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Palais F*luxx

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Alice – an oder aus?

Ulrike Meinhof oder Alice Schwarzer? In den 1970er-Jahren war unklar, welche Frau mehr Sprengkraft hat, die BRD zu verändern. Anlässlich des 80. Geburtstags von Alice Schwarzer hat die ARD die frühen Jahre ihres Kampfes verfilmt.
Silke Burmester hat sich das angesehen

Ein kleines Buch mit großen Folgen – wer so was erschafft, darf auch zufrieden gucken. Und hat zum 80. einen Zweiteiler verdient. NIna Gummich als Alice Schwarzer
Foto: Alexander Fischerkoesen



Die wohl wichtigste deutsche Feministin des letzten Jahrhunderts wird 80, Alice Schwarzer.
Was wir Frauen, aber auch das ganze Land ihr zu verdanken haben, ist schwer zu bemessen und wird vielleicht erst in weiter Ferne zu erfassen sein, denn es ist viel, sehr viel, aber seit ein paar Jahren demoliert die Frau nicht nur ihr Erbe und sich selbst, sondern auch den Feminismus.

Immerhin aber, dieses Land wäre nicht dieses Land ohne Alice Schwarzer, und da ist es nur richtig, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen ihr einen Zweiteiler widmet. Einen Film, der mit dem einfachen Titel „Alice“ auskommt. „Alice“, das ist in der ehemaligen BRD so etwas wie die lila Latzhose und „Emma“ Synonym für den den braven Bürger beängstigenden Feminismus. Damals noch „Emanzipation“ genannt, das Wort „Emanze“ wurde rund zwei Jahrzehnte wie ein glühendes Schwert geschwungen.
So könnte man neugierigen Auges auf diese 180 Minuten Fernsehaufklärungsunterhaltung schauen und gucken, wie ist sie gemacht? Gut? Schlecht? Wahrhaftig oder märchenhaft? Verkitschend und kritiklos? Oder überspannt, gar lieblos und boshaft?

Nur, das Problem ist, dies ist kein Film über Grzimek oder Käthe Kruse. Es ist ein Film über Alice Schwarzer. Über eine Frau, die sich zunächst in den Kampf mit der halben Bundesrepublik warf, das Land für Frauen veränderte und dann, als sie älter wurde, sich nicht scheute, sich von der Bild-Zeitung als Werbefigur vereinnahmen zu lassen, in Rateshows aufzutreten und als Steuerhinterzieherin Opfergeheul anzustimmen, bevor sie durch ihre paternalistisch-rassistischen Äußerungen Frauen nicht-deutscher Herkunft diskreditierte. Um wenig später dadurch aufzufallen, dass sie zu erkennen vorgibt, wer „echte“ Transmenschen seien, mit dem Anspruch, die „unechten“ vor sich selbst schützen zu müssen.
Kurz: Alice Schwarzer die Ältere ist eine Person, die die Sympathien verspielt hat und auf dem Abstellgleis des gestrigen Feminismus die verwaschene Fahne einer weißen Übermacht schwenkt.

Wie also geht es, den ARD-Zweiteiler zu gucken, der das Leben der jungen Alice Schwarzer bis zum Erscheinen der Zeitschrift „Emma“ erzählt?
Indem ich diesen Film als diesen Film nehme, den Rest zur Seite packe und schaue, ob er gut gemacht ist. Ob er Alice Schwarzer gerecht wird. Ob er den Zuschauer*innen gerecht wird. Ob er sich zu gucken lohnt.
Das ist ein guter Ansatz einerseits, nur leider kommt jetzt schon die nächste Einschränkung um die Ecke geschlichen: Ich bin Alice Schwarzer nie begegnet, ich habe keine der bedeutenden Biografien über sie gelesen, wie etwa die von Bascha Mika. Ich kann also nicht abgleichen. Kann nicht beurteilen, ob der Film nah am Leben der Schwarzer ist, wie sehr die gezeigte Geschichte der jungen, ehrgeizigen und sehr zielstrebigen Frau mit dem geliebten Opa im Hintergrund stimmt.

Bleibt also nur, zu gucken, ob der Zweiteiler als Film funktioniert. Und vor dem Hintergrund, dass Tausende anderer Frauen* diese Informationen auch nicht haben, ist das am Ende des Tages auch genug.
Legen wir also los!


Was erzählt der Film?

