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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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Wenn nicht ich, wer dann?

Buchvorstellung: „Wenn nicht ich, wer dann?“

Illustrationen, die nicht begeistern – zumindest nicht Silke Burmester
Bildmontage: Simone Glöckler

Worum geht es?
Das Buch ist eine Sammlung von Reden. Reden von Frauen. Sehr unterschiedlicher Frauen aus unterschiedlichsten Zeiten. Und zu unterschiedlichsten Themen und Anlässen. Etwa die Worte von Nancy Astor, die 1920 im englischen Plymouth als erste weibliche Abgeordnete eine Rede hielt, die Ansprache von Sarah Winnemucca, die als erste amerikanische Ureinwohnerin 1884 vor dem US-Kongress sprach, die Schauspielerin Emma Watson, die 2014 vor den Vereinten Nationen die „HeForShe“-Kampagne eröffnete oder Countess Markiewicz, die als irische Freiheitskämpferin und Feministin die Frauen aufrief, die Eigenständigkeit Irlands gegenüber England auch mit Waffen zu verteidigen.

Was kann es?
Interessieren. Begeistern. Mitreißen.
Und ja, auch bestens unterhalten. Denn die Texte, in denen die Rednerinnen vorgestellt sind, sind spannend und informativ. Und die Reden überraschend, aufrührend, fesselnd ebenso wie entfesselt. Und sie sind faszinierend, denn sie bringen die eben doch immer wieder überraschende Erkenntnis, dass unsere Bestrebungen nach Emanzipation, Selbstbestimmung und die Forderung nach einer geschlechtergerechten Gesellschaft und Teilhabe kein Ausbund der Moderne sind, oder der großen Emanzipationsbewegung der 70er-Jahre. Sondern, dass diese Forderungen und fordernde Frauen schon vor 100, 150, ja sogar schon vor 200 Jahren laut wurden.
Natürlich ist es erschreckend, festzustellen, wie wenig sich am Ende getan hat. Beziehungsweise, wie aktuell die Forderungen noch immer sind, obschon sich viel getan hat. Zu sehen, dass, wenn Fanny Wright 1829 sagt: „Bevor Frauen nicht den Platz in der Gesellschaft einnehmen, den ihnen Vernunft und Empfinden gleichermaßen zuschreiben, kann der Fortschritt der Menschheit nur langsam vorangehen. Es bringt nichts, die Macht einer Hälfte der Menschheit einzuschränken…“, diese Worte, diese Gedanken, diese Forderung noch immer Gültigkeit haben.
So sind es vor allem die frühen Reden, die faszinieren. Natürlich gehören auch Politikerinnen wie Ellen Johnson Sirleaf, Präsidentin von Liberia, und Angela Merkel in diesen Kanon. Aber ihre Worte entwickeln kaum diese Kraft wie die derer, die allein mit dem Umstand, dass sie ihre Stimme erhoben haben, die Gesellschaft, oder Teile davon, gegen sich aufgebracht und sich gesellschaftlich ins Aus gebracht haben. Natürlich ist es etwa für eine Frau aus Saudi-Arabien auch heute noch ein Risiko, sich für die Rechte von Frauen auszusprechen – und dennoch ist es faszinierender zu lesen, dass eine Frauenrechtlerin und Aktivistin gegen Sklaverei wie die schwarze Sojourner Truth, die weder lesen noch schreiben konnte, dies 1851 getan hat.
Spannend ist, zu sehen, dass es in wohl all diesen Reden um Gerechtigkeit und Menschlichkeit geht. Dass Frauen ihr Tun, ihr Handeln und ihre Worte in den Dienst einer gerechten Gesellschaft stellen, nicht in das Wohl einer einzelnen Gruppe. Wenn die Frauen ihre Stimme erheben, ob 1851 oder 2018, geht es – anders als bei so vielen Reden haltenden Männern, die selbstverständlich von der Herrschaft und Vorherrschaft ihres Geschlechts ausgehen – nicht um die Unterjochung anderer. Ihr Anliegen ist stets das faire, gleichberechtigte Miteinander innerhalb einer Gesellschaft.

Aber das Buch, dessen Geschichten und Reden sich so wegschlürfen lassen, von denen man noch eine und noch eine lesen möchte, begeistert eben auch, weil die Reden dieses große Gefühl von Gemeinschaft erzeugen und den Kampfesgeist schüren. Sie bringen in Erinnerung, worum es geht und lassen einen erneut spüren, was es heißt, auf der Seite der Frauen zu stehen.
So vermag das Buch mit Sicherheit auch, Frauen dahin zu bringen, dass sie denken: „Es reicht!“ und „ich tu jetzt was!“, und ihnen Mut zu machen, das Wort zu ergreifen.

Warum sollte mich das interessieren?
Dumme Frage.

Wie ist es geschrieben?
So, dass es schwerfällt, es aus der Hand zu legen. Das liegt nicht so sehr am Stil als an der Sogwirkung, die die interessanten Frauen entwickeln.
Man mag es als Manko empfinden, dass viele Reden nur in Auszügen abgedruckt sind, schön aber ist, dass es weiterführende Links gibt, hinter denen sich mitunter die Originalrede, meist aber Filmmaterial verbirgt. Leider ist der Link lang und erlaubt ständiges Verschreiben, sodass es etwas mühsam ist, ihn einzugeben. Ein QR-Code wäre eine bessere Variante gewesen.

Und was ist nicht so gelungen?
Ganz klar: die Illustrationen. Es gibt seit ein paar Jahren den Trend zur naiven Illustration. Wie in einem Bilderbuch sind auch in „Wenn nicht ich, wer dann?“ die Illustrationen farbstark und großflächig, vor allem aber simpel (und oft auch schlecht). Das macht nicht nur die vorgestellten Frauen klein, sondern auch die Leserin. Ich kann nicht umhin, das Gefühl zu haben, ein Buch in den Händen zu halten, das für mich nicht gemacht ist. Man kommt nicht umhin, das Gefühl zu haben, ein Buch zu lesen, das sich an junge Frauen bzw. Teenager richtet. Das ist per se nicht schlimm und ja, Teens und junge Erwachsene sollen unbedingt dieses Buch lesen, wenn nicht sie, wer dann?! Aber das Buch wird nicht für sie vermarktet, sondern für Erwachsene. Und so geeignet es für junge Frauen ist, so interessant ist der Inhalt eben auch für eine Frau Mitte 50. Und mir widerstrebt es, mit Kinderbildern bedient zu werden.
Man wird sich bei der Wahl der brasilianischen Illustratorin Camila Pinheiro an dem Welterfolg „Good Night Stories for Rebel Girls“, dem feministischen Einstiegsbuch für Mädchen, orientiert haben, dass diese Form der Illustration erfolgreich gemacht hat. Dann soll man das aber bitte auch entsprechend vermarkten und nicht so tun, als brächte man ein Buch für erwachsene Frauen heraus.

Geschenk: Wegen der Illustrationen würde ich es niemandem über 22 Jahren schenken, da käme ich mir blöd vor. Ab dem Alter von 14 Jahren aber würde ich alle feministischen Menschen damit beglücken, die mir unterkommen. Und Mädchen, deren feministischer Geist noch wachgekitzelt werden muss.

Anna Russell: „Wenn nicht ich, wer dann?“, Sieveking Verlag, 178 Seiten, 22€ – hier bestellen

Rezension: Silke Burmester

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