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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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Gestorben wird morgen

Britta Scholten möchte sich auf den Tod vorbereiten.
Sie besucht einen Letzte-Hilfe-Kurs

Wichtige Utensilien in den letzten Stunden eines Lebens. Dass dazu auch die Toffifee-Verpackung gehört,
überrascht nicht nur die Autorin

Am Morgen bin ich noch angespannt. Ich gehe die Treppe zum Seminarraum hinauf. „Letzte-Hilfe-Kurs“ steht auf dem Schild. Vor ein paar Monaten hatte ich darüber einen Fernsehbeitrag gesehen. Letzte-Hilfe-Kurse geben Menschen Hilfestellungen bei der Begleitung Sterbender. Ich hatte bereits an mehreren Erste-Hilfe-Kursen teilgenommen, von denen ich in einer Krisensituation profitierte: Ich konnte meinen Vater ruhig und routiniert in eine stabile Seitenlage bringen, bis die Sanitäter eintrafen. Erst danach flossen mir die Tränen. Ich beschloss also, mich bei einem Letzte-Hilfe-Kurs anzumelden. Auch, was ich dort erlernte, würde ich in nicht allzu ferner Zeit brauchen können.

Als ich damals recherchierte, wer in Berlin Letzte-Hilfe-Kurse anbietet, fand ich keinen freien Platz mehr. Ich schob mein Vorhaben also erstmal in meine Bucketlist. Einige Wochen später räumte ich etwas gelangweilt meinen Schreibtisch auf und stolperte über die Notiz „Letzte Hilfe anmelden“. Ohne viel Hoffnung klickte ich mich durch die Kursangebote und fand einen freien Platz. Es war mein letzter Urlaubstag und der Tod nicht unbedingt mein Wunschkandidat zum Tausch gegen die kostbare Freizeit. Lange schwebten meine Finger über der Tastatur, dann klickte ich „Platz buchen“. 

Elf Frauen und ein Mann

Ich folge dem Hinweis Richtung Seminarraum. Auf den ersten Blick scheint alles wie sonst bei netten Trainings. Es gibt Kaffee und Tee, Kekse und Schokoriegel, eine Frau fragt freundlich nach den Namen für die Liste der Teilnehmenden. Auf einem der Seminartische liegen Postkarten, die aussehen, als würden sie ein Motivationstraining bewerben. Knallig bunt mit Sätzen in großer Schriftgröße: „Ich und sterben? Nur über meine Leiche!“ steht auf einer. Im ersten Moment denke ich, dass das ja schon ein respektloser Umgang mit dem Tod ist. Aber auch lustig. Und lustig soll der Tag werden, macht uns die Kursleiterin gleich zu Anfang unseres Seminars klar. „Wir werden heute viel lachen. Sterben ist ein Teil des Lebens. Lachen auch.“

„Genau das ist mein Ziel: etwas tun zu können.“

In der Vorstellungsrunde hält aber zunächst Schwere Einzug in unsere Runde. „Mein Freund hat Krebs im Endstadium.“ „Meine Mutter ist gestorben, als ich 16 war – da war ich überfordert. Jetzt will ich meinen Vater besser begleiten.“ „Ich habe immer noch ein schlechtes Gewissen, weil ich meine Schwiegermutter nicht ins Krankenhaus gebracht habe.“ Jede der elf Frauen weiß, warum sie an diesem Kurs teilnehmen möchte – nicht aber der einzige Teilnehmer. Er deutet auf die Dame neben sich und sagt: „Das ist meine Mutter. Sie wollte, dass ich mitkomme. Ich denke, ich kann hier was lernen.“ Es werden seine einzigen Sätze sein, die er an diesem Tag mit uns spricht.

