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Palais F*luxx

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Jeden zweiten Mittwoch stellen wir Euch eine Frau vor, die ihr Leben umkrempelt
oder sonst etwas tut, auf das sie gerade Lust hat

Heute: Nele-Marie Brüdgam

So sieht es aus, wenn man sich in der Mitte seines Lebens fragt: Was möchte ich eigentlich wirklich? Zumindest sieht Nele Brüdgam so aus, nachdem sie sich die Frage beantwortet und gehandelt hat. Foto: Meg Kiley


„Lebe Deinen Traum” ist eigentlich ein ganz übler Wandtattoo-Spruch … Kurios, wenn‘s wirklich mal jemand durchzieht. Nele-Marie Brüdgam ist so eine. Mit Ü50 hat sie gesicherten Job und festen Wohnsitz in den Sack gehauen und eine Karriere als Tauchlehrerin gestartet. In warmen Gewässern bringt sie ihren Schüler*innen nicht nur das Schnorcheln bei, sondern macht ihnen Mut, innere Grenzen zu überwinden und neue Dimensionen zu entdecken.

Name: Nele-Marie Brüdgam (aka Garnele 🦐)
Alter: 56
Beruf: Tauchlehrerin und Journalistin
Wohnt in: Hamburg (und einige Monate pro Jahr in Ägypten und in der Karibik)
Motto: Ich tauche meinen Traum. Und: Das Schweben ist schön.

Was beschäftigt Dich zurzeit am meisten?
Persönlich: Das Buch „Was Fische wissen“ von Jonathan Balcombe. Der Verhaltensbiologe erklärt das Sozial-, Liebes- und Gefühlsleben der Fische. Erstaunlich, unterhaltsam, sensationell.
Beruflich: Ich plane Tauchkurse und -reisen für dieses und nächstes Jahr. Und müsste viel mehr Social Media machen. Da bin ich leider etwas faul und müde geworden.
Gesellschaftlich: Rassismus und Rechtsextremismus in Deutschland, Flüchtlinge im Mittelmeer, Kriege in der Welt. Ich komme gerade von einer Demonstration, und auch wenn das ein winziger Beitrag ist: Wir müssen alles uns Mögliche tun, um vereint für Demokratie, Menschenrechte und Frieden zu sorgen.
Privat: Der Tod meiner Mutter vor einigen Monaten.

Was wolltest Du als Kind für einen Beruf ergreifen?
Als Jugendliche: Rechtsanwältin. Ganz, ganz unbedingt. Noch heute denke ich, dass ich wahrscheinlich eine sehr gute Juristin geworden wäre. Andererseits vermute ich, dass ich auch die Juristerei mit Anfang/Mitte 50 beendet oder reduziert hätte, um Tauchlehrerin zu werden.

Dein tatsächlicher beruflicher Werdegang?
Nach dem Abitur habe ich angefangen, Spanisch und Portugiesisch zu studieren. Das sollte eine Übergangslösung sein während der Wartezeit auf einen Jura-Studienplatz. Im 2. Semester hätte ich ihn bekommen, aber ich hatte so viel Freude an den Sprachen, dass ich dabeigeblieben bin. Später habe ich noch Lateinamerika-Studien dazugenommen, also Geografie, Kultur, Volkswirtschaft, Geschichte. Ich habe in Hamburg und Lissabon studiert, kurz auch in Madrid. Eine schöne, reiche Zeit. Anschließend habe ich eine Ausbildung zur Journalistin gemacht und 25 Jahre hauptberuflich in dem Job gearbeitet, fast immer freiberuflich, meist als Reisejournalistin. Seit 2021 bin ich Tauchlehrerin, 2022 habe ich mein Unternehmen „Blue Diamond Diving” gegründet. Daneben schreibe ich weiter für Zeitschriften – und bin dort mittlerweile als Expertin für die Meere unterwegs: Meeresbiologie, Meeresschutz, Tauchsport, die Schönheit und Zerbrechlichkeit der Meere, solche Themen.

