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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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Prost und aus

Wie ich ohne zu saufen das Saufen aufgab – von Ulrike Stöhring

Kipp, kipp, gluck, gluck, Eva Häberle hat schön flüssige Information in den KI-Bildgenerator gekippt, und das ist, was herauskam. Perfekt eingeschenkt, würden wir sagen!



„Prost! Onke!l Albert! Mach die Leinen los“ – Mitklatschhit des zu Recht vergessenen Schlagersternchens Manuela, hängt seit über fünfzig Jahren in meinem musikalischen Gedächtnis rum.

„Onkel Albert“ bot als Figur so ungefähr alles, was sich die Fernsehgemeinde in Ost und West Anfang der Siebzigerjahre als Role-Model wünschte. Er hatte ein Bötchen und nur noch bescheidene Träume. Er besoff sich mithilfe von Rum mit Tee, auf dass er vergaß, dass er es nie im Leben bis Hawaii schaffen würde. (Wo es ja sowieso kein Bier gab, aber das ist eine andere Geschichte, über die wir nicht nachdachten. Uns Ossis konnte das egal sein.)
Das Publikum der ZDF-Hitparade feierte das Onkel-Liedchen, das hernach auf keiner Party fehlen durfte. Auch in meiner Heimat Mecklenburg nicht, wo allerdings anders gesoffen wurde. Den Schnaps gab es ohne Tee und es wurde eher nicht gesegelt. Jedenfalls nicht von der ländlichen Bevölkerung. Diese spülte sich die Erinnerung an Krieg, Flucht und Schuld aus dem Kopf und trank sich im Sommer ab früh um sechs mit „Erntebier“ Mut an für die „Ernteschlacht“.
Da die Frauen arbeiteten wie die Männer, soffen auch sie. Vielleicht dezenter, versteckter und nicht so hartes Zeug, aber gesoffen wurde.
Ich erinnere mich an keinen einzigen Menschen im Personal meiner Kindheit, der abstinent gelebt hätte. Drei Lehrerinnen unserer Schule, den Gerüchten nach kriegsverwitwet, waren gar schwere Trinkerinnen, die gelegentlich im Unterricht umsanken oder gleich ganz fehlten.

Alkoholengpass? Ab in die Apotheke!

Alkohol war normal, billig, überall vorhanden und der Tröster in jeder Not. Gab es einen DDR-typischen Engpass an beispielsweise klarem Schnaps, wurde Tante Ursel in der Apotheke um 70-prozentigen Primasprit angebettelt und schon war die häusliche Eierlikörproduktion gesichert.
Was für ein Spaß, wenn die Kinder heimlich die Gläser ausgeleckt und dann so einen süßtaumeligen Gang hatten!

Die offizielle Initiation fand dann bei der Jugendweihe statt, einer mit der Konfirmation vergleichbaren nichtkonfessionellen Veranstaltung. Dort wurde den Vierzehnjährigen traditionell der erste Alkohol ihres Lebens gereicht. Nicht legal, aber normal und egal. Und für uns alle war es durchaus nicht das erste Mal.
Andere für dieses Alter vorgesehene Drogen waren im nicht im Angebot. Von Gras hatte ich als Jugendliche in der ostdeutschen Provinz höchstens gelesen. Bunte Pillen allerdings klauten wir aus den Hausapotheken unserer Eltern oder gleich bei Ferienjobs im Krankenhaus.
Hartes Zeug war das, die Inhaltsstoffe lesen sich heute wie die geheime Speisekarte des Berghain. Meine kriegstraumatisierten Eltern standen jahrelang tagsüber unter Speed und nachts unter Valium. Dazu gab es den allgegenwärtigen Alkohol als soziales Schmiermittel und stets verfügbaren Schleier über in einem schwierigen Alltag.

Meine erste Schwangerschaft mit zwanzig und zu Beginn des Studiums in Berlin stoppte zunächst alle im Keim angelegten Süchte. Vorschriftsmäßig trank und rauchte ich nicht mehr. Wie es um Schmerztabletten stand, ist mir komplett entfallen. Auch die hatten wir als Jugendliche regelmäßig eingeworfen, im Trio mit Cola und Wodka.
Später, als junge Akademikerin kurz vor dem Mauerfall war es schicker, auf Rotwein umzusteigen. Die Agonie der späten Achtziger Jahre schien nüchtern unerträglich.

