Buchvorstellung: „Warten. Leben. Sterben“
Worum geht es?
Die 35-jährige Privatdetektivin Isa Winter lebt mit ihrer besten Freundin Tina und ihrem 15-jährigen Sohn Karl in Berlin. Über ihren Beruf sagt sie, er bestehe zu 80 Prozent aus Warten. Bis ihr aktueller Fall eine Wendung nimmt, die sie herbeigeführt hat. Ihre Klientin Katharina Schneider beauftragt Isa, ihren Mann zu beobachten und zu ermitteln, ob er sie betrügt. Die Detektivin ist so fasziniert von Katharina, dass sie entgegen ihrer Regeln versucht, den Mann von dem vermeintlichen Seitensprung abzubringen. Wenig später fällt Katharina Schneider aus dem Fenster ihrer Wohnung – ein Unfall, sagt die Polizei. Nein, glaubt Isa Winter und kommt vom Warten ins Handeln..
Warum sollte mich das interessieren?
Ein unkonventioneller Krimi mit einer unkonventionellen Detektivin. Inken Witt hat mit Isadora Winter, so der volle Name der Protagonistin, eine uns nahe Figur geschaffen. Nicht, dass wir alle viel warten bzw. als Detektivin arbeiten. Doch Isa Winter ist als Mutter, Freundin und Liebhaberin so echt, wie eine Figur eben sein kann. Sie macht was verkehrt in der Erziehung, einiges wieder gut und versteckt ihre Zweifel gekonnt. Sie ist als beste Freundin da, doch auch mal nur halb, und als Liebhaberin nimmt sie sich, was sie benötigt und verschanzt sich anschließend hinter einer „Mehr will ich nicht“-Mauer. Bei der Ausübung ihres Berufes, so meint sie, bewege sie sich auf sicherem Terrain, muss nicht das Innere nach außen kehren und kann „Menschen dabei beobachten, wie sie sich selbst und andere belügen“. Und dabei noch ihren Klient*innen Geld abnehmen. Durch ihre immer intensiveren Ermittlungen im Todesfall von Katharina Schneider verpasst sie beinahe die erste Liebe ihres Sohnes Karl, verprellt ihren Lover und findet einen neuen.
Warum ist das gut?
Dies ist nicht der spannendste Krimi, aber ein sehr unterhaltsamer! Vor allem ohne Mackerei, ohne Angeberei. Die Autorin erspart uns seitenlange Verfolgungsjagden und unnötige Schießereien sowie sexuelle Gewaltverbrechen an einer Frau. Mit Chuzpe, Kombinationsgabe und einer Prise Sexiness lässt Inken Witt ihre Protagonistin den Fall lösen. Dabei lässt die Figur einige Federn, doch der Kopf bleibt oben, wenn auch mit Schrammen. Mit wenigen Worten erzeugt Inken Witt die richtigen Bilder im Kopf. Die Figuren sind tief, aber nicht nervtötend tief gelagert. Sie schreibt realistische Mutter-Sohn-Dialoge und fabuliert keine Supermom oder Superheldin herbei. Der Krimi-Plot ist gekonnt verwebt mit durchschnittlichem Alltag und dem bekannten Auf und Ab einer Alleinerziehenden. Dazu das Chaos zwischendrin mit den üblichen Selbstzweifeln, die mit der besten Freundin besprochen und einem guten Glas Rotwein weggespült werden.
Die Autorin
Die 47-jährige Inken Witt lebt als freie Autorin und Coach mit ihrer Familie in Berlin. Sie hat zahlreiche Hör- und Drehbücher geschrieben, an vielen Drehbüchern beratend mitgewirkt und lehrt Drehbuchentwicklung. Auch Isa Winter sollte ursprünglich eine TV-Serienfigur werden, doch Witt entschied sich für die Romanform. Ich hoffe sehr auf weitere Bände um die Berliner Detektivin.
Kostprobe:
Eine weitere irrige Vorstellung, die Leute von der Arbeit einer Privatdetektivin haben, ist die, dass wir Fälle lösen. Das kommt wahrscheinlich von zu vielen Krimis. Wir bestätigen den Verdacht, dass ein Partner fremdgeht, ein Angestellter stiehlt oder jemand zu Unrecht Leistungen bezieht. Mehr nicht. Wir folgen nicht einer kaum sichtbaren Spur wie ein Fährtenleser in Abenteuerbüchern. Durch den Auftrag werden wir auf ein Gleis gesetzt und folgen diesem bis zu seinem Ende. Manchmal zum gewünschten Bahnhof, manchmal zu einem Prellbock am Ende eines Abstellgleises. Manchmal stolpern wir quasi über eine Weiche und wechseln die Spur. Karl hat seine Holzeisenbahn geliebt, als er klein war. Mich hat sie in ihrer Begrenztheit immer deprimiert. Jedenfalls lassen sich unsere Aufträge fast immer auf klare Ja/Nein-Fragen herunterbrechen. Eine richtige Ermittlung, bei der alles offen ist, alles sein kann, bei der noch nicht einmal klar ist, ob es überhaupt eine Tat gibt, die Ermittlungen rechtfertigt, ist etwas vollkommen anderes. Sie ist wie ein riesiges Knäuel. Nicht aus einem Faden, den man sorgsam und folgerichtig entwirren kann, sondern vielleicht aus Hunderten, Tausenden langen und kurzen Fäden, die aneinandergebunden sind oder eben nicht. Vielleicht bleibt am Ende nur ein Haufen einzelner nutzloser Teilstücke, die kein zusammenhängendes Bild ergeben. Das ist ganz sicher mehr als die simple Entscheidung zwischen Ja oder Nein. Ich hatte keinerlei Erfahrung damit.
Inken Witt: „Warten. Leben. Sterben“, Piper Verlag, 336 Seiten, 15 Euro hier bestellen
Rezension: Simone Glöckler