Musstest Du Dich schon mal neu erfinden? Wenn ja, womit?
„Sich neu erfinden“, das sagt man so. Letztendlich bleibt man dieselbe, aber es rücken neue Seiten der Persönlichkeit in den Fokus. Oder man entwickelt neue Bedürfnisse. Vielleicht auch Berufungen. Bei mir geschah das auch durch Trennungen, Trauer, Schicksalsschläge. Durch Abschiede von Träumen – zum Beispiel dem Traum, Kinder zu haben. Außerdem durch innere Entwicklungen – wenn ich feststellte, dass mein äußeres Leben nicht mehr zu meinem Innenleben passte. Mit 45 Jahren habe ich mir nach einer fast 30-jährigen Beziehung zum ersten Mal eine Wohnung für mich allein gesucht. Jetzt denke ich darüber nach, in eine WG zu ziehen. Ich habe in Bands gesungen, war acht Jahre lang ehrenamtliche Telefonseelsorgerin, und als das Geld mal knapp wurde, habe ich morgens beim Bäcker Brötchen verkauft. Ein großer Wandel ist es für mich, nicht mehr Tochter zu sein. Lebensverändernd war auch mein erster Tauchkurs mit 46 Jahren.

Hast Du auch einen Job-Neuanfang erlebt?
Ja, das Tauchen! Anfang 2019 saß ich bei einer Therapeutin und klagte, dass ich auf der Stelle trat, mich ständig in die falschen Männer verliebte und meinen Alltag wenig sinnvoll fand. Sie riet mir zu einem Job-Coaching, aber am selben Nachmittag wusste ich schon: Ich will Tauchlehrerin werden! In der Tiefe des Meeres sah ich meinen Weg, spürte Sinn und Erfüllung. Die Prüfungen absolvierte ich Anfang 2021 in der Karibik, wir waren zwölf Kandidaten, davon elf weit unter 30 Jahren und zehn von ihnen männlich. Anschließend habe ich in verschiedenen Tauchschulen gejobbt, bevor ich mich selbstständig machte. Mit „Blue Diamond Diving” bin ich spezialisiert auf sanftes, nachhaltiges Tauchen. Ich gebe maßgeschneiderte Kurse für Kleingruppen an Orten mit einzigartiger Unterwasserwelt. Manchmal kommen Familien mit Kindern. Oft auch Einzelschülerinnen, vor allem Frauen über 40. Sie wollen sich einen Traum verwirklichen und wünschen sich individuelles Training. Ich habe ja selbst erst mit 46 Jahren mit dem Tauchen angefangen und fand es ziemlich stressig. Alles ging sehr schnell und zackig, die anderen Schüler waren viel jünger als ich. Heute unterrichte ich genauso, wie ich es mir damals von meiner Tauchlehrerin gewünscht hätte. Ganz entspannt, mit viel Zeit, Empathie und Achtsamkeit.

Was ist Dein Rat an Frauen, die sich in der Mitte des Lebens neu aufstellen?
Lernt tauchen! Und das meine ich ganz ernst. In die fremde, magische Welt des Meeres einzutauchen, eigene Grenzen zu überwinden und neue Dimensionen zu erobern, macht Dich stark, reich und demütig zugleich. Die Welt der Korallenriffe ist unbeschreiblich, als Taucherin schwebst Du darin, bist ein Teil dieser Welt, und neugierige Fische kommen auf Dich zu. Außerdem lernst Du tolle Menschen kennen, man taucht immer mindestens zu zweit. Viele Taucher und Taucherinnen sind allein unterwegs, finden an den Tauchzentren zueinander. Unter Wasser tragen sie Verantwortung füreinander. Mit einer guten Ausbildung ist Tauchen ein sehr sicherer Sport. Ich selbst habe noch heute bei jedem Tauchgang das Gefühl, dass er mich ein klein wenig verwandelt.

