„The Dry – Sekt oder Selters“ – warum die Serie zu gucken lohnt, verrät Silke Burmester
Die Handlung
Anlässlich des Todes der Großmutter und der anstehenden Trauerfeier steht die 35-jährige Shiv bei ihren Eltern vor der Tür. Nur, sie ist nicht mit kleinem Gepäck angereist. Nein, sie steht mit einem großen Koffer vor der Tür, an dem so manch Lebenswichtiges befestigt ist. Sie ist wohnungslos und abgebrannt und seit sechs Monaten trocken. Kurz, ihre Situation ist prekär und heikel, ihre größte Angst ist die vor einem Rückfall.
Ihr Wiedereinzug provoziert Eltern und Schwester und Bruder gleichermaßen, es wird kaum an Zeichen der Ablehnung gespart, und auch ihren Ex-Freund Jack, den sie auf der Trauerfeier wiedersieht, spart nicht an dem, was ihr das Leben schwermacht. Charmant und schwer zu widerstehen, ein Künstler und ewiger Junge, der die Bierflasche wie ein Kind den Schnuller zum Mund führt.
Warum ist das gut?
In den acht rund 20 Minuten umfassenden Folgen der irischen Reihe wird wenig an möglichem Desaster ausgelassen. Mehr oder weniger alles, was Shiv anfasst, zerfällt unter ihren Händen, und so sehr man ihr Stabilität gönnt, so sehr muss man das Wackeln des Lebens mitansehen und aushalten. Die ersten beiden Folgen zerrt das mitunter an den Nerven und erinnert an die Produktionen von Phoebe Waller-Bridge, die etwa mit „Fleabag“ die Grenzen junger Frauen zwischen Peinlichkeit und Vollkatastrophe auslotet. Nachdem jedoch Shivs Lebenssituation beschrieben ist und alle Figuren sich entwickeln dürfen, wird das Zuschauen zum Vergnügen.
Dass das so ist, liegt auch an den interessanten Neben- und Mitspieler*innen, die der Drehbuchschreiberin Nancy Harris allesamt ein eigenes unterhaltsames, aber auch herausforderndes Leben wert sind. So sieht man nicht nur Shiv struggeln, sondern auch ihren Bruder, ihre schwer erträgliche Schwester, den fast hilflos anmutenden Vater und die mitunter grausam agierende Mutter.
Die Fäden, die Harris verwebt, verknüpfen und verheddern sich unter den Augen der Zuschauer*innen, was mitunter sehr unterhaltsam anzusehen ist (Regie: Paddy Breathnach). Vor allem aber ist es klug gemacht und findet eine gute Balance zwischen Unterhaltung und Auseinandersetzung.
Was hat das mit mir zu tun?
Ich stelle immer häufiger fest, dass mich Geschichten von Menschen in ihren 30er-Jahren nicht interessieren. Die Unsicherheiten, der Versuch, im Leben anzukommen, sind nicht mehr meine Themen, und so ist „The Dry“ von Nancy Harris einer der wenigen Fälle, in denen die Erzählung so gelungen ist, dass ich nicht gelangweilt bin oder das Gefühl habe, meine Zeit zu verschwenden.
Der Versuch zu verstehen, wie Eltern so ablehnend ihrem Kind gegenüber sein können, wieso sie so grausam sind, ist einer der Gründe. Mehr aber wiegen die Gefühle Shiv gegenüber, die Sympathie, die sich von Folge zu Folge steigert, wenn man ihr zuschaut, wie sie kämpft, trocken zu bleiben. Man kann ihr die Anstrengung ablesen, ebenso den sich aufrichtenden, bald dann aufbäumenden Teufel, der ihr zuflüstert, sie solle dahin kommen, wo der Trost auf sie wartet.
Obwohl die Schauspielerin Roisin Gallagher ein wenig zu viel Reife für eine 35-Jährige ausstrahlt, verkörpert sie Shiv perfekt. Allein den Kraftakt in ihrem Gesicht abzulesen, wenn wieder einmal eine Kränkung Einzug hält und sie zeitgleich versucht, diese nicht die Oberhand gewinnen zu lassen, ist beeindruckend.
Shiv erlebt sehr deutlich, was viele von uns unglücklich macht: Kaum bist Du als erwachsener Mensch – egal, wie alt – zu Hause oder triffst Deine Eltern, öffnet sich die Gletscherspalte, die sie für Dich vorgesehen haben. Eingeklemmt zwischen gestern und einem Erwachsensein, das die Eltern nicht sehen wollen, kippen sie auf Dich herab, was sie an Tipps, Ratschlägen, Unverständnis, Kritik und Ablehnung gut konserviert eingelagert haben. Hoffnungsgebend ist – Vorsicht, Spoiler! – zu sehen, dass das nicht sein muss. Dass Menschen sich – sehr überraschend – ändern können und dass auch ein Verhältnis zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern sich verändern kann.
„The Dry – Sekt oder Selters“ – in der ARD Mediathek, HIER anschauen
- Als kritische Auseinandersetzung mit dem Thema „Frauen und Alkohol“ haben wir die Buchempfehlung „Dry“, und den wunderbaren Text „Der Hausfrauenschluck“ über das „50er-Jahre, so halten Frauen ihr Leben aus“-Gesöff Frauengold auf der Seite.
- Gute TV-Reportagen zum Thema Alkoholsucht findet Ihr hier „Nüchtern sein ist nichts für Feiglinge“ und „Erfolgreiche Frauen und die Sucht„
- Aus der Abteilung „Fönen des Trunks“ die Sherry-Reise von Ann-Christin Bassin und die „Tipsy“-Reihe von Silke