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Equal Pay Day – Tag des Zorns

»Bis Geld uns auseinander reißt«
Foto: ©alice-pasqual-unsplash


Am 7. März ist Equal Pay Day. Früher denn je. Man kann sagen: Die Equal-Pay-Schnecke nimmt Fahrt auf. Ein Gastbeitrag von Henrike von Platen (wir haben diesen Text im März 2021 erstveröffentlicht, Henrike hat ihn für den diesjährigen EPD aktualisiert)

Es ist nur ein kleiner Schritt im Kalender, aber ein symbolischer Meilenstein für die Entgeltgleichheit: Der Equal Pay Day rutscht in diesem Jahr erstmals vor den Weltfrauentag am 8. März. Einen einzigen schüchternen Tag davor, auf den 7. März, aber immerhin, halleluja, erstmals vor den Weltfrauentag! Schon im letzten Jahr hatte der Aktionstag, an dem symbolisch auf die Lohnlücke zwischen Mann und Frau aufmerksam gemacht wird, im Kalender Anlauf genommen und war um eine ganze Woche nach vorn gesprintet. Erstmals war die Statistische Lohnlücke unter 20, auf 19 Prozent nämlich, gefallen und entwickelt sich auch in diesem Jahr weiter in die richtige Richtung: 18 Prozent beträgt der Einkommensunterschied aktuell im Durchschnitt. Das ist löblich und geht zweifellos in die richtige Richtung. Es ist aber auch ein bisschen wie die Schnecke, die auf einer Schildkröte reitet und „Huuuiii!“ ruft.

Lange Jahre schien die Lohnlücke wie in Stein gemeißelt. Ein gutes Jahrzehnt dauerte es, bis der Equal Pay Day im Kalender um zehn Tage nach vorn rückte, vom 20. März in 2009 auf den 10. März im Jahr 2021. Berechnet wird das Datum des Aktionstags jährlich anhand des prozentualen Unterschieds in der Entlohnung von Frauen und Männern. Dieser wird aufs Jahr gerechnet in Tage umgewandelt, um zu zeigen, wie lange Frauen gemessen am Gehalt der Männer gratis arbeiten. Aktuell also vom 1. Januar bis zum 7. März ganze 66 Tage.

Lohnlücke wie in Stein gemeißelt

Auf diese Weise wird Jahr für Jahr lautstark auf die unterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauen hingewiesen. Schon vierzehnmal wurde die Lohnlücke bestritten, geleugnet und kleingeredet, vierzehnmal wurde dagegengehalten. Ihre Ursachen wurden erforscht, Lösungen entwickelt, um den Missstand endlich aus der Welt zu schaffen, es wurde verhandelt, gekämpft, vor Gericht gestritten, und es wurde ein Entgelttransparenzgesetz verabschiedet, das nicht sehr viel bewirkt, aber – immerhin – seit 2017 in Kraft ist. Und über all diese Jahre betrug die Lohnlücke konstant gute 20 Prozent und schien wie in Stein gemeißelt.
Nun sinkt sie – aber in Zeitlupe! Ein Grund zum Jubeln wird daraus nur, wenn wir jetzt weiter beschleunigen, um – endlich! – im Raketentempo auf den 1. Januar zuzusteuern und an Silvester – sagen wir 2024 – zu feiern, dass Männer und Frauen für gleiche und gleichwertige Tätigkeiten bekommen, was ihnen gesetzlich längst zusteht, nämlich das Gleiche.

US-Import Equal Pay Day

Der deutsche Equal Pay Day ist ein US-Import. Schon 1906 erforschte die Frauenrechtlerin Alice Salomon dort sehr gründlich „Die Ursachen der ungleichen Entlohnung von Männer- und Frauenarbeit“. 1930 gründete die Anwältin Lena Madesin Phillips in New York die Business and Professional Women, die wirtschaftliche Teilhabe und Gleichstellung forderten. Heute gehören zu dem internationalen Netzwerk 25.000 berufstätige Frauen in 107 Ländern.

Einige Jahrzehnte später verschafften sich die US-Amerikanerinnen mit einer großen Kampagne bis ganz nach oben Gehör. Das Ergebnis: eine gesetzliche Grundlage für gleiche Bezahlung. 1963 unterzeichnete der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, John F. Kennedy himself, feierlich den Equal Pay Act. Ein Meilenstein mit Signalwirkung, schien es.
Noch ein weiteres Vierteljahrhundert später war klar: Pustekuchen. Ein Gesetz allein genügt nicht. Ende der 1980er Jahre gingen die Frauen in den USA erneut auf die Straße, diesmal rote Taschen schwenkend, um auf das Minus in den Geldbörsen der Frauen aufmerksam zu machen.

Können Aktivistinnen überhaupt rechnen?

