Was sollte eine gute Trauerrede beinhalten?
Wir alle haben schon Abschiedsfeiern erlebt, in denen der verstorbene Mensch, um den es gehen sollte, den alle Anwesenden kannten und mochten, gar liebten und zu dessen Würdigung und zu dessen Abschied sich alle versammelt haben, in der Rede entweder nicht zu erkennen war oder kaum beschrieben wurde. Wie enttäuschend, ernüchternd und erschreckend ist das Gefühl hinterher bei den Beteiligten und erst recht bei den engsten Angehörigen, die sich in starker Trauer befinden. Ein solcher Abschied, der kein Bild eines erkennbaren Individuums schenkt, ist wie ein zweiter Tod, den der Mensch zusätzlich stirbt. Vor der trauernden Gemeinde tauchte der Tote nicht in liebevollen Worten beschrieben auf? Das empfinde ich als Ignoranz und Missachtung.
Solche Trauerreden kommen nicht nur auf dem Land in kalten Kirchen vor, sondern auch in der Stadt. Aus Zeitmangel der von Bestattern beauftragten Rednerinnen, aus Lieblosigkeit oder aus unreflektierter Tradition. In Hamburg beispielsweise beschäftigen nur wenige Bestatterinnen ausgewählte Rednerinnen, für die die Qualität einer individuellen Rede unabdingbar ist. Eine solche Rede braucht nämlich Zeit: für das Gespräch mit der Familie zwei bis drei Stunden und anschließend mindestens fünf Stunden für das Schreiben. Viele Rednerinnen liefern eher 08/15-Reden von der Stange, in denen der verstorbene Mensch nur in wenigen Sätzen erwähnt wird oder sein Leben inmitten von Allgemeinplätzen nur einen kleinen Teil einnimmt.
Eine gute, also individuelle Trauerrede würdigt das Leben eines Menschen in seiner Gänze. Es sollte darum gehen, die Lebensgeschichte abzubilden, die Startbedingungen im Elternhaus, die noch ohne sein Zutun seinen Weg bahnten und das, was der Mensch aus seinen Ideen, Wünschen und den vielleicht beschränkenden Möglichkeiten heraus entwickeln konnte oder musste. Vor den Ohren und Augen der Trauergemeinde sollte sich ein Bild entfalten, das in seiner Fülle, Breite und Tiefe die vielfältigen Aspekte eines Daseins spiegelt. Inklusive etwaiger Widersprüche.
Es sind die Erinnerungen an schöne Zeiten, aber auch an Herausforderungen und deren Meisterung. An die Entdeckung der Liebe und deren Bedeutung, an gemeinsam erlebte Freude und den Zusammenhalt unter den Liebsten, auch den Freunden. Spürbar werden sollte der Charakter, das Temperament, mit dem sich der Mensch unter Seinesgleichen bewegte, womit er sich beschäftigte, was er liebte und welche Ziele er verfolgte.
Auch wenn den engsten Angehörigen vieles aus der Lebensgeschichte klar vor Augen steht – wir Trauerrednerinnen beziehen unsere Informationen ja aus ihren Erzählungen –, ist es sinnvoll, Biografie und Beschreibung der Person ausführlich zu zeigen. Denn so können Erinnerungen bei allen anwesenden Lebensbegleiterinnen wachgerufen werden und dadurch kann ein Gemeinschaftsgefühl entstehen. Außerdem helfen Blicke zurück auf die schönen erlebnisreichen Zeiten, die Eindrücke der letzten Krankheits- oder Sterbephasen zur Seite zu schieben. Und für viele jüngere Anwesende wird etliches neu und erstaunlich sein. So kann eine Trauerrede den Menschen auch zu einem Vorbild für die nachfolgenden Generationen machen. Insgesamt ist die Abschiedsfeier eine der letzten Gelegenheiten, sie oder ihn zu würdigen für ihre/seine Leistungen innerhalb der Familie, des Berufes oder für sein gesellschaftliches Engagement – und zwar innerhalb der Gemeinschaft der Bezugspersonen, die unseren Menschen kannten.
Eine ganzheitliche Abschiedsrede nimmt Bezug zu den Anwesenden, die eine wichtige Rolle im Leben der oder des Verstorbenen spielten, und stellt dar, was sie miteinander verband und was der Verlust für sie bedeutet, was ihnen fehlen wird. Notwendig ist daher die Einbettung des Verlustes in ein Beet aus Trost. Ein Trost, der die Allgemeingültigkeit des Sterbens betont, der niemand entrinnen kann und der in einer Aufforderung an die Trauergäste mündet, sich um die trauernden Angehörigen zu kümmern. Trauernde können in ihrem Zustand von sich aus keine Hilfe holen. Deshalb ist es notwendig, dass Freunde, Nachbarn, Kolleg*innen aktiv werden und auf den trauernden Menschen zugehen, ihn unterstützen und begleiten. Vor allem mit Zuhören, warmem Essen und schlichtem An-der-Seite-Sein.
