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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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„What she can see, she can be“ – Nina Kronjäger

Nina Kronjäger
Foto: Sven Serkis

What she can see, she can be

„Aus feministischer Sicht müsste ich die Rollen, die mir angeboten werden, absagen“ – das sagte die Schauspielerin Delphine Seyrig in den 70er-Jahren in Frankreich. An diesem Punkt bin ich auch. Oder besser: war ich, in den 90ern. Und habe – damals noch ganz unmittelbar auf stereotype Frauenrollen reagierend – abgesagt. Ich war die Königin des Absagens. Bis mir meine damalige Agentin riet, mich psychologisch beraten zu lassen, weil ich wohl eine Angststörung hätte – Angst vorm Spielen.
Erst in den 10er-Jahren dieses Jahrhunderts begriff ich, dass diese Stereotypisierung durch den Fakt bedingt ist, dass 85 Prozent aller Filme in Deutschland in den Hauptgewerken von Männern hergestellt werden: Drehbuch, Regie, Kamera, Ton. Wer erzählt, dessen Geschichte, dessen Blick wird erzählt. „The Male Gaze“ nennt sich das. Und dem habe ich versucht zu entkommen. Erst durch Absagen, dann durch Mitarbeit an Projekten von Frauen, die Geschichten aus ihrer Perspektive erzählten, mit Frauen und nicht ÜBER Frauen. Oder im Ensemble mit dem noch völlig unbekannten René Pollesch, der abseits vom bürgerlichen Stadttheater eine völlig neue Form der Performance erfand.

30 Jahre später – ich nicht mehr jung, sondern älter – hat sich die Lage in der Filmbranche keineswegs gebessert. Die Zahl – 85 Prozent Männer in den Hauptgewerken, erhoben 2018 vom Bundesverband Regie e.V. – hat sich kaum verändert. Und meine Lage erst recht nicht: Frauen ab 35 verschwinden von den Bildschirmen, und zu denen zähle ich nun. Glücklicherweise entstanden vor zehn Jahren die Pro Quote-Bewegungen und knüpften an feministische Vorbilder aus den 70er-Jahren an. Eines ist Helke Sander. Die damalige Mitgründerin der feministischen Film-Zeitschrift „Frauen und Film“ war gleich bei mehreren Aktionen initiativ – der Kinderladen-Bewegung, dem „Aktionsrat zur Befreiung der Frauen“ und der legendären Stern-Aktion „Ich habe abgetrieben“.
Es kommt hinzu: Wenn Du als Frau Kinder bekommst, kannst Du Deine Aktionen und Initiativen nicht mehr so vorantreiben, wie es nötig wäre, und oft genug frisst der Alltag Energie. Frauen schlüpfen – das hat die Corona-Zeit gezeigt – in Krisen-Zeiten immer noch in eine traditionelle Rolle und versorgen, während Männer an ihren Karrieren basteln. Zu 67 Prozent wurde die Care-Arbeit während der Lockdowns von Frauen erledigt: einkaufen, kochen, Kindern bei den Schulaufgaben helfen.
Ulrike Meinhof hat das 1969 in einem Interview mit Stefan Aust für den NDR wunderbar auf den Punkt gebracht:

„Wenn Du also als Frau gesellschaftliche Arbeit machen willst, aber zuhause keine Frau hast, die die Hausarbeit macht und die Kinder versorgt, ist es schwer, schwer. Unheimlich schwer.“

Noch dazu ist die Filmbranche die familienUNfreundlichste Branche ever. Die Arbeitszeiten sind so heftig, dass jede Frau es sich sehr gut überlegen muss, ob sie Kinder bekommt. Viele meiner Filmkolleginnen, Maskenbildnerinnen, Szenenbildnerinnen, Regisseurinnen, Autorinnen etc. weichen auf andere Berufe aus. Die, die in der Branche bleiben, haben viel Mühe und wenig Chancen, die „gläserne Decke“ zu durchstoßen und sind von Altersarmut bedroht.

Während nun meine gleichaltrigen Freundinnen AUSSERHALB der Filmbranche in verantwortungsvollen Posten Karriere machen, verschwinde ich vom Bildschirm. Inzwischen nehme ich jeden Job an, denn die Miete will bezahlt sein – Stereotype hin oder her. Ich habe die Wahl zwischen „verzweifelte Mutter“ und „eiskalte Karrierefrau“. Künstlerisch lebe ich mich immer noch woanders aus: bei schlecht oder selten geförderten Film-Projekten und im freien Theater. Und ich freue mich über offene Regisseur/innen wie Philipp Eichholtz, Hansjörg Thurn, Christiane Balthasar, Ziska Riemann, Isa Prahl und Esther Groenenborn, die auf Augenhöhe mit mir noch am Set konservative Sätze streichen und sich über Vorschläge freuen. Die Parität und Diversität und nicht als lästiges Muss sehen, sondern als echte Bereicherung.

Jetzt könnte ich noch unzählige Geschichten von älteren Kolleginnen aufführen, die Ideen für Frauen-Hauptrollen als Kommissarinnen, leitende Angestellte und Chefinnen haben. Die dann gesagt kriegen: Nee, lass mal, das geht nicht mit einer älteren Frau. Und die dann ein ähnliches Format entdecken – jetzt mit einem Mann in der Hauptrolle, der noch älter ist. Aha!?

Ich gehe lieber mit den Best-Practice-Beispielen von Pro Quote Film, WIFT (Women in Film and Television) und EWA (European Women’s Audiovisual Network): What she can see, she can be.
Dieser Satz gilt nicht nur für unsere Töchter, für die allein sich schon jeder Kampf lohnt, sondern auch für uns Frauen in der zweiten Lebenshälfte. Es gilt, Geschichten zu kreieren, die Frauen jeder Generation in Rollen zeigen, wie es sie in der Realität schon gibt: als Wissenschaftlerinnen, Professorinnen, Unternehmerinnen, Politikerinnen.

Delphine Seyrig, die feministische Schauspielerin aus Frankreich, die leider viel zu früh verstarb, ist die Hauptdarstellerin in Chantal Akermans Film „Jeanne Dielman“ von 1975, der gerade zum besten Film aller Zeiten gekürt wurde. Also tut sich doch etwas?

Das Einzige, was hilft, ist strukturelle Veränderung. Und Solidarität. Deshalb freue ich mich, bei der Kampagne „Sichtbarkeit 47+ – Ich bin eine von 21 Millionen, Let´s Change The Picture“ – dabei zu sein.

Nina Kronjäger

Wir sind das Magazin, das nicht nur Themen von Frauen* ab 47 abbildet, sondern sich gesellschaftspolitisch einmischt. Und dazu gehört #Sichtbarkeit47+ – im Herbst 2021 gestartet, erweitern wir unser Anliegen auch im Film und TV realistisch abgebildet zu werden, mit der Aktion #Letschangethepicture.

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