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„Madres Paralelas“ – wie gut ist der neue Almodóvar?

Fünf gute Gründe, diesen Film zu schauen und ein ärgerlicher Haken

Mütter unter sich – natürlich am Herd, wo sonst.
© El Deseo

Mütter
Pedro Almodóvar ist zurück. Der spanische Regisseur, der sich stets als „Frauenversteher“ verstand und von vielen Frauen auch als solcher tituliert wurde und wird, hat mit seinem neuen Film „Madres paralelas“ zu den eigenen Wurzeln zurückgefunden. Im Mittelpunkt stehen Frauen, ihre Geschichten, ihre Mütter und ihre Großmütter.

Janis (Penélope Cruz) und Ana (Milena Smit), beide hochschwanger, begegnen sich im Krankenhaus, kurz vor der Entbindung. Beide sind alleinstehend, beide hatten die Schwangerschaft nicht geplant und doch empfinden sie komplett unterschiedlich. Für Janis, eine berufstätige Fotografin mittleren Alters, scheint es die letzte Chance auf ein Kind, während Ana noch minderjährig ist und äußerst unglücklich über ihren Zustand. Die Begegnung im Krankenhaus, bei dem Janis der jungen Ana beizustehen versucht, führt zu einer tiefen Verbundenheit der Frauen, auch als Mütter.

Tropfende Mutterbrust regt wohl zu sehr auf – das ursprüngliche und zensierte Filmplakat
© El Deseo

Freundschaften und Bürgerkrieg
Was auf den ersten Blick wirkt wie die Erzählung einer Frauenfreundschaft, entpuppt sich im Almodóvar’schen Kosmos als genau das und gleichzeitig als Türöffner für unzählige Welten mehr. Almodóvar verwebt mit dieser Begegnung nicht nur Spaniens Bürgerkrieg, also zehntausende Tote, die bis heute in Massengräbern verscharrt sind und deren Angehörige keine Ruhe finden. Sondern auch die Frage nach biologischer Elternschaft, nach dem Wunsch, die eigene Herkunft zu verstehen und Frieden, nicht nur mit der eigenen Familie, sondern auch mit einem Unrechtsstaat zu machen. Das klingt unfassbar schwer – ist es aber nicht. Denn es ist ein Film von Pedro Almodóvar.

Frauenkosmos
Wie gewohnt inszeniert Almodóvar die Frauen zwischen liebevoll und gnadenlos, aber immer respektvoll. Janis ist schön, intelligent, eine erfolgreiche Fotografin. Ihr Ziel ist es, ein Massengrab im Dorf ihrer Großmutter ausheben zu lassen. Sie erhofft sich Genugtuung und Ruhe für die Dorfbewohner. Hilfe sucht sie beim Anthropologen Arturo Buendia (Israel Elejalde), der ihr zur Seite steht und ihr Liebhaber sowie der Vater ihrer Tochter wird. Da Arturo sich seiner Ehefrau verpflichtet fühlt, trennt er sich von Janis.

Ana hingegen ist sehr mit sich beschäftigt. Mit ihrem Verhältnis zu ihrer Mutter, ihrem Vater und schließlich zu Janis. Politische Zusammenhänge interessieren sie zunächst wenig, für sie zählen die Suche nach Liebe, Bestätigung und familiären Zusammenhängen.

Beide Frauen sind auf unheilvolle und schließlich doch wieder heilende Art miteinander verbunden. So wie Almodóvar es schafft, etliche Themen aufzuwerfen und ihnen auch auf seine Art gerecht zu werden, gelingt es ihm außerdem, diese unterschiedlichen Frauen glaubhaft eine Beziehungsgeschichte erleben zu lassen, die von mütterlicher Fürsorge bis zur sexuellen Anziehung reicht.

Schnurstracks in die Aufarbeitung eines sehr dunklen Kapitels in der Geschichte Spaniens – die Frauen
© El Deseo

Ebenso vibriert ein weiblicher Kosmos drumherum, der zum großen Teil Verlässlichkeit ausstrahlt, ohne dass er unkritisch oder überhöht dargestellt werden muss. Die Mutter von Ana (Aitana Sánchez Gijón) widmet sich lieber ihrer späten Schauspielkarriere als der minderjährigen Tochter und der neugeborenen Enkelin, was spätestens nach einer langen Unterhaltung auf der Terrasse von Janis und in Begleitung von genug Schnaps nachvollziehbar wird. Das erinnert auch an Pedro Almodóvars „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“. Und es erinnert die Protagonistin Janis daran, dass ihre eigene Mutter durch ständige Abwesenheit glänzte, während sie selbst bei der Großmutter aufwuchs.

