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Palais F*luxx

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Suzanna klaut

Ein innerer Dialog über die zweifelhafte Lust am heimlichen Einstecken

Sie nehmen, was sie kriegen können: Fernsehgeräte, Lippenstifte, Alkohol und Unterwäsche. 325.786 Ladendiebstähle wurden 2019 in Deutschland von der Polizei erfasst. Es »verschwanden« Waren im Wert von 3,75 Milliarden Euro. Durch Videoüberwachung und Hausdetektive ist die Zahl der Delikte seit Jahren rückläufig. Allerdings ist die Anzahl der nicht entdeckten Diebstähle hoch.

Es geht um den Erfolg. Auch beim Klauen

Ladendiebstahl wird häufig von Jugendlichen, alleine oder in Gruppen, begangen. Aber auch Frauen im »besten Alter« greifen beim Shoplifting zu. Zum Beispiel Suzanna. Damit wir sie in ihrer Lust verstehen, ist sie für uns in einen inneren Dialog gegangen.

Wer lieber hört: Sprecherin Meike Graf liest »Suzanna klaut«

Wann hast du zum letzten Mal gestohlen?
Vorgestern. Da habe ich die bestellten Foto-Abzüge aus einem Drogeriemarkt mitgenommen, ohne zu bezahlen. Sonst stehle ich eher Anziehsachen und nie Bücher. Und gelegentlich lasse ich im Supermarkt eine einzelne Zwiebel mitgehen, weil ich selten koche und kein Kilo Zwiebeln brauche.

Abgesehen von der Zwiebel, brauchst du die Sachen, die du stiehlst?
Wenn du meinst, ob ich aus Not klaue: nein. Ich verdiene genug Geld. Andererseits klaue ich nicht wahllos irgendwas. Also kein Katzenfutter oder Babywindeln.

Warum klaust du denn?
Keine Ahnung. Logisch ist es nicht, vernünftig auch nicht. Und strafbar sowieso.

Wie geht`s dir danach?
Ich habe gute Laune, dass es geklappt hat. Wenn meine Beutezüge, so nenne ich das, erfolgreich waren. Ich freue mich diebisch, buchstäblich.

Hört sich an wie ein gelungener Kinderstreich.
Stimmt. Dabei bin ich 49 Jahre alt und habe einen ziemlich ehrenwerten Beruf. Wenn ich erwischt würde, hätte das fatale Folgen.

Machst du es, weil dich das Verbotene reizt?
Das war am Anfang sicher ein Grund. Aber jetzt, wo es immer glatt läuft, geht der Kick auch langsam vorbei.

Erzähl vom ersten Mal.
Ich wollte eine nicht so teure Jeans haben und bin in einen Klamottenladen für Teenies gegangen. Die Jeans passte wie angegossen, dann habe ich noch einen Gürtel gesehen. Mit jeder Menge Nieten. Die Hose habe ich gekauft. Und den Gürtel mitgehen lassen. Als Studentin habe ich früher mal geklaut. Danach nicht mehr. Als ich nun das Geschäft verlassen habe, musste ich lachen. Wie absurd: Mit 49 einen Rocker-Gürtel in einer Mädchenboutique klauen. Ich hatte etwas gemacht, was eigentlich strafbar ist und nicht zu meinem Alter passt. Kennst du das? Schon mal gestohlen?

Hast du nie Schuldgefühle?
Nö. Ich könnte mich jetzt damit herausreden, dass ich nur billige Sachen mitnehme. Oder dass ich als Kind zu kurz gekommen bin, also so ein sozialromantischer Quatsch. Ist aber nicht so.

Dem Handel gehen Millionen durch Diebstahl verloren. Und die Verluste werden auf die Preise wieder angerechnet. Beeindruckt dich das?
Natürlich nicht. Sonst würde ich ja nicht stehlen. Der Handel – das ist abstrakt. In einem Tante-Emma-Laden würde ich nichts mitnehmen, ohne zu bezahlen. Da kann ich mir vorstellen, dass Tante Emma den Verlust selber tragen muss. Aber mein geklauter BH tut niemandem persönlich weh.

