Interview mit der Autorin von »Feminsmus Revisted«
Die 78-jährige Erica Fischer ist eine der Gründerinnen der »Aktion Unabhängiger Frauen«, kurz AUF, in Wien und war jahrelang in der autonomen Frauenbewegung in Österreich aktiv. Heute lebt Fischer als Autorin und Übersetzerin in Berlin. Von ihr stammt das weltweit bekannte Buch »Aimée & Jaguar«, das von der wahren Liebesgeschichte zwischen einer Jüdin und einer Mitläuferin zur Zeit des Nationalsozialismus erzählt. Zuletzt erschien ihr Buch »Feminismus Revisited«, in dem sie junge Feministinnen ausführlich zu Wort kommen lässt und dabei auf ihre eigenen, zum Teil auch sehr persönlichen Erfahrungen als Aktivistin und Frau zurückblickt.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass ein wesentlicher Antrieb für Ihren Aktivismus in der Frauenbewegung die Liebe war. Was meinen Sie damit?
Ich hatte damals die Vorstellung, dass Männer und Frauen gleich denken und fühlen müssen, um einander lieben zu können. Ich war der Meinung, dass Liebe unter Ungleichen nicht möglich ist. Denn Ungleichheit bedeutet ja, dass eine Person über mehr Macht verfügt als die andere. Ich dachte mir, dass der Feminismus die Welt soweit verändern sollte, dass Männer und Frauen befreit sind von ihren Rollenvorgaben und dass sie erst dann einander wirklich lieben können.
Sie sagen das in der Vergangenheitsform. Hat sich Ihre Einstellung verändert?
Ja, das hat sie. Ich stelle an Männer nicht mehr diese Forderungen. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass Männer, auch wenn sie keine Machos sind, anders sozialisiert wurden, von ihren Eltern und von der Gesellschaft. Und dass sie – wie wir alle – aus dieser Zwangsjacke nicht herauskönnen.
Was erwarten Sie heute von einer Beziehung zu einem Mann?
Mir ist wichtig, dass ein Mann ein anständiger Mensch ist, dass er nicht gewaltsam ist, dass er keine Macht über mich ausübt, dass er im Haushalt genauso viel macht wie ich. Über bestimmte Dinge spreche ich mit meinem Mann einfach nicht. Die Debatte um gendergerechte Sprache etwa oder der Begriff ‚Queer‘ – diese Themen interessieren ihn nicht und er versteht sie nicht. Warum sollte er auch? Er ist von Beruf Geologe, und ich verstehe ja auch nicht, was er früher gearbeitet hat. Wir haben uns mit Mitte 60 kennengelernt, unsere Interessen sind in vielen Bereichen völlig verschieden.
Seit wann zucken die Menschen eigentlich nicht mehr zusammen, wenn Sie von sich sagen, dass Sie Feministin sind?
Schon länger nicht mehr, das liegt aber vor allem daran, dass ich meistens mit Menschen zusammen bin, die mich gut kennen. Ich glaube schon, dass der Feminismus im Mainstream angekommen ist und ich sehe das als gute Entwicklung – auch wenn es ja sehr platt ist, wenn auf T-Shirts plötzlich »I’m a feminist« steht. Das heißt aber doch, dass der Begriff positiv empfunden wird, auch bei jungen Frauen. Noch in den 90er-Jahren hat man oft gehört »Ich bin keine Feministin, aber…« Frauen hatten immer schon Einwände gegen die Verhältnisse, aber Feministin zu sein war einfach negativ besetzt. Daran hatten die Medien einen wesentlichen Anteil.
Sie gehen sogar so weit, zu sagen, dass junge Frauen es sich heutzutage kaum noch leisten können, den Feminismus offen abzulehnen.
Bei einer jungen Frau, die sich ausdrücklich distanziert, denke ich mir: Die hat einfach nicht begriffen, was in der Gesellschaft läuft. Aber oft geht es einfach um dieses Wort, das jahrzehntelang mit Alice Schwarzer assoziiert wurde. Und wie Alice Schwarzer wollten die jungen Frauen nicht sein. Heute ist die Situation eine andere. Junge Feministinnen haben nun Vorbilder in ihrem Alter.
Sie haben vor fast 50 Jahren begonnen, sich in der Frauenbewegung zu engagieren. Haben Sie den Eindruck, dass wir in Sachen Feminismus weitergekommen sind?
Als junge Frau dachte ich: Innerhalb kürzester Zeit wird das Patriarchat zugrunde gehen – oder ich habe es mir zumindest gewünscht. Aber wenn man lang genug gelebt hat, dann merkt man, dass es bestenfalls kleine, schrittweise Verbesserungen gibt. Und die gibt es! Es ärgert mich, wenn junge Frauen sagen, es habe sich gar nichts geändert. Dann erzähle ich, dass Frauen noch bis in die 60er-Jahre kein eigenes Bankkonto eröffnen durften oder dass sie ihren Mann um Erlaubnis bitten mussten, wenn sie arbeiten gehen wollten. Ganz zu schweigen von Vergewaltigung in der Ehe, die ist in Deutschland erst seit 1997 eine Straftat.