Und genau an diese Red Purse Campaign knüpften die deutschen Business and Professional Women 2007 mit der Initiative Rote Tasche an, 2008 folgte der erste deutsche Equal Pay Day. Gerade kümmerte sich Ursula von der Leyen als Familienministerin um „Familien und das ganze Gedöns“, wie der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder das Themenfeld nannte, führte Elterngeld und Elternzeit ein und setzte die Quote für Aufsichtsräte ganz oben auf ihre Agenda.
Nur das Thema Bezahlung war lange keins. In den ersten Jahren wurden die Equal Pay Day-Aktivistinnen viel belächelt, Männer wie Frauen begegneten der Kampagne mit Skepsis. Dank deren Hartnäckigkeit rückte die Lohnlücke samt ihrer weitreichenden Folgen endlich ins Bewusstsein. Immer seltener wurde infrage gestellt, dass es überhaupt ungleiche Bezahlung gibt, hier und da ging es nun auch einmal darum, wie sie sich schließen lassen könnte. Halleluja!

Alle elf Minuten verrechnet sich ein Lohnlückenleugner

Doch die Gegenwehr ließ nicht lang auf sich warten: Ist die Lohnlücke wirklich so hoch? Können Aktivistinnen überhaupt rechnen? Schon zweimal wurde der Equal Pay Day zur „Unstatistik des Monats“ gekürt. Die Auszeichnung beruht auf einem Missverständnis: Das kritisierende Institut berechnet den Equal Pay Day anhand der Tage, die Frauen aufs Jahr bezogen über den Jahreswechsel hinaus mehr arbeiten müssten, um das Gleiche zu verdienen wie die männlichen Kollegen, ausgehend vom Gehalt der Frauen. Tatsächlich bezieht sich die Berechnung des Aktionstages aber auf die 18 Prozent des gleichen Jahres, die Frauen im Vergleich zu den Männern nichts verdienen, also gratis arbeiten, und zwar auf Basis des Gehalts der Männer.
Das zweite Ablenkungsmanöver der Lohnlückenleugner (und -leugnerinnen!) besteht darin, die Unterschiede in der Bezahlung von Männern und Frauen statistisch zu „bereinigen“. Alle Faktoren, die die Ungleichbehandlung erklären können, werden herausgerechnet, bis von den 18 Prozent je nach Berechnung noch zwei, sechs oder sieben Prozent übrig bleiben. Teilzeit ist so ein erklärender Faktor. Viele finden das logisch: Klar ist das Gehalt niedriger, wenn eine Frau in Teilzeit für den gleichen Job weniger bekommt als ihr Kollege, sie leistet ja auch weniger! Was dabei übersehen wird: Das Statistische Bundesamt vergleicht nicht die Summe, die am Ende des Monats auf dem Konto landet, sondern den Bruttostundenlohn.
Überhaupt lässt sich die Ungerechtigkeit nicht aus der Welt schaffen, indem man sie erklärt. Statt von bereinigter Lohnlücke zu sprechen, sollten wir die Dinge lieber beim Namen nennen: Die verbleibenden zwei, sechs oder sieben Prozent sind einzig und allein darauf zurückzuführen, ob jemand einen Penis hat oder nicht. Es ist der unerklärbare Rest.

Status quo-Verfechtung

Das Ablenkungsmanöver ist durchschaubar, funktioniert aber: Je vehementer die Lohnlücke geleugnet oder kleingerechnet wird, je widersprüchlicher argumentiert wird, desto weniger wird über Lösungen und Strategien gesprochen – ganz ähnlich wie vor nicht allzu langer Zeit noch beim Thema Tabakkonsum oder bis heute, wenn es um den Klimawandel geht. Wo kein Problem, da auch kein Handlungsbedarf – alte Regel der Status quo-Verfechtung.

Übrigens tun das keineswegs nur Männer, sondern auch Frauen. Journalistinnen, die den Gender Pay Gap als Fake News bezeichnen oder meinen, dass jede Frau ihres eigenen Glückes Schmiedin sei. Influencerinnen, die finden, dass Frauen sich bloß selbst im Weg stehen oder es eben nicht anders wollen. Und eine ehemalige deutsche Familienministerin, die 2013 ihr Amt niederlegte, um sich ganz ihren Kindern zu widmen. Bis heute beklagt Kristina Schröder, CDU-Ministerin a.D., bei jeder Gelegenheit, wie schwer es ihr in ihrer Amtszeit Jahr für Jahr gefallen sei, am Equal Pay Day etwas über ungerechte Bezahlung zu sagen: Schließlich gäbe es überhaupt kein Problem, es würde doch jede Frau für sich selbst entscheiden.

Die Wahrheit? Noch viel dreckiger!