Dein größter Erfolg?
Ich nenne lieber meine schönsten Erfolge: Die erlebe ich jedes Mal, wenn eine zuvor etwas ängstliche, zögerliche Tauchschülerin sich unter Wasser entspannt, ruhig atmet, voller Staunen die magische Meereswelt wahrnimmt und sich davon verzaubern lässt. Das ist immer wieder ein wertvoller Moment. Und die strahlenden Gesichter nach solchen Tauchgängen machen mich glücklich. So erlebe ich auch viel Dankbarkeit. Als Journalistin habe ich viele Bücher und große Geschichten geschrieben, aber ich habe nie so viel echte Bestätigung erfahren, nie so deutlich gespürt, dass ich am richtigen Ort bin und das Richtige tue wie als Tauchlehrerin.

Was hast Du zuletzt zum allerersten Mal gemacht?
Einen Fallschirmspringerkurs und einige Sprünge allein aus 4.000 Metern. Das ist aber schon ein paar Jahre her, und zwischenzeitlich finde ich es ein bisschen absurd, mit dem Flugzeug zu fliegen um rauszuspringen.
Ansonsten mache ich eher Dinge zum letzten Mal. Zum Beispiel Fisch essen, das mache ich seit gut einem Jahr nicht mehr – der Menschheit, den Meeren und den Fischen zuliebe. Es wird so viel gefischt, dass für die Menschen, die keine Alternativen haben, kaum noch etwas übrigbleibt. Außerdem bringt Fischerei den Tieren meist einen grauenvollen Tod.
Neu ist auch, dass ich kaum noch allein reise. Nach etwa hundert Reisen allein habe ich einfach genug davon und bin lieber mit organisierten Gruppen oder Freunden unterwegs. Anders ist es bei meinen beruflichen Tauchreisen. Da habe ich mit Kollegen und mit Schülern zu tun und bin nicht allein.

Hast Du Vorbilder?
Sylvia Earle verehre ich. Die US-amerikanische Ozeanografin und Forschungstaucherin wird auch „Her Deepness“ genannt wegen ihrer Tiefenrekorde im Meer. Sie war wissenschaftliche Leiterin der US-Behörde, die für die Meere zuständig ist. Sie leitete zig Forschungsexpeditionen und engagiert sich heute, im Alter von 88 Jahren, weltweit für den Meeresschutz. Mit ihrer Stiftung Mission Blue unterstützt sie Initiativen, die Meeresschutzgebiete einrichten, und zeichnet diese als „Hope Spots“ aus. Sylvia Earle hält eindrucksvolle Vorträge, hat Charisma und sieht immer blendend aus. Allerdings ist sie für mich weniger Vorbild als Idol – völlig unerreichbar. Und ein so wundervoller Mensch. Sanftmütig, klug, mutig und mächtig. Sie hat so viel für die Meere bewegt und erreicht.

Was inspiriert Dich?
Das weite Blau des Meeres, die Farben und Formen eines Korallenriffs, die Perfektion der Meereswelt. Ein Fischschwarm, der mich in seine Mitte nimmt. Und überhaupt: die Kommunikation mit Meerestieren – beispielsweise mit Oktopussen, aber auch mit kleinen, scheinbar unbedeutenden Fischchen. Das ist unter Wasser ganz anders als an Land: Hier fliehen wilde Tiere oft nicht, sondern bleiben völlig unbeeindruckt von uns Tauchern, und manche kommen auf uns zu, gehen in Kontakt.

Vielen Dank!

„Chapeau!” hat Gerlind bestimmt fünfmal gedacht, als sie Nele-Marie interviewt hat. Sie selbst hat mit viel Geheule das Freischwimmer-Abzeichen geschafft, bis heute Panik, wenn sie keinen Grund mehr unter den Füßen spürt, wird nachts von Tsunami-Alpträumen geplagt und wird schon seekrank, wenn sie nur an Jacques Cousteau denkt. „Im Rausch der Tiefe” hat sie allerdings schon x-mal geglotzt – aber nur, weil sie Jean-Marc Barr als Apnoe-Taucher Jacques Mayol so niedlich findet.

Hier geht‘s zu Neles Homepage
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