#SICHTBARKEIT47+
Unsere Kampagne – denn Altersdiskriminierung ist weiblich
Vielleicht ist es das Elementarste, was aus der Ära Merkel bleibt: die Vorstellung von Mädchen, Kanzlerin werden zu wollen. Bis zum Jahr 2005 war das keine Option. Es gab kein Bild dieser Möglichkeit, geschweige denn ein Vorbild.
Medien bilden unsere Wirklichkeit ab, Kino und Fernsehen, so heißt es, erzählen vom Leben. In unserem Leben ist eine Frau Kanzlerin. In unserem Leben sind viele Frauen um 50 auf einmal blond, weil bei blondem Haar der graue Ansatz nicht so auffällt. In unserer Welt bekommt jede zehnte von uns Brustkrebs. In unserem Leben fangen Frauen mit 50 Jahren das Klauen an, schreiben ihre Doktorarbeit und manche sind jetzt mit Frauen zusammen. Etliche sind in der Flüchtlingshilfe aktiv. In unserem Leben steigen Frauen ab 47 kaum mehr auf. Dafür bauen ihre Eltern ab. Manche Frauen trinken zu viel. Jetzt, so sagt eine 63-Jährige, habe sie den besten Sex ihres Lebens. Frauen, deren Kinder groß sind, ziehen um. Manche in eine andere Stadt. „Neu“ und „fremd“ zu sein, kennen viele von uns von Anfang an, selbst wenn sie hier geboren sind. Eine von uns hat seit elf Jahren eine Affäre mit einem Mann, mit dem sie sich siezt. Eine andere ist verzweifelt, weil ihre Eltern aus der Wohnung rausmüssen und mit ihrer geringen Rente keine neue finden. Altersarmut ist für viele von uns keine Fata Morgana, sondern ein Versprechen der Zukunft.
Diese Geschichten wollen gezeigt und erzählt werden. Dargestellt von Frauen, die so alt sind wie wir: 47+. Deren Kinnkontur weich zu werden beginnt, deren Knie beim In-die-Hocke-gehen schmerzen. Von Frauen, die mit Langmut auf ihre aus dem Leim gegangenen Ehemänner blicken. Von Frauen, deren Beckenboden nicht mehr hält, was er halten soll, die sich von ihren Hormonen in den Schleudergang geworfen fühlen und ihr Leben verfluchen. Frauen, die nicht mehr schlank sind und Lust auf Sex haben, aber nicht mit ihrem Partner. Frauen, die in den Spiegel schauen und bei der Suche nach dem, was war, sich fragen, was kommt. Frauen, die wissen, was sie können und Lust haben, es zu zeigen.
Ein Viertel der Bevölkerung wird zusehends ausgeblendet
Knapp 21 Millionen Frauen in diesem Land sind über 47 Jahre alt. Ein Viertel der Bevölkerung. Aber wird dieses Viertel im deutschen Fernsehen adäquat abgebildet oder verschwindet es zu Gunsten der Präsenz von Männern? Ja, das tut es, es verschwindet. Unter 100 Akteur*innen ab 48 Jahren sind nur 27 Frauen, aber 73 Männer. Die gleichen Zahlen (27/73) gelten für den Bereich der Information, und kaum mehr vorhanden sind Frauen im Bereich der non-fiktionalen Unterhaltung. Hier kommen auf 100 Akteur*innen gerade mal 23 Frauen – und 77 Männer.
Während der alternde Mann mit jedem grauen Haar interessanter zu werden scheint, verblasst die Präsenz von Frauen zusehends. Auch in der Fiktion sind es nur 36 Prozent, die Gegenstand der Erzählung sind. Und wenn wir gezeigt werden, dann als Frau ohne Unterleib. Wir werden reduziert auf die die Krawatte zurechtzupfende Ehefrau, die Enkel betreuende Oma. Allenfalls auf die Kommissarin. Auch die ohne Unterleib. Kommt der doch einmal zum Einsatz, folgt die Strafe auf dem Fuße – der Liebhaber ist der Böse, in jedem Fall aber wird er erschossen.
Wir wollen andere Drehbücher
Wir wollen andere Drehbücher. Andere Handlungen. Wir wollen nicht erst eine Firma führen, wenn unser Ehemann überraschend tot umkippt und der Betrieb bankrott ist. Wir wollen keine Firma, kein Restaurant und auch kein Dorf retten, damit andere glücklich sind. Wir wollen das völlig egoistisch tun, damit wir das Geld verprassen und unsere jungen Liebhaber, die uns nachts nicht schlafen lassen, im Cabrio durch Italien kutschieren können. Wir wollen, dass wenn fröhlich vor sich hin alternde Schauspieler wie August Zirner, Axel Milberg und Heino Ferch fröhlich vor sich hin alternde Ehemänner spielen, ihre gleichaltrige Ehefrauen mit Darstellerinnen dieses Alters besetzt sind, und nicht mit 20 Jahre jüngeren.
Sie wollen wir sehen, die Schauspielerinnen 47+
Sie finden wir gut.
Interessant.
Aufregend.
Besonders.
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Und deshalb zeigen wir sie Euch! Mit dem #Sichtbarkeit47+ auf Instagram, Facebook & Twitter
Idee und Umsetzung der Clips & Bildmontage: Brigitta Jahn