Bei aller Schwere stellt sich schon bald ein Gefühl der Verbundenheit zwischen uns ein. Wir alle haben mit Blick auf das Sterben und den Tod ähnliche Situationen erlebt oder möchten uns darauf vorbereiten. Auch die Kursleiterin ist eine von uns. Ihr Vater ist vor wenigen Wochen gestorben, die Familie hatte ihn zu Hause gepflegt. „Als Tochter ging es mir manchmal beschissen. Aber als Palliativ-Krankenschwester konnte ich etwas tun.“ Genau das ist mein Ziel: etwas tun zu können, ruhig und routiniert die letzten Stunden, Tage, Wochen zu begleiten und die Tränen erst dann fließen zu lassen, wenn das Bestattungsinstitut kommt. 

Zusammengestückelte Patientenverfügung

Sterben ist Teil des Lebens. Mit diesem Selbstverständnis beginnt unser Kurs. Wir sprechen über unsere eigene Haltung Tod und Sterben gegenüber und über Vorsorge und Entscheidungen, die es zu treffen gilt. Es geht um die Unterschiede zwischen aktiver Sterbehilfe und Sterbebegleitung, um die Frage, wann Fürsorge und Hilfe übergriffig sein können und um gute Patientenverfügungen. Ich melde mich stolz, als gefragt wird, wer eine solche bereits besitzt. Und falle danach ein wenig in mich zusammen, als klar wird, dass meine im Internet zusammengestückelte Variante keine gute Idee ist. Ohne professionelle Begleitung – die im Übrigen meist kostenlos angeboten wird –, kann man sich beim Ausfüllen der Verfügungen leicht in Widersprüche verstricken. Und dass sich Ärzt:innen im Ernstfall zur Lektüre von fünf Seiten nicht in den Pausenraum zurückziehen können, auch das wird mir jetzt bewusst.  

Hilfe mit Toffifee

Wie lässt sich das Leid der letzten Tage oder Stunden praktisch lindern? Die Seminarleiterin hat auf den Tischen viele Utensilien ausgebreitet, die für solche Situationen gedacht oder einfach umgedacht sind. Wir probieren Mundpflegestäbchen aus, um zu verstehen, wie sich das anfühlt. Die Mundschleimhaut Sterbender ist oft entzündet und feuchte Mundpflegestäbchen können die Schleimhaut etwas beruhigen. Wir erfahren, dass Helfende lieber mit einem beherzten Schnitt die Rückseite eines Pullovers durchtrennen sollen, als einem sterbenden Menschen ein Krankenhaushemdchen anzuziehen. Wir lernen, dass man mit den Plastikeinsätzen von Toffifee Eis-Pastillen machen kann. Und zwar so kleine, dass sie im Mund sofort schmelzen. Den Tagen mehr Leben geben und nicht dem Leben mehr Tage – so lautet das Credo der Palliativmedizin. Wenn Sterbende ihr Lieblingsgetränk trinken wollen, dann gibt es das. Und zur Not als Eis-Pastille.

„Am Ende sitze ich mit der Urne auf dem Schoß. Berührt, belustigt, beruhigt.“

Obwohl wir uns kaum kennen, sind unsere Gespräche intensiv. Brücken zwischen Menschen sind schnell gebaut, wenn sie emotionale Erfahrungen teilen. Nebenbei erfahren wir, welche Worte es für das Sterben gibt oder auch, dass es keine gibt. Wie bei den Römern. Wenn Menschen starben, sagten sie: „Sie gehen dorthin, wo die meisten sind.“

Außer dem Toffifee-Einsatz hat unsere Kursleiterin noch weitere Tipps parat. Zum Beispiel, wie man mit Handtüchern, Büchern oder Poolnudeln für eine bequeme Lagerung sorgt. Oder die Haare wäscht, ohne Wasser zu benutzen. Alle Gegenstände werden herumgereicht. Ich sitze in der Runde so, dass ich die Dinge als Letzte bekomme. Auch die Urne. Ich habe sie mir schwerer vorgestellt. So wie den ganzen Kurs. Aber die Urne ist leicht. „Gepresster Eierkarton“, sagt die Kursleiterin. Ein letztes Lachen an diesem Tag. An diesem Tag, der mich berührter und befreiter zurücklässt, als ich es je gedacht hätte.

Autorin: Britta Scholten Britta ist unsere Wechseljahrsberaterin und zu ihren hilfreichen Tipps geht es hier

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