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An oder aus? „Hanna Schygulla“

Diese ARTE-Doku macht klar, weshalb die Schauspielerin noch immer alle umhaut

Hanna Schygulla in ihrer Pariser Wohnung © SWR/Florianfilm

Hanna Schygulla ist ein Mythos. Die kühle, distanzierte Schöne aus den Fassbinder-Filmen, die nie viel sprach und eher hauchte, sie lebt heute in Paris und Berlin – und ist mit 77 Jahren noch immer interessant. Weil sie Hanna Schygulla ist, die Frau aus den Fassbinder-Filmen. Die sprechende Brücke zwischen dem genialen Irren oder dem irren Genialen und uns, die wir begeistert und verstört auf den Meister und sein Werk gucken und eine Frau wie Hanna brauchen, um Nahbarkeit herzustellen. Um den monströsen Riesen – oder den riesigen Monströsen? – warm und menschlich zu machen und ihm die Quälerei seines Umfeldes zu verzeihen. Vor allem aber ist sie die Frau, die in den wichtigsten Filmen der BRD dem Mythos der deutschen Frau jene Distanziertheit und Brüchigkeit gab, die endlich eine Befreiung darstellte von dem Quark, mit dem die Nazis die „deutsche Frau“ aufgeladen hatten. Sie war der Widerspruch und der Widerstand, ganz nach Brecht, bei dem Herr Egge auf die Frage „Wirst Du mir dienen?“ nach sieben Jahren Schweigen in der Dienerschaft antwortet: „Nein.“

Anders als Marlene Dietrich durfte sie gehen

Hanna Schygulla ist eine Frau von 77, die in jungen Jahren so eine verruchte Ausstrahlung haben konnte, dass ihre Schönheit sich wie ein Schutzschild zwischen sie und das Bürgertum stellen musste, auf dass es die Frau nicht zerriss für ihre laszive Provokation. Hanna Schygulla ist aber vor allem die Schauspielerin, die auch nach dem Ende der Ära Fassbinder Filme machte. Die nie aufhörte, Filme zu machen, und die mit international bedeutenden Regisseuren wie Carlos Saura, Jean-Luc Godard, Ettore Scola und zuletzt Fatih Akin arbeitete, und vielleicht in jeder einzelnen ihrer Rollen diese eigentümlich distanzierte, brüchige und deshalb so interessante Frau verkörperte. Hanna Schygulla ist eine der wenigen deutschen Weltbürgerinnen, der man keinen Strick daraus dreht, dass sie in der Ferne eine Heimat, eine Liebe und einen Ausdruck findet. Marlene Dietrich, Romy Schneider, Hildegard Knef, Ute Lemper – um die prominentesten zu nennen – sind wie Verräterinnen behandelt worden, Hanna Schygulla durfte einfach gehen. Vielleicht war sie zu erhaben, zu weit vom deutschen Thema der Nachkriegszeit entfernt, in das sie Rainer Werner Fassbinder in den unterschiedlichsten Rollen verfrachtete. Ob als Lili Marleen, Eva Braun oder Effi Briest – selbst in den deutschesten Figuren hat sie immer diese distanzierte Haltung eingenommen, die es den Spießbürgern unmöglich machte, sie zu vereinnahmen oder zu verachten. Vielleicht waren sie dafür auch einfach zu dumm.

Eine Frau, der gelungen ist, alles zu integrieren

Vor allem aber ist Hanna Schygulla eine Frau von bald 78 Jahren, die in der ARTE Dokumentation durch ihre Wohnung(en) führt und von ihrem jetzigen Leben erzählt, dass eine Frau von 55 Jahren, nämlich ich, darin bestätigt wird, dass es niemals aufhört. Die Freude nicht und die Suche. Die Hoffnung nicht und die Empfindsamkeit. Die Lust an der Gestaltung des Lebens und die Neugier auf das, was kommt. Wir sehen eine Frau, der es gelungen scheint, alles zu integrieren: den Schmerz und die Trauer, die Hoffnung und die Freude auf morgen. Die Freude am Jetzt und den Blick auf das, was sie selbst war. Eine Frau, die ihre Haustür weit offenstehen lässt, damit sie mitbekommt, was auf der Straße los ist und Menschen den Kontakt zu ihr finden. Und die in einer lebendigen, von ihren Lebensstationen geprägten, bunten Wohnung lebt, statt in einer schönen zu sterben. Die ihr inneres Kind genauso integriert hat, wie sie ihre Ahnen integriert hat. Die durch ihren alten Körper nicht uneingeschränkt sein wird, und sich dennoch ins Leben einbringt, als hätte es kein Ablaufdatum. Wir sehen eine Frau, die Menschen liebt. Die offen, aufrichtig und ungeheuer bereit auf andere zugeht und der es eine Freude ist, sich mit ihnen zu verbinden. Es hat etwas Bewegendes, Anrührendes, diesen großen Star zu sehen, wie er in Berlin an einem Treffen des Vereins „Lupine“ teilnimmt, der Einheimische und Fremde zusammenbringt, und Hanna Schygulla, die als Kind mit ihren Eltern aus Polen kam und die für viele Teilnehmende nicht mehr als eine alte Dame sein wird, so ungeheuer zufrieden scheint. 

Hanna Schygulla trifft geflüchtete Mädchen in Berlin © SWR/Florianfilm

Hanna Schygulla ist eine Frau, die in der Begegnung die Essenz des Lebens gefunden hat und die „Flucht“, die so viele Menschen erleben, nicht als Stigma begreift, sondern als Geschichte von vielen, deren Perspektive die Eröffnung von Neuem ist. Die Möglichkeit, sich neue Räume zu erschließen. 

Hanna Schygulla scheint sich ihr Leben lang neue Räume erschlossen zu haben. Und auch im Alter von 77 Jahren schließt sie täglich etwas neu auf. Das miterleben zu dürfen, davon einen Eindruck zu bekommen, das ist die große Leistung dieser Dokumentation von André Schäfer. Dem Filmemacher gebührt großer Dank für sein Anliegen, Hanna Schygulla zu porträtieren und dies so unkompliziert, so nahbar hinbekommen zu haben. Und so ist am Ende nicht ganz klar, ob der Filmemacher oder die Protagonistin den größeren Anteil an dem hat, was dieses Porträt vermag – nämlich der Zuschauerin etwas Ungutes zu nehmen (Angst) und etwas Neues zu erschließen: Neugier und Zuversicht. 

Empfehlung von Silke Burmester

Zu sehen in der ARTE-Mediathek bis zum 16.11.2022

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Die MaLisa-Studie zeigt es, je älter die Frau, desto geringer ihre Präsenz in den audiovisuellen Medien. Gegen den Mist starteten wir unsere Kampagne: Sie wollen wir sehen! #Sichtbarkeit47+. Mehr dazu gibt es HIER

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