Ich war inzwischen Kuratorin für Fotografie in einem Museum in der Provinz. Eigentlich ein Traumjob, aber der Laden war voller Stasi und die Kulturpolitik im Koma. Um 16 Uhr holten alle die Flaschen aus dem Schreibtisch. Mich rettete, dass ich um dies Zeit schon vor dem Kindergarten meines Sohnes stand.
Der Rest ist Geschichte. Die Mauer fiel, ich rauchte meinen ersten Joint zu einem Wasserglas Wodka in der Paris Bar in Westberlin und habe keine Erinnerungen an den Fortgang der Nacht. Meine Premiere, was Filmrisse betrifft, wurde mir mit vollständigem Begleitprogramm offeriert:
Aufwachen in einer mir unbekannten Wohnung eines mir sehr flüchtig bekannten Mannes.
Mörderkopfschmerz.
Schuldgefühle.
Stress.

Als gesamtdeutsche Intellektuelle stieg ich auf Weißwein um

Hart belehrt lenkte ich meine Suchtkarriere in ruhigere Gewässer. Als gesamtdeutsch angekommene Intellektuelle stieg ich auf moderaten Weißweinkonsum um. Unterbrochen wurde dieser von einer weiteren Schwangerschaft mit meiner Tochter und einer langen Stillzeit. Außerdem war wenig Geld vorhanden. Die „gute Flasche Wein“ hatten wir nie zu Hause. Wenn, dann kauften wir für Gäste ein. Alkohol spielte so gut wie keine Rolle mehr in meinem Alltag.
Aber die Einschläge kamen näher. Die ersten FreundInnen, WeggefährtInnen, Kindheitsgeschwister kamen uns durch das Trinken abhanden. Sie wurden verrückt, bauten Unfälle, brachten sich um oder starben ganz profan an der Sucht. Manche kaum vierzig Jahre alt. Wir konnten es nicht fassen und stießen auf den Trauerfeiern auf ihr Wohl im Himmel und der Hölle an. Alle Lebenden tranken weiter, aber der Exzess der Toten begann uns Angst zu machen.
Mit dem fortgeschrittenen Alter und einem gewissen Einkommen schlich sich die tückischste Wölfin unter den Suchtgesichtern an. Das Wohlstandstrinken. Ich fand mich auf gutbürgerlichen Weinproben wieder. Auf Empfängen, wo edelste Tropfen gratis waren. Auf Essenseinladungen, wo wir uns nicht mehr über unser Leben, sondern über Hanglagen und Bordeaux-Jahrgänge unterhielten.
Das Rauchen hatte ich längst aufgegeben, wollte ich doch kein schlechtes Vorbild für die Kinder sein. Aber ich stritt durchaus mit einer halben Flasche Wein im Kopf mit meiner Teenagertochter über unaufgeräumte Zimmer und Pubertätsgepöbel. Was überhaupt keine gute Idee ist.

Mein Mann entkorkte die erste Flasche täglich um 19 Uhr, irgendwann war er auf 17 Uhr upgegradet. Ich machte mehr oder weniger mit. Wir tranken nun täglich Wein. Nicht bis zum Rausch, aber Auto fahren nach der Tagesschau? Eher nicht…

Als mein Mann sich eines Tages in eine Jüngere verliebte und mich holterdiepolter verließ, wusste ich, dass ich mich auf sehr dünnem Eis befand. Alkohol kumpelte sich jetzt richtig ran. Als Tröster, als Trotzkopf, als Schlafmittel. Als Entschuldigung für nächtens abgeschickte Elektropost zweifelhaften Tonfalls und Inhalts. In dieser Zeit kam ich erstmals katerbedingt morgens nicht hoch und fehlte bei der Arbeit. Als nächste Station meiner Biografie sah ich die Parkbank vor mir und nun bekam ich richtig Angst.
Ich riss mich zusammen. Es klappte zunächst und ich redete mir ein, ich hätte alles im Griff.

Appetit auf Drama

Katastropheneinsätze, den schnellen Sprint, habe ich immer gewuppt. Mir wird die Langstrecke gefährlich. Das Durchhalten frustrierender Phasen, wo gar nichts passiert und mir wenig gelingt. Dann verliere ich den Mumm, den Mut, die Lust und kriege Appetit auf Drama von außen. Irgendwer oder irgendwas soll mich entschädigen. Und wenn eine Substanz das verspricht, dann Alkohol. Der hält die Klappe, ist da, wenn frau ihn braucht und verspricht sogar so was wie Emanzipation. Dass ich an weinseligen Abenden mit gestandenen Männern mithalten konnte, machte mich stolz. Zumindest bis zum Morgen. Da hatte ich einen Kater und Kummer und schlechtes Gewissen.

