Jahren, und Rosa muss nicht nur mit den Folgen des Krieges, sondern auch mit dem Argwohn der umliegenden Bauern kämpfen. Sie hadert jedoch nur selten mit diesem Leben. Und wenn sie doch einmal Zweifel hat, haben andere sie gesät. Ihr Sohn vor allem, den sie behandelt wie die Jungtiere auf dem Hof und der erst fast verunglücken muss, ehe sie ihm Liebe geben kann.
Zwei Generationen später sieht das Leben auf dem Innerleit, zumindest dem äußeren Anschein nach, ganz anders aus. Jetzt lebt dort Franziska mit ihrer Familie, die Frau von Rosas Enkel. Ihr Widersacher ist weniger die Natur als die Landwirtschaftsindustrie, die Kühen längst Nummern statt Namen gegeben hat und gegen die ihr kleiner Hof nicht bestehen kann. Sie muss zum Überleben Wohnungen an Touristen vermieten und ihnen auch noch vorspielen, dass da oben alles ganz so wie früher und die Zeit stehen geblieben ist, denn so wünschen es die Touristen. Ihr Bauernhof wird immer mehr zum Hotel mit Streichelzoo, und trotzdem rutscht sie nach der Geburt des vierten Kindes in eine Depression, als ihr Mann plötzlich sagt: Wir gehen. Denn da ist auch etwas, was die Frauen dort oben hält: Die mächtige Kulisse der Südtiroler Alpen, die die Autorin so detailreich und sprachgewaltig beschreibt, dass man beim Lesen selbst den Duft des wilden Thymians in der Nase hat und die Lärchen sieht, die in der Erzählung soeben von der Morgensonne beschienen werden. Und dann vor allem: die Familiengeschichte. So kommt zum Kampf gegen die Widrigkeiten immer wieder der gegen die eigenen Sehnsüchte und Zweifel hinzu.
Was kann das Buch?
Der Autorin gelingt es, die Landschaft der Alpen so anschaulich und beeindruckend zu schildern, dass man meint, beim Lesen selbst vor Ort zu sein. Gleichzeitig schreibt sie einen gesellschaftskritischen Roman, der die Entfremdung des bäuerlichen Lebens durch die moderne Landwirtschaft beleuchtet und den naturnahen Alpen-Tourismus aus einer Innensicht heraus in ganz anderem Licht erscheinen lässt. Das Ganze hautnah erzählt anhand der Geschichte von zwei Frauen, die man von Anfang an lieb gewinnt und zugleich immer wieder schütteln und zur Besinnung bringen möchte. Frauen, die an ihren eigenen Ansprüchen wachsen und zugleich verzweifeln.
Warum sollte mich das interessieren?
Jarka Kubsova erzählt in ihrem Buch über die Sehnsucht nach einem Leben auf dem Land, die zurzeit großes Thema in der Romanliteratur ist. Sie entblößt diese Sehnsucht aber als romantische Verklärung eines Lebens, das wir aus dem Bilderbuch kennen und uns auch genau so naiv vorstellen. Ihre Erzählung knüpft von der Dramaturgie an „Altes Land“ von Dörte Hansen an, die ebenfalls die Geschichte eines Hofes von den Kriegsjahren bis in die Gegenwart anhand des Lebens von zwei Frauen erzählt. Dabei wechselt Jarka Kubsova in „Bergland“ mühelos zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen dem Innenblick der Hofbewohnerinnen und der Außensicht der Tourist*innen auf das Leben dort. Das Ganze ist so schön geschrieben, dass man das Buch zwischenzeitlich kaum aus der Hand legen mag.
Warum ist die Autorin interessant?
Weil Jarka Kubsova – was man nach der Lektüre niemals vermuten würde – gar nicht in den Alpen lebt. Sie ist Journalistin in Hamburg. Nach einem Urlaub in Südtirol war sie von der Landschaft aber so fasziniert, dass sie mit ihrem kleinen Sohn für ein halbes Jahr dorthin gezogen ist. In dieser Zeit ist die Idee des Romans entstanden. Vor Ort hat sie unzählige Gespräche über die Geschichte der Region und der dortigen Bauernhöfe geführt, sie hat Bücher über Landwirtschaft und Permakultur gelesen und sich so viel Wissen angeeignet, dass das Buch der Hamburgerin nun ein Bestseller in Südtirol ist.
Auszug:
„Um zwei zog Rosa die Tiefenthaler Tracht an, es war die ihrer Mutter, weiße Leinenbluse mit Volant, rotgrünes Leibl, fließender blauer Rock, sie hatte sie ein paar Tage zuvor anprobiert, um zu sehen, ob etwas anzupassen war, aber sie war zu Moidls Statur herangewachsen. Dann flocht sie sich die Haare und legte sie als Kranz einmal um den Kopf herum. Um drei wollte sie zur Tür hinaus, aber da riss auf einmal etwas von hinten an ihr und hielt sie fest. Es war bloß das Kleid, das sich am Türscharnier verfangen hatte, aber bis sie es begriff, war ein Gedanke schneller: Ich soll nicht gehen, der Hof hält mich fest! Auch als sie den Stoff herausgelöst hatte, war das Gefühl nicht gewichen. Rosa sank auf der Türschwelle zu Boden, alles, was sie denken konnte, war: Ich soll nicht gehen, und ich will es nicht. Später trat sie ans Fenster und sah in die Richtung, wo das Fest ohne sie begann. Jetzt steht er da, dachte Rosa. Jetzt wartet er. Jetzt fängt die Kapelle an zu spielen. Jetzt lässt er die Schultern fallen. Jetzt dreht er sich um, jetzt geht er, oder er tanzt mit einer anderen. Jetzt werde ich ihn nie wiedersehen. Als es sechs Uhr schlug, zog sie das schöne Kleid aus.“
Jarka Kubsova: „Bergland“, Goldmann Verlag,, 12 Euro
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Rezension: Elke Spanner