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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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Lesen oder Lassen?

Buchvorstellung: „Kanalschwimmer“

Bildmontage: Simone Glöckler

Worum geht es?

Charles, Anfang 60, will den Sinn in seinem Leben wiederfinden und deshalb durch den Ärmelkanal schwimmen. Seine Frau Maude hat ihm mitgeteilt, dass sie sich künftig ein Leben zu dritt wünscht. Sein bester Freund Silas soll genauso zu ihrem Leben gehören wie er. Diese Forderung bringt alte Erinnerungen zurück, an einen Sommer auf Sylt, in dem er und Silas Maude und ihre Schwester kennenlernten. Ein Urlaub, bei dem Maudes Schwester überraschend ums Leben kam. Charles erhofft sich tiefe und neue Erkenntnisse, wenn er im Wasser ganz auf sich gestellt ist. Wir begleiten ihn beim Schwimmen und bei seinen Erinnerungen, an das, was war.

Was kann das Buch und was hat es mit mir zu tun?

Wie einfach und zugleich treffend könnte man das Leseerlebnis mit dem Schwimmen gleichsetzen: Man taucht ein in die Sprache der Autorin, man gleitet an der Landschaft vorbei, man bewegt sich stetig durch Sätze und Absätze, zwischendurch holt man Luft. Wassertretend liest man einen Absatz wegen der poetischen Formulierungen noch einmal. Taucht ganz tief ein in das Leben von Charles. Tatsächlich fragt man sich: „Würde ich das auch schaffen? Wäre das ein Wagnis, das ich in meinem Alter noch eingehen würde? Brauche ich ein körperlich derart forderndes Erlebnis, um mich und mein Leben zu hinterfragen?“ Es ist spannend zu verfolgen, ob Charles tatsächlich die französische Küste erreicht, aber ebenso spannend zu lesen, wie er sich körperlich und geistig verändert, je länger die Kanalquerung dauert und je größer seine Erschöpfung wird.

Warum sollte mich das interessieren?

Je älter wir werden, desto öfter denken wir alle vermutlich über das nach, was bereits hinter uns liegt. Machen uns Gedanken über Abzweigungen, die wir genommen haben und fragen uns: Habe ich mich damals richtig entschieden? Was wäre gewesen, wenn ich den anderen Weg gegangen wäre? Wohin hätte mich diese Entscheidung geführt? Welche Menschen, die mich schon lange in meinem Leben begleiten, sind wichtig für mich, welche verzichtbar, welche schaden mir womöglich? Während Charles schwimmt, hat jede Leserin Gelegenheit seinen Gedanken zu folgen und eigene Überlegungen anzustellen. Es geht gar nicht ums Scheitern oder Gelingen, sondern um Selbstliebe und Lebenslügen.

Warum ist die Autorin interessant?

Ulrike Draesner, 1962 in München geboren, lebt inzwischen in Berlin und Leipzig, wo sie seit 2018 das Deutsche Literaturinstitut Leipzig leitet. Sie schreibt und übersetzt aus dem Englischen und Französischen.
Auf ihrer Internetseite steht: „Als polyglotte Grenzgängerin zwischen den Kulturen, Disziplinen und Gattungen versteht es Ulrike Draesner, Tabus und Sehnsüchte des 21. Jahrhunderts durch Sprache zu erkunden.“ Und die Jury des Joachim Ringelnatz-Preises erklärte 2014: „Ulrike Draesner poetisiert die Welt.“

Kostprobe:

»Durchscheinend licht stand der Tagmond unterhalb der Sonne am Himmel, aufgegangen aus dem Nirgendwo. Späterer Nachmittag. War Sommer? Es hatte geregnet. Der Wind wehte. Sommer war doch. Noch für Stunden wäre es hell. Die Wellen zappelten, als hofften sie, nach Jahrmillionen der Jagd exakt heute Nacht den Mond zu erwischen und ihm übers Gesicht zu lecken. Charles leckte sich über die Lippen. Fahrrinne zwei. 500–600 Handelsschiffe pro Tag. 340 Meter lang. Tiefgang 25 Meter. Gewicht 30.000 Tonnen, gefüllt mit Kleidung, Autos, Melasse, Öl. Quer dazu 100 konventionelle Fähren, diverse Hochgeschwindigkeitsfähren, 50–70 Jachten, Schiffe der Küstenwache, Urlaubssegler, Kriegsschiffe auf Übungsgang, gigantische Kreuzfahrer, ein paar Fischerboote und ein oder zwei oder drei Kanalschwimmer, die punktklein neben einem Boot kraulten und japsten. Von einem Bremsweg konnten weder bei den großen Schiffen noch bei Charles die Rede sein.«

Ulrike Draesner: „Kanalschwimmer“, Penguin Random House Taschenbuch, 12 Euro
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Rezension: Anja Goerz

An dieser Stelle erweitern wir unsere Bibliothek um zeitlos gute Bücher, die Jahre nach Erscheinen ein „Ach ja, das wollte ich auch noch lesen!“ hervorrufen.

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