Es scheint, als würden manche Familien, in denen die Beziehungen untereinander nicht harmonisch sind oder wo das Leben des verstorbenen Menschen als hart bewertet wird, keinen Wert auf eine persönliche, individuelle Abschiedsrede legen.
Manche möchten aus übertriebener Bescheidenheit oder aus Scham lieber keine ausführliche Betrachtung des Lebens in der Trauerrede darlegen und sie nicht für andere hörbar machen. Oder aus Verdruss, weil sie das Leben ihrer Eltern selbst nicht gut heißen konnten oder darunter gelitten haben.
Das ist schade und es verhindert, ein Verständnis für dieses so gelebte Leben wachzurufen. Denn jedes gelebte Leben ist ja nicht nur ein Produkt der individuellen Anstrengung, sondern der familiären und darüber hinaus der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der jeweiligen Zeit. Natürlich haben Menschen, die vor oder im Zweiten Weltkrieg geboren wurden, ganz andere Biografien als die später geborenen. Jeder Mensch ist es wert, jeder hat es verdient, zu seinem Abschied genau betrachtet und gewürdigt zu werden.
Eine gute Trauerrede kann all die Strapazen, Fehlschläge oder Schicksalsschläge aufzeigen und aus ihnen begründen, weshalb der Mensch sich auf eine bestimmte Weise verhalten hat. Sie kann erklären, welche Traumata sein Verhalten bestimmten und einzelne Entscheidungen hervorgerufen und diese an die folgende Generation vielleicht auch schmerzhaft weitergegeben haben.
Grundsätzlich sollte eine gute Trauerrede den Menschen so zeigen, wie er war. Wie alle ihn oder sie geliebt haben – überwiegend darf sie die positiven Eigenschaften eines Menschen aufzeigen. Die Schattenseiten aber sollten auch zur Sprache kommen, denn wir haben alle welche – hellere oder dunklere. Und unerlässlich sind sie dann in einer Trauerrede, wenn sie einen größeren Teil der Persönlichkeit eingenommen und stärkere Auswirkungen auf die Familie gehabt haben. Mit der Schilderung und Begründung der Schatten wird ein Perspektivwechsel vollzogen, der ein Verstehen und Mitgefühl bei allen erwecken kann. Durch das Nachvollziehen und spätere Sprechen darüber – unter den Anwesenden und bitte auch mit den Angehörigen – kann Heilung bei den Angehörigen geschehen.
Eine Trauerrede kann so ein komplexes Gebilde wie das Leben selbst sein. Ein lebensnaher Abschied, der ganz dicht am Sein des verstorbenen Menschen dranbleibt, wird von allen als ein „schöner Abschied“ empfunden.
Gyde Greta Cold
Bei Fragen oder Interesse, etwa diese Aufgaben gemeinsam in einer Gruppe zu machen, meldet Euch gerne bei Gyde Greta Cold, Trauerrednerin und Trauerbegleiterin www.trauerrede-cold.de
Gyde Greta Cold ist als Journalistin bereits ihrem Interesse für Menschen und ihrer Liebe zum Wort nachgegangen. Als Trauerrednerin vereint sie beides, indem sie Abschiedsfeiern verwirklicht und als Trauerbegleiterin Trost spendet. Gydes Homepage
Literatur:
Sterben können, Lisa Freund, Knaur MenSana
Noch ein Jahr zu leben + Who dies – Wege durch den Tod, Stephen Levine
Wenn Du in seelischer Not bist und Hilfe brauchst, wende Dich bitte an eine der folgenden Adressen:
Bundesweit:
Telefonseelsorge: (0800) 1110111 oder (0800) 1110222, telefonseelsorge.de
Bundesweit tätige Trauerbegleitung findest Du hier: bv-trauerbegleitung.de/angebote-fuer-trauern/hier-finden-sie-unsere-trauerbegleiterinnen
Deutschlandweites Info-Telefon Depression: (0800) 33 44 5 33 (kostenfrei) deutsche-depressionshilfe.de
Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (DGS): Adressen von helfenden Einrichtungen, Ansprechpartner nach Bundesländern geordnet, Tagungen, Hintergrundinformationen zu Suizidalität suizidprophylaxe.de
Kompetenznetzwerk zur Begleitung von Krise, Tod und Trauer in Zeiten von Corona
Kontact2020 der Trauerbegleiterin Chris Paul chrispaul.de/kontact2020
Internetseelsorge.de ist ein Portal zu katholischen Seelsorgeangeboten im Internet internetseelsorge.de