Buchvorstellung: „Die einzige Straße“
Worum geht es?
Eine Siedlung am Rand einer amerikanischen Stadt. In diesem Bungalow-Park leben elf Menschen und ein Hund. Jede und jeder Einzelne trägt schwer an seinem Schicksal. Rachel ist hierher geflohen, als sie wegen Stalking eines Filmstars verhaftet werden soll. Eine Nacht hatte sie mit dem Mann und vermisst ihn immer noch. Greg hat einen Chihuahua im Müll gefunden und päppelt ihn auf, um sich von den Erinnerungen an den Krieg abzulenken, die ihn vom Schlafen abhalten. Da ist das Mädchen Jackie, das sich fett und hässlich findet und nicht versteht, wieso ihr Schulfreund Travis nichts mehr mit ihr zu tun haben will. Travis hingegen vermisst seine beiden Kumpel, die nach Florida gezogen sind, mit denen er im Walmart geklaut und viel Spaß gehabt hat. Obwohl die beiden ihm auch gesagt haben, dass der Laden, in dem seine Mutter Brianna arbeitet, kein Restaurant, sondern ein Nachtclub ist. Seine Mutter denkt manchmal, diese Kumpel waren die falschen Freunde, aber wäre es nicht besser, er hätte falsche Freunde als gar keine? Vielleicht lässt sie sich doch auf Dwayne ein, den Chef des „Starlight“, der einen Pool hat und sie heiraten will.
Was kann das Buch?
Geplatzte Träume und große Wünsche, Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, alles kommt auf wenigen Seiten mit einer solchen Wucht, dass man enttäuscht ist, wenn man das kleine, schmale Buch zu Ende gelesen hat. Zu gerne würde man wissen, ob die dicke Jackie und ihr arbeitsloser Vater den Talentwettbewerb gewinnen, ob sich zwischen Dwayne und Brianna so etwas wie Liebe entwickelt und ob Travis und Jan wieder Freunde werden. Die Bewohner dieses Bungalowparks werden mit so viel Liebe dargestellt, dass man mitleidet, mitfühlt und die Gegend und die Menschen wie in einem bunten Film vor sich sehen kann. Für jede Figur, egal ob altes Schwesternpaar, kleiner Bruder, alleinerziehende Mutter oder Kriegsveteran, findet Astrid Rosenfeld eine ganz eigene Stimme. Die Nachbarschaft ist der rote Faden, der alle Schicksale immer wieder zusammenführt.
Warum sollte mich das interessieren?
Weil die für dieses Buch ausgedachten Menschen im wirklichen Leben überall um uns herum sind. Nicht nur in Trailerparks in den USA, sondern auch in Wohnsiedlungen, auf Dauercampingplätzen, in Straßen unserer Nachbarschaft. Vielleicht ist die Kollegin seit Jahren unsterblich in jemanden verliebt, an den sie aber nie im Leben herankommen wird? Vielleicht ist der Teenie in der Nachbarschaft gar nicht so ein schmieriger Kerl, den sie immer wieder beim Klauen erwischen, sondern einer, der sich danach sehnt, dass man mit ihm redet wie mit einem mündigen Bürger und ihn nach seinen Träumen fragt?
Warum ist die Autorin interessant?
Wenn man dem Autorinnenporträt im Buch glauben darf, dann ist Astrid Rosenfeld, die in Köln geboren wurde, mit einem Cowboy verheiratet, hat einen Hund namens Gus und lebt in Texas. Gleich ihr erstes Buch „Adams Erbe“ war 2011 ein großer Erfolg, auch „Elsa Ungeheuer“ wurde in mehrere Sprachen übersetzt und verkaufte sich fast 200.000 Mal. Menschen und was Zufälle und Schicksalsschläge aus ihnen machen, interessiert sie in all ihren Geschichten.
Kostprobe:
„Wir suchen ein Kleid für Jackie“, sagte Brianna und streichelte über Jackies Kopf.
„Etwas Bestimmtes?“, fragte Abigail.
„Ja“, sagte Jackie, „weiß, lang und der Rock und die Ärmel durchsichtig. Und … und der Rock weit, aber aus leichtem Stoff.“
„Es ist für einen Auftritt“, sagte Diane.
„Whitesnake, Here I Go Again. Ich bin die Frau, die auf dem Auto tanzt“, sagte Jackie. „Aus dem Video.“
…
„Sie betete, dass sie schön aussehen möge. Wie die Frau aus dem Video, wie Amanda Angel, wie jemand, den das Publikum liebte. Und nicht wie eine fette Sau. Sie schlug die Augen auf. Der weiße, leicht durchsichtige Stoff legte sich wie ein gnädiger Filter über ihren Körper. Nicht zu lang hinsehen, nicht zu genau hinsehen. Augen zu. Augen auf. Sie fand, dass sie schön aussah, fast schön jedenfalls.“
Astrid Rosenfeld: „Die einzige Straße“, Kampa Verlag, 18 Euro
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Rezension: Anja Goerz