Auch Janis’ beste Freundin, die mit Rossy de Palma besetzt wurde und damit ebenfalls als Urgestein der Almodóvar-Familie auf alte Zeiten verweist, bringt eine spezielle Note in den Film. Sie würde gern mit Freundin Janis und Kind „Familienglück am Stadtrand“ leben, lässt sich trotz ständiger Körbe nicht beirren und bleibt ihrer Janis treu.

Glaubwürdigkeit
Wer die früheren internationalen Erfolge von Pedro Almodóvar schätzt, wird sich auch hier zuhause fühlen. Das kalkulierte Chaos, die Frauenfiguren, die Mütter, Großmütter und Töchter, die sich finden, kämpfen, lieben, gegenseitig stützen und wieder loslassen müssen – all das bietet „Madres paralelas“. Nach mehreren Ausflügen, die zum Teil zu regelrechten Ausrutschern mutierten, wie „Die Haut, in der ich wohne“ / „La piel que habito“ von 2011, in dem Almodóvar Schönheitswahn ins Genre des Psychohorrors tauchen wollte, ist der spanische Regisseur in seiner Größe zurück. Sein Storytelling, das bisweilen sprunghaft wirkt, ist dennoch dem Leben abgeschaut und vermag zutiefst zu berühren. Denn manchmal ist es einfach so, dass alles im Chaos zu versinken und doch miteinander verbunden scheint und sich schließlich vielleicht sogar in Wohlgefallen auflöst.

Diese Verkomplizierung der Verhältnisse gleicht Almodóvar aus, indem er selbst die Umstände und das Beziehungsgeflecht seiner Figuren nie in Frage stellt. Sie sind gegeben und gerade das macht sie glaubwürdig und gibt uns als Zusehenden die Chance, das Chaos zu akzeptieren.

Distanzierter Blick
Dabei hilft ihm unter anderem auch ein Kniff: Janis ist Fotografin. Wir sehen das Geschehen oft durch ihren Blick durch die Kamera. Das schafft Distanz. So können wir es uns auch immer wieder in ihrem Blick gemütlich einrichten. Die Menschen, die wir beobachten, die sich in ihrem Beziehungschaos verstricken, scheinen fern und gleichzeitig ganz nah. Janis verschafft sich und uns den Überblick, den sie und wir selbst oft zu verlieren scheinen. Almodóvar verfolgt damit einen Kniff, den er in etlichen seiner Filme dank Spiegel, Schlüsselloch-Blicken und Fotos erprobt hat und mit dem er erneut überzeugt.

Der Haken
Zugegeben, wer im Kinosaal sitzt, verfällt schnell der Versuchung, komplett im Almodóvar’schen Universum zu versinken. Eine Mischung aus Wohlfühlkino mit hoher, zum Teil ausgefallener Frauenbeteiligung, und der Thematisierung des Spanischen Bürgerkriegs als der „großen unerledigten Angelegenheit Spaniens“, wie Almodóvar es ausdrückt.

Dennoch sei dem Regisseur an dieser Stelle nicht verziehen, dass er Penélope Cruz unnötig verjüngt – um immerhin zehn Jahre. So mimt sie offiziell eine Enddreißigerin, dabei gehört sie eher zum Leuchtstoff wie unsereins und ist bei Ende Vierzig zu verorten. Bekanntlich können auch Letztere noch gebären. Almodóvars Alterskosmetik ist völlig überflüssig und dazu noch enttäuschend! Es bleibt zu hoffen, dass ihn seine Muse Cruz in Zukunft eines Besseren belehrt. In mehreren Interviews gaben beide zu Protokoll, sie würden sich bis ins hohe Alter treu bleiben. Freuen wir uns also auf zahlreiche Almodóvar-„Frauenversteher“-Filme mit Penélope Cruz: als einmal mehr und endlich leuchtende Frau in der Hauptrolle.

Besprechung: Annette Scharnberg

Madres Paralelas“ läuft seit 10. März in den Kinos.

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