Erzählt wird die Zeit, in der Alice Schwarzer nach Paris geht und ihre ersten Schreibversuche für Zeitungen und Magazine unternimmt, wie sie nach französischem Vorbild die deutsche Illustrierte „Stern“ dazu bekommt, 374 Frauen sagen zu lassen: „Ich habe abgetrieben“. Wie sie getrieben ist von dem Willen, die Geschichten der Frauen zu erzählen, die auf der medialen und gesellschaftlichen Oberfläche nicht vorkommen, die der Arbeiterinnen. Der Alleinerziehenden. Der Hausfrauen, für die das „Nachkommen der ehelichen Pflicht“ im Gesetz verankert ist. Erzählt wird die Zeit der entstehenden zweiten Welle der Frauenbewegung in den 70er-Jahren und der Entschluss Schwarzers, eine Zeitung zu gründen, „Emma“. Begleitet wird die Erzählung durch zwei Liebesgeschichten und einen toten Kater. Und es scheint das Anliegen des Drehbuchautors Daniel Nocke und der Regisseurin Nicole Weegmann zu sein, dass wir wissen, auch die berühmte Deutsche mit den Borsten auf den Zähnen hat Gefühle.

Das ist lebendig und lebensnah umgesetzt, vor allem der Charakter ihres Lebensgefährten, des Franzosen Bruno, bricht in seinem Facettenreichtum das Schwarz-Weiß der bundesrepublikanischen Engstirnigkeit auf und zeigt eine Alice, die früh die Kraft tiefer Verbindungen verstanden hat, gleichzeitig aber auch weiß, dass das Bindende eine Falle sein kann, die gerade Frauen davon abhält, sich zu entfalten.

Irgendwann wird man vielleicht auch mal die Frauen in den Blick nehmen, die neben Alice Schwarzer gekämpft und die „Emma“ groß gemacht haben. Erstmal aber geht es aber um Alice Schwarzer (Nina Gummich)
Foto: Alexander Fischerkoesen


Ist das gut umgesetzt?

Ja. Und nein. Die Originalszenen demonstrierender Frauen und anderer Bilder der Zeit holen die Erinnerung hervor, wie sich die 70er-Jahre anfühlten. Wie sich diese Republik begriff, zwischen Männern, die noch Hüte trugen, Hausfrauen, die im Kostüm zum Einkaufen gingen und jungen Frauen, die in den Ausläufern eines hippiesken Schicks die Ernsthaftigkeit der Entschlossenheit zur Revolte in die Institutionen und Wohnzimmer brachten.

Wenn die Spielfilmszenen in einem sicherlich nahezu perfekt umgesetzten 70er-Jahre-Szenario schemenhaft wirken und an die Künstlichkeit von Theater erinnern, dann hat das mit einem Umstand zu tun, der in den letzten Jahren Film- und Fernsehproduktionen häufig die Überzeugungskraft raubte: der Perfektion der Ausstattung. Das Interieur mag zwar noch entsprechend studentischen WG-Lebens abgeschrabbelt sein, die Teller und Schüsseln sind es schon nicht mehr. Da ist kein Chip am Rand, kein Sprung in der Schüssel. Der große Spielverderber aber ist die Garderobe der Schauspieler*innen. Zu jeder Zeit laufen diese loch- und laufmaschenfrei herum, keine Flecken, keine Flicken, keine Gebrauchsspuren sind auszumachen, gerade so, als entstammten die Student*innen der 70er, die sich im Kampf gegen den §218 zusammenfanden, allesamt einer Textildynastie.

Das ist schade und lässt manchmal den Eindruck einer Aufführung entstehen, statt das Gefühl zu vermitteln, Beobachterin zu sein. Gerade in Filmen, die bedeutsame Momente einfangen, in denen große Reden geschwungen werden, in denen das Pathos mitunter so großzügig wie der billige Rotwein ausgegossen wird, „Ich gründe hiermit offiziell die Aktion 218!“, um mit kollektivem Jubel belohnt zu werden, wäre mehr Authentizität hilfreich.

Was macht den Fim besonders?

Nun aber das Wesentliche: Alice Schwarzer. Und die wahrlich herausfordernde Aufgabe, dieser in den 1970er-Jahren nach Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin als Gesellschaftsfeindin Nr. 3 gehandelten Frau ein Abbild zu geben.
Aber eigentlich geht es nicht darum, über Alice Schwarzer zu sprechen, sondern über Nina Gummich, die Alice spielt. Und dies auf eine Art und Weise, in einer Perfektion, die manchmal fast furchteinflößend ist. Gummich ist in der Lage, Schwarzer zu imitieren. Aber nicht auf eine despektierliche Art, sondern auf die, dass man das Gefühl hat, der jungen Alice Schwarzer beim Leben zuzugucken.

