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Palais F*luxx

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„Ku’damm 63“: An oder aus?

Vier Gründe warum man „Ku’damm 63“ nicht sehen sollte.
Und einer, warum doch

Charleys Tante aka Tanzschulbesitzerin Caterina Schöllack (Claudia Michelsen) mit ihren drei Töchtern Helga (Maria Ehrich), Monika (Sonja Gerhardt) und Eva (Emilia Schüle).



Worum geht es? „Ku’damm 63“ ist die Fortführung des Fernsehmehrteilers „Ku’damm 56“ und „Ku’damm 59“. Es wird die Geschichte der Berliner Tanzschulenbetreiberin Caterina Schöllack und ihrer drei Töchter erzählt. Letztere stehen für den Aufbruch in die Moderne nach dem Krieg, die deutsche Biederkeit und den Konflikt der Verdrängung. Die Schuld der Deutschen an Krieg und Shoah, vermeintliche deutsche Tugenden und den Versuch, nach dem Krieg in Anstand, Sitte und Moral Halt zu finden.
Die Verfilmung des Drehbuchs von Annette Hess, die auch „Weißensee“ schrieb, war ein Riesenerfolg – und ein großes Vergnügen.

Was ist dieses Mal anders?

  • Die Verantwortlichen scheinen gesagt zu haben: „Lasst uns das Publikum für dumm verkaufen!“

Es ist die eine Aufgabe, Geschichten, Figuren und Charaktere, nach dem ersten Handlungsreigen weiterzuerzählen. Das kann mal besser und mal weniger gut gelingen, und egal, ob Weißensee oder Downton Abbey, historisch angelegte Fiktion hat das Problem der Verwässerung, wenn die Kerngeschichte erzählt ist, die Hauptcharaktere tot oder in der Sackgasse der Entwicklung gelandet sind. Irgendwann verwässert eine jede dieser Erzählungen und verliert ihre Kraft.
Die Ku’damm-Reihe läuft diese Gefahr nicht. Noch bevor das Drehbuch schlapp werden kann, springen die Besserwisser von ZDF oder die der Produktionsfirma auf und machen den Erfolg auf andere Weise gleich in der ersten Folge kaputt: durch ein vermeintliches Erfolgsrezept.

Natürlich hat man sich angeschaut, warum die bisherigen Ku’damm-Folgen so begeistern und die hauptsächliche Verantwortung liegt dafür auf der Figur der doppelzüngigen, zynischen, berechnenden, gefühlskalten, kapriziösen, überkandidelten, stets formvollendet eleganten Caterina Schöllack und der grandiosen Darstellung von Claudia Michelsen. Sie ist es, die die Fäden, an denen die Töchter hängen und sich im Leben versuchen, in den Händen hält. Sie ist es, der man fassungslos, empört und fasziniert zuschaut.
Also muss in Folge eins die alte Traumschiff-Rezeptur herhalten: „von allem zu viel und das im Übermaß“. Ist Caterina der heimliche Magnet, muss ihre Kraft verdoppelt werden. Statt weiterhin einen fragwürdigen Charakter zu zeigen, wird dem Publikum nun eine Klamotte serviert, in der sich die Hauptakteuse nicht mehr ernst nehmen kann. Claudia Michelsen karikiert das böse Weib und erstickt sie in der Liebenswürdigkeit einer schusseligen Dame, gerade so, als sei der Geist Peter Alexanders Darstellung von Charleys Tante in sie gefahren.  
Ihre Töchter, bis dahin Konkurrentinnen der Lebensentwürfe, fließen in ihrer Sorge um „Mutti!“ nach einer bombastisch komischen Szene gleich zu Beginn der ersten Folge umeinander und um „Mutti“ herum, wie Bächlein im Frühling, an dessen Wasser die Rehe sich laben. So bleibt es auch. Alle sind irgendwie geläutert, gereift, langweilig.

Deutschland 1963: Helga (Maria Ehrich) hat gelernt, mit den Umständen ihrer Ehe umzugehen und sich zu nehmen, was sie braucht. (ZDF-Bild Beschreibung 2021)
  • Außer den Hormonen ist niemand zu hören

Alle mögliche Tiefe der Geschichte, wie etwa die Verstrickungen Caterinas in der Nazi-Zeit, ihr Nutznießen von der Enteignung des jüdischen Vorbesitzers der Tanzschule, ist wie weggeblasen. Übrig bleibt die Erzählung von vier Frauen und ihren Hormonen am Vorabend der wilden 60er-Jahre.

  • Ab ins LaLa-Land!

