Sylvia Heinleins Wochenjournal über die Stürme im Wasserglas des Alltags. Diesmal: Horoskop und eine Lokführerprüfung
Nichts geschieht, aber dafür leuchten die kleinen Dinge, und alles hat eine – wenn auch nur entfernte – Ähnlichkeit mit einem Roman.
Moah, gestern mal wieder schlimm den Tag verdaddelt und erst kurz vorm Schlafengehen mein Horoskop gelesen. „Sie sind der glückliche Gewinner“, las ich. „Kosmische Spitzenwerte! Alle Voraussetzungen, Ihre Träume zu verwirklichen, sind geschaffen! Worauf warten Sie?“ Immerhin hatte ich mich tagsüber in den Drogeriemarkt getraut und mir zum ersten Mal in meinem Leben ein Gesichtsbürstchen für eine frisch durchblutete Haut gekauft. Wer weiß, zu welch spektakulären Sachen sie noch gut sein wird …
Einstieg in die Lokführer-Bubble
Zumindest das Monatshoroskop habe ich rechtzeitig gelesen, puh: „Sie besitzen die nötige Lockerheit, um sich auf zärtliche Stimmungen einzulassen. Wer teilt das Glück?“ Gegen eindeutige Hinweise sperre ich mich nicht. Vor einem Jahr hatte ich einen Mann auf dem Schaffell vor meinem Ofen liegen, den habe ich jetzt noch mal angeschrieben. Er lässt sich zum Lokführer (https://karriere.deutschebahn.com/karriere-de/Suche/Ausbildung-Lokrangierfuehrer-im-Gueterverkehr-w-m-d-2021-5275282?utm_campaign=google_jobs_apply&utm_source=google_jobs_apply&utm_medium=organic) umschulen, erfahre ich, und ist gerade zum zweiten Mal durch die Prüfung gefallen. Die Lokführerprüfung ist eine Sache für sich. Frage: „Ein Zug ist nach Vorbeifahrt an einem Fahrt zeigenden Hauptsignal wegen einer PZB-Störung durch eine Zwangsbremsung zum Halten gekommen. Wie stimmt der Fahrdienstleiter der Weiterfahrt zu?“ Antwort: „Durch Befehl 2“. Wir lernen: Lokführer werden nicht fürs Diskutieren bezahlt. Mein Beinahe-Lokführer ist tatsächlich recht wortkarg. „Im Augenblick herrscht noch Hp0“, schreibt er mir zurück. „Aber ich kümmere mich um Sh1, damit wir auf ein gemeinsames Gleis kommen.“ Jetzt bin ich also drin in der Lokomotivführer-Bubble.
Nachmittags Bier trinken – so stellen Teenager sich das erwachsen sein vor
Ansonsten habe ich beschlossen, einen Hauch Disziplin in mein Leben zu bringen. Die Morgenstunden ausnutzen und so. Ich stellte den Wecker auf 9:00 Uhr, erwachte, stand auf, duschte und zog etwas Ordentliches an (Montag, ohnehin ein guter Tag, um Homiehose und T-Shirt zu wechseln). Nach dem Frühstück setzte ich mich an den Schreibtisch, öffnete am Laptop ein neues Dokument und erwachte gegen 15:30 Uhr. Aus Frust sofort ein wirklich schön kaltes Bier aus dem Kühlschrank geholt und dabei ein tolles Gefühl gehabt: ‚Hey! Ein Bier! Selbst gekauft und in meinen eigenen Kühlschrank gestellt! Und jetzt einfach so spontan rausgeholt!‘
Bier im eigenen Kühlschrank vorrätig zu haben und es zu trinken, wann immer es mir beliebt, gehört definitiv zu den Supersachen, die ich mir als Teenager unter Erwachsensein vorgestellt habe.
Kann ich das alles irgendwie zusammenfassen? Absolut! Die Gesamtsituation steht eindeutig unter dem Motto des guten alten Cowboysongs ‚The Old Chisholm Trail‘ (https://www.youtube.com/watch?v=JnS9_-FFsRc): „Sattelt eure Pferde, Mädchen, und sattelt sie gut, denn ich denke, das Vieh hat sich auf den Weg zur Hölle gemacht.“