Gummich gelingt es, der später überwiegend als Kratzbürste und Gifthexe dargestellten Frauenrechtlerin eine private, intime Seite zuzuschreiben, voll Humor und Witz, die Schwarzer, das verraten ihre Fernsehauftritte, auch als junge Frau gehabt haben wird. Gummich zeigt eine warme, lebendige, vor allem aber angstfreie und entschlossene Frau, der zuzugucken Spaß macht. Das Irritierende und Grandiose ist, dass Gummich – die Schwarzer optisch sehr nahkommt – es versteht, das Schwarzerische mehr als gekonnt abzubilden: der freundlich ausgesandte Blick, der sich wie ein giftiger Pfeil in das Gegenüber bohrt, die kühle Überheblichkeit und Arroganz, mit der sie ihre Kontrahenten wie zufällig in die Ecke weist, die Oberlippe, die in ihrer steten beleidigten Zurückgezogenheit ihre Selbstgerechtigkeit zum Ausdruck bringt. Und selbst die Schwarzerische Sprachmelodie mit ihrer stetigen Selbstbehauptung hat Gummich aufs Beste verinnerlicht.
Man kann diese zwei Teile also gucken, um zu sehen, wie Alice Schwarzer erst Bruno, dann die Frauen und anschließend die Republik erobert hat. Man kann aber auch einer Schauspielerin zugucken, der es gelingt, die junge Version einer real existierenden Persönlichkeit in Perfektion lebendig werden zu lassen.


Und warum finde ich am Ende Alice Schwarzer und die Gummich schlimm?

Kleiner Exkurs: Der Zeitpunkt, als insbesondere die Bild-Zeitung aufhörte, auf Alice Schwarzer herumzuhacken, war der, als sie in ihren Fünfzigern war. Das ist welche Zeit? Ja, richtig, die in oder nach den Wechseljahren. Als Schwarzer in den Augen patriarchaler, sexistischer Blattmacher aufgehört hatte, ein sexuelles Wesen zu sein. Schwarzer ihrerseits begann, in gesellschaftlichen Kontexten jenseits der Kampfzonen aufzutauchen und dankte später der Springer-Presse die neue Softness, indem sie Teil einer großen Werbekampagne der Bild-Zeitung wurde. Bereits Anfang der 90er-Jahre hatte sie begonnen, Talkformate im Fernsehen zu moderieren, und als sei für die Vorkämpferin für Frauenrechte die Rolle der frechen Plaudertante nicht genug, wurde Alice Schwarzer 1990 Teil des Rateteams von „Was bin ich?“.

Bereits damals hätte man ihr das Zepter aus der Hand reißen und sie ihrer Rolle als Vorkämpferin entledigen sollen. Eine Frau, die, nachdem sie wie wohl kaum eine andere Anfeindungen, Schmähungen und Verleumdungen ausgehalten hatte, die rücksichtslos auch gegen sich selbst gefochten hatte, damit Frauen endlich gleiche Rechte bekämen, sitzt im Fernsehen und macht „heiteres Beruferaten“?
Der gesellschaftliche Umgang mit Schwarzer wurde immer freundlicher, ihre Auftritte in den Rateshows immer häufiger. Alice Schwarzer war Teil eines Establishments, das nach dem Motto „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“ alles sportlich nimmt und sich beim Golf-Spielen auf die Schulter klopft.

Alice Schwarzer hat den Anschluss an den modernen, den intersektionalen Feminismus verpasst. Ihr Feminismus ist ein paternalistischer, den auch ihre Gegner von damals unterschreiben würden. Sie ist den Rateshows treu geblieben. Nina Gummich, 1991 geboren, also 31 Jahre alt und vielleicht von einer größeren Naivität, als ihre Leistung ahnen lässt, scheint das, was sie so eindrucksvoll gespielt hat, als eigentümliche BRD-Gespenstergeschichte verstanden zu haben. Dieser Tage bestreitet sie zusammen mit Alice Schwarzer das ARD-Wissensquiz „Wer weiß denn sowas?“.

Das ganze Leben ist ein Quiz: Ratetante (links, 80 Jahre alt) und Darstellerin von Alice Schwarzer, bevor sie Ratetante wurde. Ja, da war mal was mit Feminismus. Egal, heute wird gefeiert!
Foto: ARD/Morris Mac Matzen

Für alle, die das gucken möchten:
WER WEISS DENN SOWAS? FOLGE 921, „Alice Schwarzer und Nina Gummich“, am Mittwoch (30.11.22) um 18:00 Uhr im ERSTEN.



Am Mittwoch, 30. November um 20.15 Uhr in DasErste
In der Mediathek Teil 1
In der Mediathek Teil 2
Trailer hier

Besprechung: Silke Burmester

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