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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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„Herbst“ – Lesen oder Lassen?

Buchvorstellung

Ali Smith, »Herbst«

Worum geht es? 
Der Roman, der im Herbst 2016 kurz nach dem „Referendums-Sommer“ in Großbritannien spielt, erzählt die Geschichte von Daniel Gluck (100) und Elizabeth (32). Die beiden kennen sich, seit Elisabeth vor 20 Jahren mit ihrer Mutter ins Nebenhaus gezogen ist. Nun liegt der alte Mann im Pflegeheim und „schläft sehr viel“. Elisabeth, inzwischen unterbezahlte Aushilfsdozentin der Kunstgeschichte, besucht ihn regelmäßig, liest ihm vor, redet mit dem Schlafenden über ihre, seine und die Zukunft an sich.  

Was kann das Buch?
Der auf mehreren Zeitebenen spielende Roman erzählt nicht nur das Kennenlernen und die Geschichte der beiden Protagonist*innen. Wir schlendern mit Elisabeth durch das tief gespaltene England und anhand der Bürokratie – Elisabeth beantragt einen neuen Reisepass – lernen wir auch die Mentalität der Menschen kennen. Elisabeth besucht den schlafenden Daniel Gluck mit einer herzergreifenden Routine und leistet ihm Gesellschaft. Spricht mit, oder besser zu ihm, über das Altern, ihre vermeintliche Zukunft und lässt die gemeinsame Zeit Revue passieren. Sie fragt sich, was sein wird, wundert sich was ist und lebt in der Hoffnung, er wache eines Tages wieder auf. Die Erzählung der Jahre andauernden platonischen Freundschaft ist durchzogen mit wunderbaren Wortspielen und verbindet Vergangenheit und Gegenwart wie eine bunte, wärmende und an einigen Stellen schon kratzende Patchworkdecke.

Warum sollte mich das interessieren?
Weil die in Deutschland noch eher unbekannte Autorin Ali Smith (*1962) viel mehr Aufmerksamkeit verdient hat. Sie landete mit mehreren Büchern, darunter auch »Herbst«, auf der Shortlist des »Booker Prize« und wurde 2015 von der Queen zum »Commander of the Order of the British Empire« (CBE) ernannt. Weil der erste Band ihres Jahreszeitenquartetts neugierig macht auf den kürzlich erschienenen „Winter“ und die noch folgenden „Frühjahr“ und „Sommer“.
Und:
Wir lernen über das Leben und Werk der ersten britischen Pop Art-Künstlerin Pauline Boty. Ali Smith macht die bereits mit 28 Jahren verstorbene Boty zu einem großen Thema in „Herbst“. Und nicht zu vergessen, Christine Keeler, Model und Tänzerin der 1960er-Jahre. Ihr Sein und der „Profumo-Skandal“ werden ebenfalls gestreift und so wieder ins Gedächtnis geholt.

Kostprobe
Er blätterte den ganzen Katalog durch, Seite um Seite. Dann klappte er das Buch zu und schob es auf dem Tisch zurück, sah zu Elisabeth auf.
„Es hat sehr viele Männer und Frauen in meinem Leben gegeben, auf deren Liebe ich gehofft, deren Liebe ich gewollt habe. Selber habe ich so aber nur einmal geliebt. Und es war kein Mensch, in den ich mich verliebt habe. Nein, kein Mensch.“  Er klopfte auf die Vorderseite des Buchs.
„Es ist möglich“, sagte er, „nicht einen bestimmten Menschen zu lieben, sondern dessen Sichtweise. Ich meine die Art, wie Augen, die nicht deine eigenen sind, einem zeigen, wo man ist und wer man ist.“ 
Elisabeth nickte, als verstünde sie ihn.

Ali Smith, »Herbst«, Übersetzung: Silvia Morawetz, btb taschenbuch, 264 Seiten, 10 €

Rezension: Simone Glöckler

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