Die Wechseljahre waren halbwegs gnädig mit mir. Allerdings suchten mich mehr und mehr splattermovieartige Alpträume heim, die durch das Eintreffen von Corona in unser aller Leben nur noch plastischer wurden. Außerdem schien sich das häusliche Alleintrinken in Lockdownzeiten nicht nur bei mir endgültig einzunisten. Ich machte Sport, Therapie, meine Übungen, kluge Sprüche. Wie fast alle meiner Freundinnen. Wir schickten uns witzige Filmchen über trotztrinkende Mütter, die versuchen, die Zumutungen des Homeschoolings zu überstehen. Hatten wir akuten Kummer, besprachen wir den und prosteten uns abschließend zu. Wir lallten nicht, wir motzten nicht, wir kotzten nicht. Aber alle tranken wir zu viel.

Mitten im Sommer, der Zeit der wieder erlaubten Grillpartys und lauschigen Nachtigallnächte, hatte ich genug. Ich las – mit halb zugekniffenen Augen – völlig verschiedene Berichte von Frauen über ihre Suchtkarriere und ihr Trocken-Werden. *

Als ich das zweite Buch zugeklappt hatte, hörte ich auf. Tschüss, du kühler Weißwein! Ich wusste einfach, dass ich mein letztes Glas getrunken hatte. Ich meldete mich bei einem Soberwerden-online-Seminar an und brachte den Inhalt der Hausbar zum Müll. Meinen Kindern, Freunden und meiner Hausärztin teilte ich die Neuigkeit bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit mit. Und erntete Freude bei meiner Tochter, gelassenes Wohlwollen à la „Na, mal sehen…“ und „Du bist doch keine Alkoholikerin, die so streng mit sich sein muss…“  bei meinem Sohn.
Die Freunde meinten, hin und wieder könne ich doch…
Aber ich kenne mich.
Ich kann stark, aber auch romanhaft labil sein. Ich brauche klare Beschlüsse.

Ab und zu denke ich wehmütig zurück

Dieser für mich denkwürdige August ist jetzt acht Monate her. Eine Zeit ohne alkbefeuerte Dramen, Sonntagskater und ohne das schlechte Gewissen, mal wieder etwas gesagt, geschrieben, getan zu haben, das ich nüchtern betrachtet auf gar keinen Fall gesagt, geschrieben oder getan hätte.
Und so hat sich bei der Gelegenheit eine sowieso nicht besonders intensive Affäre in Luft aufgelöst. Wir waren uns im Bett nie nüchtern begegnet, nun begegneten wir uns nicht mehr. Was nicht gegen die Nüchternheit, sondern eher die Art der Affäre spricht.
Will sagen: ich räume auf. Ich entgifte. Dinge kommen in Ordnung. Gefühle kommen zurück. Haut und Stimmung werden besser. Kontostand ebenfalls. Alte Wogen glätten sich.
Allerdings quatscht manchmal die Suchtstimme von der Möglichkeit kontrollierten Trinkens und muss kompetent zum Schweigen gebracht werden. Für mich geht nur ganz oder gar nicht. Kontrolliertes Trinken funktioniert bei allen, die nie ein Problem mit Alkohol hatten. Für mich könnte es eine fiese Falle sein, die ich keinesfalls ausprobieren möchte.
Ja, hin und wieder fehlt mir ein Rausch und ich denke wehmütig zurück. Aber eher wie an einen toxischen Geliebten. Da fällt die Verwüstung, die man in sich hat anrichten lassen, ja auch manchmal präsenilem Vergessen anheim und man fantasiert von den berühmten „auch guten Zeiten“. Nix da! Für mich jetzt Tonic ohne Gin.

Ich werde weiter berichten.

* Bücher: Christiane Koschmieder, „Dry“, hier besprochen

              Natalie Stüben, „Ohne Alkohol, die beste Entscheidung meines Lebens“

              Leslie Jamison, „Die Klarheit“

              Simon Borowiak, „Alk. Fast ein medizinisches Sachbuch“

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