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Lesen oder lassen?

Buchbesprechung: „Macht und Ohnmacht einer Mutter


Worum geht es?
Die österreichische Kaiserin Maria Theresia (1717-1780) hat im Laufe ihres Lebens 16 Kinder bekommen. Sechs davon starben im Kindes- oder Jugendalter. Die französische Philosophin, Autorin und Feministin Elisabeth Badinter betrachtet in diesem Buch diese ungewöhnliche Frau und Regentin, die in der Herrscher-Liga mit Größen wie Friedrich dem Zweiten spielt, in ihrer Rolle als Mutter. Badinter stellt eine Kaiserin in ihrer Mütterlichkeit vor und eine Mutter, deren Aufgabe es ist, ein riesiges, zersplittertes Reich zu regieren und Kriege zu führen. Der Blick fällt auf einen Anspruch und ein Verhalten im Umgang mit Kindern, wie sie im 18. Jahrhundert nicht üblich waren. Schon gar nicht im Adel, der in der Regel Kinder bekam, um sie wegzugeben, von Fremden erziehen zu lassen und im Sinne der Machterweiterung optimal zu verheiraten. So erfährt man eindrücklich, welch wichtige Funktion die Kinder für Maria Theresias Herrschaft spielten. Denn auch für Maria Theresia waren die Kinder, egal ob Töchter oder Söhne, ein wichtiges Instrumentarium, um sich durch Heirat mit den Nachkommen anderer Dynastien Macht und Einfluss zu sichern und zu erhalten.

Was hat das mit mir zu tun?
Zunächst herzlich wenig, denn Adel und Herrschaft interessieren mich nicht. Und doch bringt mich das Buch ins Nachdenken, wenn deutlich wird, wie schnell ein Kind zur damaligen Zeit sterben konnte, wie „normal“ dies war, und wie wenig das den Eltern mitunter ausgemacht hat. Gerade in der heutigen Zeit, wo Kinder durch ihre Eltern so überhöht werden, ist dies spannend zu lesen. Es scheint unvorstellbar, dass der Tod eines Kindes einen nicht komplett aus den Angeln hebt. Ebenso, dass man zugibt, die Schwiegertochter mehr zu lieben als die eigenen Kinder. Es ist interessant zu erfahren, dass Maria Theresia, entgegen den Gewohnheiten der damaligen Zeit und der Etikette am Hof, sich mitunter intensiv um ihren Nachwuchs gekümmert und mit ihnen beschäftigt hat. Dass sie zumindest zu einigen von ihnen eine innige Verbindung und ein Verhältnis aufbaute und sie eben nicht ausschließlich den Ammen und später den Erzieher*innen übergab.

Ist das spannend zu lesen?
Ja, erstaunlicherweise ist es das. Ich habe das Buch schnell und zügig gelesen, obwohl ich schon bald mit den vielen Namen durcheinanderkam und mir nicht merken konnte, welches Kind welches ist, zumal die elf Töchter bis auf Johanna alle mit erstem Namen „Maria“ hießen. Zunächst stellt Badinter unter verschiedenen Aspekten das Verhältnis Maria Theresias zu ihren Kindern vor, anschließend werden die Kinder in ihren Eigenschaften, aber auch in ihrer Rolle und Funktion, die sie für ihre Mutter hatten, vorgestellt. Wie gesagt, ich hätte nicht erwartet, dass mich das interessieren würde, aber das tut es. Auf einmal erscheinen auch einige Filme über Maria Theresia, die die Mediatheken der Fernsehsender füllen, interessant und ich habe Lust, mehr über diese Frau zu erfahren, die ganz selbstverständlich ihre Rolle als Herrscherin ausführte. Klug, engagiert, und wie es scheint, mit großer Leidenschaft.

Über die Autorin
Elisabeth Badinter ist eine der wichtigsten Sachbuchautorinnen Frankreichs und der feministischen Forschung der letzten 40 Jahre. Mit ihrem Buch „Die Mutterliebe“ von 1981 räumte sie mit dem Mythos der angeborenen mütterlichen Fürsorge auf und legte sie als soziales Konstrukt dar. Das Thema „Mutter“ ist ein konstantes in ihrer Arbeit, immer wieder widmet sich die Frau, die mit 22 Jahren ihr erstes Kind und die beiden weiteren in insgesamt dreieinhalb Jahren bekam, wohlgemerkt, während sie ihr Studium abschloss, dem Thema. Wenn ich es richtig verstehe, hat sie das Buch in den letzten Jahren geschrieben, auch in Frankreich ist es 2020 erschienen. Elisabeth Badinter ist jetzt 78 Jahre alt, eine elegante, wunderbar von ihren Falten gezeichnete Frau, das zeigen die vielen Fotos von ihr im Netz. Das Bild der Autorin, das die Buchklappe ziert, zeigt eine Frau, die wie alt ist? Oder sein soll? Ende 50? Es ist unverständlich, warum man eine Frau, die in ihren 70ern Wichtiges schafft, nicht in diesem Alter zeigt.
Warum scheint das Alter selbst im Kontext von Sachliteratur eine Zumutung für den Leserin und den Leser? Oder anders gefragt: Geht man davon aus, dass sich das Buch einer jüngeren Frau besser verkauft als das einer älteren? Ich finde das beschämend. Nicht für uns Frauen. Für den Verlag. Es ist peinlich für den Hanser-Verlag, dass er nicht hinter seiner Autorin steht. Ich finde, Hanser ist Elisabeth Badinters nicht würdig. Sie sollte sich einen anderen Verlag für ihre Bücher in Deutschland suchen.

Kostprobe:
„Es ist schwierig, die Realität und Intensität der Mutterliebe zu bemessen, vor allem in einer Zeit, in der man viele Kinder bekam und viele von ihnen früh starben. Die Angst, ein Kind zu verlieren, und das Leid um dessen Tod bilden dennoch die besten Indizien für Mutterliebe. Viel später, als Maria Theresias Töchter mit ausländischen Herrschern verheiratet wurden, die Heimat verließen und die Mutter kaum Aussicht hatte, sie je wiederzusehen, vertraute sie ihrem Getreuen Rosenberg an: „Ich liebe meine Kinder sehr, spüre es aber nur, wenn ich eines von ihnen verlieren muss.“

Elisabeth Badinter: „Macht und Ohnmacht einer Mutter – Kaiserin Maria Theresia und ihre Kinder“, aus dem Französischen von Stephanie Singh, 208 Seiten, Paul Zsolnay Verlag, 26 €
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Rezension: Silke Burmester

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