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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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Lesen oder Lassen?

Buchbesprechung: Christine Koschmieder „Dry“

Worum geht es?
Ums Trinken, um Alkohol – so jedenfalls kann man es in ersten Rezensionen nachlesen. Stimmt aber gar nicht, denn in Dry geht es um das Leben einer Frau. Aber – und da stimmen die Rezensionen dann wieder – um eine Frau, die viel Alkohol getrunken hat. 
Christine Koschmieder hat aus ihrem Lebenslauf einen Roman gemacht, in dem sie selbst immer noch Christine heißt, alle in ihrem Umfeld aber andere Namen bekommen haben. Und in diesem Leben geht es auch um Alkohol, der schon im Leben ihrer Eltern eine große Rolle gespielt und damit einen frühen Einfluss auf sie ausgeübt hat. Es geht aber auch um die große Trauer nach dem Tod des geliebten Ehemannes, es geht um die Zweifel, ob man eine gute Mutter ist, um die Rollen als Geliebte, als berufstätige Frau und als Kind.

Warum ist dieses Buch so besonders?
Weil es harte Fakten in einem besonderen Ton erzählt: zart und liebevoll, die erlebten Schmerzen so nachvollziehbar, dennoch unterhaltsam und mitunter fröhlich. Mit einer gehörigen Portion Selbstironie, ungeschönt, wenn es ans Eingemachte geht, und ehrlich bei der Schilderung eigener Fehler (im Tun und im Denken). Ein Buch, in dem man mitunter auch viel über sich selbst liest. Eine Geschichte, die manch eine Leserin vielleicht auch dazu animieren könnte, bei Freundinnen genauer hinzusehen und zu fragen: Warum trinkst du jetzt? Falsche Rücksichtnahme und die Angst, etwas Falsches zu sagen, führen nämlich mitunter in eine ungute Richtung.

Warum sollte mich das interessieren?
Weil wir (fast) alle trinken. Runterkommen mit dem Gläschen nach Feierabend, anstoßen beim Geburtstag im Büro, mächtig was wegkippen, um zu vergessen – kommt Euch das bekannt vor? Christine sagt: Man kann auch Alkoholikerin sein, wenn man mal eine Woche ohne auskommt, wenn man funktioniert und Termine einhält. Aber das Trinken wirkt sich immer aus, zum Beispiel in Schlaflosigkeit. Dry ist besonders, weil es sich nicht an vielfach verbreiteten Weisheiten zum Thema Alkoholismus aufhält, sondern die ganz eigene und sehr kluge Eigenbeobachtung der Autorin wiedergibt. Und die trifft einen ganz besonderen Nerv, wenn es um Trauer, Freundinnen und ja – auch um das Trinken geht.

Warum ist die Autorin interessant?
Christine Koschmieder, 1972 in Heidelberg geboren, kennt den Literaturbetrieb von innen und außen. Sie schreibt und übersetzt, arbeitet aber auch als Literaturagentin. Obwohl sie gewusst hat, dass jede Zeile seziert, untersucht und mit ihr persönlich in Verbindung gebracht werden wird, hat sie sich entschlossen, diesen Roman zu veröffentlichen. Hochachtung!

Kostprobe:
Ich sitze unter meinem Kopfhörer am Schreibtisch und starre abwechselnd auf den Baum vor dem Fenster und das Blatt Papier mit den beiden Achsen, eine horizontal, eine vertikal. 1986, 1996, 1999, 2001, 2003, 2005, 2007, 2013, 2016 habe ich unter die horizontale Achse geschrieben und darüber eine Wellenlinie gezeichnet, die 1986 beginnt und ansonsten aussieht wie die Schlange beim Kleinen Prinzen, die einen Elefanten verschluckt hat. Bloß, dass meine Linie sehr viele Elefanten verschluckt hat. Und unterschiedlich große noch dazu.

„Ich geb Ihnen schon mal die Vorlage, dann haben Sie Zeit, sich damit auseinanderzusetzen“, hat Herr Juckert, mein Bezugsgruppentherapeut, in unserem ersten Einzelgespräch gesagt. „An der horizontalen Achse vermerken Sie bitte alle Ereignisse, die in Ihrem Leben eine Bedeutung für Sie hatten, mit den entsprechenden Jahreszahlen, und oberhalb der Achse markieren Sie Ihren jeweiligen Alkoholkonsum zu dem Zeitpunkt. Und dann verbinden Sie die Punkte zu einem Diagramm.“ Das tue ich gerade. Das sind die verschluckten Elefanten.

Buchbesprechung: Anja Goerz


Christine Koschmieder: „Dry“, ca. 300 Seiten, 24 Euro, Kanon Verlag , hier bestellen

Die Autorin war bei uns im Podcast und das Gespräch mit Anja ist hier zu hören!

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