Auch kulturell hat sich einiges geändert: Wenn wir in den 70er-Jahren als Frauengruppe in Wien in eine Kneipe gegangen sind, dann saßen da nur Männer, die uns anglotzten. Heute ist es völlig normal, dass Frauen mit anderen Frauen in die Kneipe gehen. Ich denke, dass sich die Situation auch für lesbische, alleinstehende und kinderlose Frauen und für alleinerziehende Mütter verbessert hat. Das sind alles Bereiche, in denen Frauen früher total diskriminiert wurden. Auch die allgemeine gesellschaftliche Debatte ist sensibler geworden, zum Beispiel in der Sprache.
Sehen Sie auch Rückschritte?
Der Kapitalismus hat sich verschärft. Der Neoliberalismus, in dem wir heute leben – das war in meiner Jugend nicht zu erwarten. Ich glaube, junge Frauen und junge Menschen generell haben es jetzt schwerer. Für junge Frauen, die sich Kinder wünschen, ist der Druck stärker geworden, gleichzeitig zu arbeiten und Geld zu verdienen, weil sie auch nie sicher sein können, dass der Mann sie unterstützt. Das ist der Preis der Emanzipation. Früher war es der Mann, der die Familie versorgte. Ein großer Rückschritt ist, dass sich die Gewalt gegen Frauen teilweise sogar verschlimmert hat, unter anderem in Mexiko, wogegen es aber auch Widerstand gibt.
In den 80er-Jahren standen bei Ihnen andere Themen im Vordergrund. Beispielsweise haben Sie sich intensiv mit Ihrer jüdischen Herkunft auseinandergesetzt und darüber ein Buch geschrieben. Was hat Ihr Interesse am Feminismus neu entfacht?
Was mich besonders interessiert, ist die Perspektive, dass man Kritik an Sexismus und an Rassismus gemeinsam denken muss. Ich bin von Sexismus und Rassismus sowie Antisemitismus in gleicher Weise betroffen, weil ich Frau und Jüdin bin. Doch erst im Laufe der Recherche für das Buch habe ich den Begriff Intersektionalität gelernt, der die Verflechtung von mehreren Diskriminierungsformen in einer Person beschreibt.
Sie haben für Ihr Buch unter anderem mit den Journalistinnen und Autorinnen Mithu Sanyal und Hengameh Yaghoobifarah gesprochen. Beide sind bekannt für ihre scharfe Kritik am Sexismus und am Rassismus in Deutschland…
Diese Frauen haben einen Blick auf die Welt, wie ich ihn hatte, als ich in den 70ern aufgebrochen bin. Die Frauenbewegung hat sich dann an vielen Stellen verengt auf den Geschlechterwiderspruch. Heutige Feministinnen sehen das viel breiter. Sie berücksichtigen auch Rassismus und Homo- und Transfeindlichkeit und haben ein Bewusstsein dafür, dass wir in einer Klassengesellschaft leben.
Auch das Alter kann ein Grund für Diskriminierung sein. Sollte das stärker thematisiert werden?
Dieses Thema haben die jungen Frauen nicht auf dem Schirm, ich hatte es früher auch nicht. Ich mache gerade die Erfahrung, dass ich auch mit 77 Jahren gefragt bin und die Möglichkeit bekomme, Bücher zu schreiben. Aber auf der Straße kann ich mir oft Sachen anhören wie »Oma« oder »Mutti«, was mich sehr ärgert.
Ist es Ihr Anliegen, eine Brücke zu schlagen zwischen den unterschiedlichen Generationen an Feministinnen?
Mir war wichtig, dass ich diese von den Medien geschaffene Kluft zwischen Altfeministinnen, also denen der zweiten Welle und den jüngeren Feministinnen so nicht stehen lasse, weil ich es persönlich auch nicht so empfinde. Aber es stimmt schon, dass es manchen älteren Feministinnen schwerfällt, sich auf die neueren Entwicklungen einzustellen. Jetzt sollen sie sich mit Rassismus beschäftigen und mit Gewalt gegen Männer. Das geht manchen gegen den Strich, weil sie denken, das verwässert den Kampf für die Frauen. Dafür habe ich Verständnis. Grundsätzlich ist es für mich entscheidend, sich die Bereitschaft zum Zuhören zu erhalten.
Das Interview führte Sarah Schaefer für »Deine Korrespondentin«, ein Onlineportal, das ausschließlich über Frauen berichtet. Wir danken für die Freigabe zur Veröffentlichung und freuen uns über die Zusammenarbeit!
An dieser Stelle weichen wir von unserem Anspruch, dass die Frauen, deren Arbeiten auf unserer Seite veröffentlicht werden, mindestens 47 Jahre alt sein müssen, ab. Kriterium ist, dass die Protagonist*innen mindestens 47 sind.