All das geht an der Lebensrealität der allermeisten Frauen gründlich vorbei. Der Vergleich der Nettoeinkünfte von Frauen und Männern zeigt das ganze Ausmaß der Schieflage: Weniger als jede vierte Deutsche hat ein eigenes Nettoeinkommen von mehr als 1.500 Euro. 39 Prozent der Frauen verdienen weniger als 1.000 Euro, und 14 Prozent haben gar kein eigenes Einkommen. Bei den Männern verhält es sich nahezu umgekehrt: 29 Prozent der Männer zwischen 30 und 50 Jahren verfügen über ein Einkommen von weniger als 1.500 Euro, und fast jeder Vierte erzielt ein Monatseinkommen von mehr als 2.500 Euro. Im Klartext: Sehr viele Frauen in Deutschland sind wirtschaftlich von anderen abhängig – mit allen Auswirkungen auf die meist sehr viel geringere Rente und die Vermögensbildung. 18 Prozent Lohnlücke sind die Spitze des Gleichstellungsbergs.

Selber schuld?

Frauen, die Kinder bekommen oder Angehörige pflegen, die Teilzeit arbeiten oder den „falschen“ Beruf gewählt haben, sehen sich mit Herausforderungen konfrontiert, für die sie nicht die geringste Verantwortung tragen. Strukturelle Hürden lassen sich nur schwer überwinden – noch nicht einmal von Frauen, die sich gegen Kinder, für eine Vollzeitstelle oder für einen MINT-Beruf entscheiden und außerdem über exzellentes Verhandlungsgeschick verfügen. Wollen wir wirklich ein System, in dem Frauen es trotz allem schaffen? Oder, um es mit Gloria Steinem zu sagen: „If the shoe doesn’t fit, must we change the foot?“
Um schneller ans Ziel zu kommen, nützt es wenig, den Frauen beizubringen, besser zu verhandeln. Wir müssen die Strukturen ändern, und zwar dort, wo die Gehälter gezahlt werden: in den Unternehmen. Wo ein Wille ist, fair zu bezahlen, braucht es dafür noch nicht einmal Gesetze. Gesetze, wie es die Schriftstellerin Sara Gran einmal auf den Punkt brachte, sind etwas für Leute, die eine Anleitung brauchen, denen man ausdrücklich sagen muss, dass Babys nicht in den Wäschetrockner und Hunde nicht in die Mikrowelle gehören. Dennoch ist es grandios, dass Ursula von der Leyen Jahrzehnte nach ihrem Wirken im Familienministerium als Präsidentin der Europäischen Kommission seit einiger Zeit Nägel mit Köpfen macht: Eine neue EU-Richtlinie ebnet den Weg für alles, von dem wir wissen, dass es in Ländern wie Großbritannien, Island oder der Schweiz bereits bestens funktioniert: Mehr Transparenz in den Unternehmen. Eine Umkehr der Beweislast. Empfindliche Strafen für Unternehmen, die nicht fair bezahlen. Endlich!

Lohngerechtigkeit ist eine Haltung

Denn alles, was wir brauchen, um die Lohnlücke in allerkürzester Zeit zu schließen, sind klischeefreie, neutrale und objektive Entgeltsysteme für alle Beschäftigten. Sind die Strukturen sauber, werden nicht nur Männer und Frauen gleich bezahlt. Praktischerweise bekommen dann ausnahmslos alle die gleichen Chancen, egal, woher sie kommen, wen sie lieben oder woran sie glauben, ganz gleich, wie alt sie sind, ob sie Kinder haben oder keine. Wenn das kein Grund zum Feiern ist!
Wenn der Equal Pay Day im Kalender ab sofort jedes Jahr um ein lächerliches in Kalendertage umgerechnetes Prozent nach vorn rutscht, brauchen wir noch viele Jahre, bis wir endlich am Ziel sind. Ich meine: Es geht rasanter.

Mein Vorschlag: Wir satteln statt der Schildkröte die Rakete und peilen statt eines weiteren Prozentpunkts bis 2023 eine Halbierung der Lohnlücke an, dann fällt der nächste Equal Pay Day ungefähr auf Anfang Februar. Wir sorgen gemeinsam dafür, dass wir den Aktionstag höchstens noch zwei Jahre brauchen und führen stattdessen einen neuen Feiertag ein. Beispielsweise zur Sommersonnenwende, exakt in der Mitte des Jahres: den Fair Pay Day für Chancengleichheit.

Henrike von Platen gründete 2017 das FPI Fair Pay Innovation Lab, das Unternehmen bei der praktischen Umsetzung nachhaltiger Entgeltstrategien unterstützt. Die Wirtschafts- und Finanzexpertin ist Hochschulrätin, Dozentin und Buchautorin und engagiert sich für ein Ziel: Faire Bezahlung für alle.

Foto: ©Oliver Betke.

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