Dass Frauen, die nicht mehr jung sind, in Lokalen nicht beachtet werden, ist eine Schweinerei.
Silke Burmester hat die Lösung des Problems parat
Boje im Mondenschein
Wenn Frauen klagten, ab einem gewissen Alter würde eine Frau in Restaurants und Cafés übersehen, dachte ich: selbst schuld. Was trägst Du auch Klamotten, die auch an einer 30-Jährigen beknackt aussehen?! Filz ist so ein Material, mit dem man sich in keinem Alter einen Gefallen tut. Große Holzperlen gehören ebenso dazu und dreieckiger Schmuck.
In meiner selbstverliebten Überheblichkeit nahm ich an, mir würde das nicht passieren. Zumal ich bevorzugt Knallfarben trage und noch in der dunkelsten Kaschemme leuchte wie eine Boje im Mondschein.
Vor dem Hintergrund, dass ich das jetzt aufschreibe, ist klar: Es ist alles ganz anders. Ich werde übersehen. In guten Restaurants, in teuren Restaurants, in Cafés – überall, wo man nicht in einer Schlange ansteht um bedient zu werden. Wir alle werden übersehen, die aus männlicher Sicht nicht mehr die erste Wahl in Fragen der „Fuckability“ sind. Wir befinden uns jetzt „unterm Radar“. Außerhalb der Scan-Zone, des Lage-Überblicks. Selbst Männer, die auch keine 40 mehr sind, entwickeln eine ungemeine Fähigkeit, ihren Kopf, ihren Blick so auszurichten, dass sie Frauen, die nicht jung sind, nicht sehen. Sie sehen über uns hinweg und an uns vorbei. Sie bemerken einen nicht. Kellner selbst dann nicht, wenn sie bereits zum wiederholten Mal am Tisch vorbeigehen und man, nachdem die Hand für ein Zeichen zu klein zu sein scheint, mit dem Brett von Weinkarte wedelt.
Klare Blicke und Schwesternschaft
Ich bin noch nicht in dem Alter, in dem ich einen Stock mitführe, den ich als Stopper in den Raum halten könnte. Ich muss noch mit dem arbeiten, was ich bin.
Ich habe zwei Vorgehensweisen entwickelt:
Taktik 1: Wenn mich der Kellner zum Tisch bringt, an dem ich mit einer Freundin verabredet bin, spreche ich das Thema an. Ich sage so etwas wie „Wir sind jetzt in dem Alter, in dem wir vom Personal übersehen werden. Das macht so einen Abend sehr anstrengend, weil man immer sehr viel wedeln muss. Oder laut rufen. Es wäre ganz wunderbar, wenn Sie einfach ab und zu gucken würden, ob wir etwas brauchen“. Der Verlegenheit oder aufkommenden Unsicherheit des Kellners entgegne ich ein entschiedenes Lächeln und den starren Blick der Zuversicht, dass er das schon schaffen wird. Funktioniert.
Taktik 2 wird angewandt, wenn auch Frauen bedienen. Dann gilt es, sie zur Komplizin zu machen, in dem ich sage: „Gut, dass Sie da sind. Ihre Kollegen bevorzugen ja Frauen unseres Alters nicht mehr wahrzunehmen. Man wartet dann mitunter stundenlang, dass mal jemand guckt.“ Das Lächeln ist jetzt eines unter Schwestern, der Blick verschwörerisch. In der Regel nehmen die Frauen die Aufforderung eines Bündnisses wahr und man hat einen sehr angenehmen Abend. Wenn sie dann noch sagt: „Ich sehe das Problem und ich werde es mal an die Herren weitergeben“, hat man auch noch was für die Sache getan. Bingo.
Aufmerksamkeit als Geschäftsmodell
Abgesehen von der Frechheit, die der Ignoranz innewohnt, verstehe ich die Dummheit dahinter nicht. Wenn ich ein Restaurant betreiben würde, wäre es doch das Erste, dass ich dem Personal einbläuen würde: Frauen jenseits der 45 höchste Aufmerksamkeit zu schenken. Denn es ist ja nicht so, dass sie dort sitzen, weil in ihrer Küche das Wasser steht und sie warten, dass es abläuft. Nein, sie sitzen in meinem Restaurant, weil sie einen schönen Abend haben wollen. Und sich diesen leisten können, und wollen. Und wann hat man einen schönen Abend, als Gast? Wenn man sich willkommen, wenn man sich gesehen fühlt. Wenn die Kellnerin oder der Kellner einen charmant umspielt, Aufmerksamkeit schenkt und für die Zeit des Aufenthalts eine Verbindung herstellt. Und ja, wir, die wir nicht mehr 35 sind, nicht mal mehr 45 und oft eben nicht mehr die erste Wahl bei der „Fuckability“, wir sind sehr empfänglich gegenüber dem Eindruck, wahrgenommen zu werden und willkommen zu sein. Wir gehen schließlich nicht ins Restaurant, um endlich mal wieder übergesehen zu werden. Im Gegenteil. Wir zahlen nicht nur für gutes Essen, sondern auch für die Aufhebung von Ausgrenzung. Wenn ich 89€ für ein Menü ausgebe, dann will ich behandelt werden, wie alle anderen Gäste auch. Das Essen wird ja nicht günstiger, weil ich für Kellner keinen Anreiz mehr für feuchte Träume liefere.
Um es kurz zu machen: In meinem Restaurant gäbe es so ein Aufmerksamkeitsdefizit nicht.
Aufmerksamkeit schenken wäre mein Geschäftsmodell. Neben guten Speisen, natürlich. Ich bin mir sicher, die Damen würden mir die Bude einrennen. Die Konkurrenz würde neidisch gucken und fragen, was mein Erfolgsrezept ist. Ich könnte ein Schulungszentrum aufmachen. Ich könnte Ihnen auch ganz einfach sagen: Frauen mit Respekt behandeln.
Das Restaurant, das den Topf zum Überkochen brachte, diesen Text zu schreiben, ist übrigens „Die Bank“ in Hamburg. Mittlerweile ist das Lokal insolvent und geschlossen.
Und nun, Weitsicht für die Ohren!
Songs der Erkenntnis, Einsicht und Erleuchtung. Zusammengestellt von Michaela Gerganoff