Wie klaust du?
Ich gehe durch einen Laden und suche mir ein paar Kleidungsstücke aus. Ich probiere die Klamotten immer an, sie sollen ja passen. Wichtig ist, dass das Teil nicht mit einer elektronischen Warensperre gesichert ist. Die kann man nur mit Hilfsmitteln … Meine Güte, das hört sich jetzt ja an wie eine Anleitung zum Diebstahl.

Warum klaust du am liebsten Kleidung?
Andere Leute entspannen sich bei einem Spaziergang. Ich schlendere gerne durch Boutiquen und Kaufhäuser. Manchmal schaue ich mir die Sachen nur an. Und manchmal kaufe ich, was mir gefällt. Leider gefällt mir ziemlich viel. Irgendwann fand ich es übertrieben, so viel Geld auszugeben. Aber verzichten wollte ich auch nicht. Und so kam die Versuchung, nicht verzichten zu müssen, aber auch nicht zu bezahlen.

Erzählst du deinen Freunden davon?
Ja, manchen. Die einen sagen, das würden sie sich nie trauen. Die anderen machen sich Sorgen, dass ich geschnappt werden könnte. Eine dritte sagte: Ach, kannst du mir das nicht auch beibringen? Und eine guckte streng: Oh, wirst du jetzt eine frustrierte Alte, die vor lauter Langeweile klaut?

Was hast du geantwortet?
Gar nichts. Ich hätte gerne gesagt: Stimmt, gelegentlich bin ich eine frustrierte Alte. Du nie? Aber das ist mir natürlich erst später eingefallen. Keiner meiner Freunde hat sich übrigens ernsthaft mit mir über das Thema unterhalten.

Hättest du dir das gewünscht?
Weiß nicht. Vielleicht.

Man sagt, dass Kinder stehlen, um auf sich aufmerksam zu machen.
Ja, und Frauen in den Wechseljahren klauen, weil sie keinen guten Sex mehr haben. Sicher doch! Und was den Wunsch nach Aufmerksamkeit angeht: Beachtung ist wirklich das Letzte, was ich beim Klauen gebrauchen kann.

Vielleicht willst du insgeheim, dass man dich erwischt?
Das ist genauso blödsinnig, als würde ich zu dir sagen: Du isst zwar jetzt ein Brötchen, aber insgeheim willst du eigentlich verhungern. Wenn du glaubst, ich hätte ein heimliches Bedürfnis nach Strafe, nein, habe ich nicht.

Bist du schon mal von einem Detektiv angesprochen worden?
Ja, der Typ dachte, ich hätte was geklaut. Hatte ich an diesem Tag aber gar nicht. Da hat er sich entschuldigt. Und ich habe im Stillen aufgezählt, was ich schon alles habe mitgehen lassen in dem Geschäft …

Und wenn er dich mit gestohlenen Sachen entdeckt hätte. Was wäre das Schlimmste?
Ich würde mich total schämen. Ich würde im Boden versinken. Es ist so peinlich. Spätestens dann würde ich mir wohl eingestehen, dass das alles gar kein großer Spaß ist, sondern eher kindisch und auch ein bisschen traurig.

Traurig?
Wann sonst wünsche ich mir, dass niemand mich anschaut? Wann sonst begebe ich mich in Situationen, in denen ich unsichtbar sein will ? Und das alles für ein doofes Parfum?

Vielleicht geht es gar nicht um die Sachen, die du klaust.
Sondern?

Um die Handlung. Du hast gesagt, du wolltest nicht auf etwas verzichten, aber auch nicht dafür zahlen. Beim Klauen macht man genau das: nehmen, ohne die Rechnung zu begleichen.
Dann wäre ich ja ziemlich clever, oder?

So gesehen, schon.
Der Witz dabei ist: Im wirklichen Leben ist es genau andersrum. Ich habe das Gefühl, ich muss mir Liebe oder Zuneigung verdienen. Ich bin für andere da, ich höre mir endlos fremde Probleme an. Bei Konflikten gebe ich schnell nach. Und wenn du wüsstest, wie viele komplizierte Beziehungen ich ausgehalten habe in der Hoffnung, eines Tages kriege ich doch was zurück. Scheiß drauf. Ist nicht so. Ich habe jede Menge offener Rechnungen.

Suzanna fängt an zu lachen. Und zu weinen. Und zu lachen.

Suzanna Kleefisch

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