Und als wäre das nicht genug, muss sich der gebrochene Halbstarke zum fidelen Überlebenskünstler wandeln, immer ein fröhliches Pfeifen auf den Lippen. Der ehemals rebellische Rock´n Roller, der die jüngste Tochter erst über die Schulter und dann ins Wochenbett warf, rau und hippelig von den unausgesprochenen Albträumen eines verfolgten Juden, hat eine Musikkneipe eröffnet und tänzelt in jedem Moment darin, als wäre dies die Kulisse für die Aufnahmeprüfung an der Musical-School. In den schlimmsten Szenen dieses Traumschiff-Schwarzwaldklinik-Szenarios befürchtet man, Freddy springt auf den Tresen und fängt an zu singen.

Dass er das doch nicht tut, muss ein guter Geist verhindert haben, kann aber die ZDF-Peter-Kraus-Vorstellung von den 60-ern auch nicht retten. Muss doch beim Seitensprung der tugendhaften, duldsamen ältesten Tochter mit einem das Feuer der Unterleibsakrobatik in die Tanzschule bringenden Argentiniers (!), gleich der große blaue Vorhang im Zuge der nahenden Eruption aus der Gardinenschiene gerissen werden.

Eva (Emila Schüle) erlebt nicht nur das Ehe-Unglück der modernen Frau, sie ist auch in Sachen Frisur ihrer Zeit voraus
  • Die Ausstattung

„Ausstattung“ ist eines der Zauberwörter für die Erfolgsformel von Serien wie Mad Man, Downton Abbey und Charité. Mit enormer Liebe zum Detail und einer Versessenheit in der atmosphärischen Wiedergabe der Zeit durch Räume, Mobiliar und Accessoires, ebenso wie durch die Kostüme konnten diese Erzählungen so überzeugen. Und die Erfahrung neu bei den Verantwortlichen verankern, dass es sich lohnt, an dieser Stelle Geld auszugeben.

Das hat man auch bei Ku’damm 63 getan. Und – eine Menge falsch gemacht. Die frühen 60-er Jahre waren nicht die Zeit, in der ein jeder eine Zentralheizung in der Wohnung hatte. Ein Telefon, eine Waschmaschine oder Doppelverglasung. Das Wirtschaftswunder hatte zwar großzügig seine Konsumgüter unter die Leute gebracht, aber es blieb zugig. Scheddrig. Mitunter auch notdürftig. Polyesterpullis waren steif, Wollpullis kratzten, Strumpfhosen erst recht. Schuhe waren hart, Brillengläser dick. Davon ist in Ku’damm 63 nichts zu sehen und nichts zu spüren. Ku’damm 63 ist die Ausgeburt des Design-Revivals der Gegenwart. Es ist das Ergebnis der Vorstellung heutiger Design-Liebhaber von den 60-ern. Glatt, schick, stylisch. Geruchsfrei.

Die Schlampigkeit oder das zu-gut-Meinen gilt auch an anderer Stelle: 1963 revolutionierte der Friseur Vidal Sassoon das Frauen- und Frisurenbild, in dem er in London Nancy Kwan einen asymmetrischen Bob schnitt. Sassoon begründete mit seiner Schneidetechnik ein Salon-Imperium samt Ausbildungsstätte, denn zu schneiden wie Sassoon wurde der heiße Scheiß. In Kudamm 63 trägt die mittlere Tochter Eva, die als Galeristin die subversive Seite der aufsteigenden Popkultur verkörpern soll, die Weiterentwicklung des Schnitts ganz selbstverständlich, als hätten drei Tage nach dem Auftauchen von Nancy Kwans Bob, Berliner Friseure geschnitten wie Sassoon. Auch ärgerlich: Ihre Kunst-Freunde überlegen, was mit „Video“ zu machen, dabei waren die Arbeiten, die Nam June Paik 1963 zeigte und die später als Video-Kunst benannt wurden, Fernsehbilder. Das Wort „Video“ in weiter Ferne.

So zieht sich die Schluderei durch diese Produktion im Versuch, der Zuschauer*in einen Opel Rekord A für eine Mercedes W113 vormachen zu können und die frühen 60-er Jahre zur Kulisse von vermeintlichen Frauen-Dramen zu verkitschen.

  • Und warum könnte man es doch gucken?

Weil ein Film wie „Charleys Tante“ auch mal ganz reizend zu gucken ist. Zumal, wenn das Leben im Lockdown eh nichts Dolles bereithält. Und die Vorschau, die das ZDF auf Folge zwei und drei in seinem Presseportal bereithielt, die Hoffnung nährt, dass noch ein wenig mehr Gehalt in die Sache kommt. Sprich, Caterina Schöllack zu ihrer alten Form zurückfindet.

Alle neuen Folgen sowie „Ku’damm 56“ und „Ku’damm 59“ jetzt in der ZDF-Mediathek

TV-Besprechung von Silke Burmester

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