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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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Endlich Weitsicht!

Wenn wir auch als nicht mehr sexy gelten, für die Erregung öffentlichen Ärgernisses und alte-Leute-Sätze reicht es immer. Silke Burmester findet das beruhigend

Kommt ohne Altersbegrenzung daher: Erregung öffentlicher Erregung
Foto: Esther Ann/unsplash

Sand und Sünde

Es ist ein paar Wochen her, Anfang September, es war der letzte warme Sommertag vorhergesagt, also packten meine Freundin und ich ein paar Decken und den Futterkorb und fuhren an die Ostsee, irgendwo im Klützer Winkel, anderthalb Stunden von Zuhause entfernt. Der Strand war um die Mittagszeit gut gefüllt, wir gingen ihn ein Stückchen entlang und steuerten eine freie Fläche zwischen zwei Paaren an. Das zur Linken war in den frühen 50ern, das zur Rechten Mitte 70. Während ich auf die Lücke zustapfte, fiel mein Blick auf das Paar, das unseren Platz nach links hin begrenzte. Der Mann lag auf dem Rücken ausgestreckt, die blonde Frau, in Bikinihose, lag seitlich neben ihm, halb aufgerichtet. Ihr Oberkörper war leicht gebeugt, ihre linke Hand ruhte auf seiner Hüfte. Ganz ruhig bewegte sie sich hin und her, sodass die Spitzen ihrer nackten Brüste seinen Oberkörper streichelten.

Sie sprachen nicht. Er lag da und sie ließ ihre Brustwarzen über seine Haut zärteln. Ihre Hand strich auf seinem Schenkel auf und ab und ich versuchte sehr beiläufig zu gucken, ob sie nicht eigentlich seinen Schwanz rieb. Eine blöde Situation. Die beiden hatten beschlossen, in der Öffentlichkeit so weit zu gehen, wie es geht und wir waren dadurch, dass wir uns vier Meter entfernt quartiert hatten, quasi zu Grenzposten ihrer Lust geworden. So müssen sich Taxifahrer*innen fühlen, wenn die Gäste hinten rummachen. Man ist bei etwas dabei, das Menschen in der Regel nur dann tun, wenn sie allein sind. Aus irgendeinem Grund hatte das Gefühl von Anstand oder Scham, ihre Erziehung oder das Bedürfnis nach Privatsphäre keine Macht. Sie rieb und rieb. Irgendwann ging sie in die Ostsee und kühlte sich ab. Ich ging pinkeln und als ich zurückkam, kamen sie mir entgegen und es war klar, sie gehen jetzt bumsen.

Man konnte die Frage läuten hören: Ist er ein Trottel?

Es dauerte nicht lang, dann kam ein anderes Paar und legte sich auf das nun freie Stückchen Strand. Beide waren Anfang 60 und für ein Paar, das lang zusammen ist, redete er zu viel. Alles war ein wenig zu aufgeregt. Und deutlich. Er redete und redete und erklärte ihr die Welt. Es war völlig unklar, warum eine Frau sich so vollschwallen ließ, und gleichzeitig so normal. So sind sie die Männer. Erklären uns die Welt. Und wir Frauen sind so und hören zu. Und tun interessiert. Oder halten einfach aus. Auch diese beiden waren sich körperlich nah, aber ihr Umgang war distanzierter, fremder. Irgendwann gingen sie ins Wasser. Er redete auch dort. Dann kamen sie zurück und er begann vom Hafen zu erzählen. Von Ladungen und Fracht. Und Schiffscontainern und den Terminals, von wo aus alles gesteuert wird.
Irgendwann sagte die Frau den entscheidenden Satz: „Ja, das ist sehr Deine Welt.“

„Ja, das ist sehr Deine Welt“ ist eine Formulierung, wie Eltern sie wählen, wenn sie Kinder eine nicht enttäuschende, vielleicht auch ermutigende Antwort geben wollen, zu einem Thema, mit dem sie nichts anfangen können. Es ist ein Satz ohne Ich-Aussage. Er hat etwas Pädagogisches, Therapeutisches. Man versucht, das Gegenüber ruhig zu stellen, man suggeriert Anerkennung und schafft gleichzeitig Distanz. Es war, als hätte die Distanz der Frau Glöckchen an ihren Schwingen. Man konnte die Fragen läuten hören, die die Frau in diesem Moment gehabt zu haben schien: Ist er ein Trottel? Ist das mein Niveau? Was mach‘ ich, wenn das so weitergeht?

Küssen die?!?

Es ist ein Satz, der Zeit verschafft um nachzudenken, wie man sich verhalten will. Die Gedanken, die dem Satz anhängen, hallten über den Strand: „Will ich das? Will ich so einen? Halte ich das aus?“ Und weil sie einsam ist und lang allein war, wird sie gedacht haben, er ist ja ganz lieb. Ich versuch‘s mal. So, wie man versucht, die gute Absicht darin zu sehen, wenn der Vierjährige die Blumen im Vorgarten ausgerissen hat und sie als Strauß für seine Mama präsentiert. Nachsicht. Durchatmen. Abstand. Freude über das Kindliche.
Das ganze Drama dieser Frau mit dem falschen Mann an ihrer Seite in diesem einen Satz: „Ja, das ist sehr Deine Welt.“

Es ging dann folgendermaßen weiter: Meine Freundin und ich lagen auf unserem Laken, als es auf einmal in meinem Rücken deutliche, als überaus laut zu beschreibende Schmatzgeräusche zu hören waren. Geräusche sind wie Gerüche sehr schwer zu beschreiben. Man muss sich diese in etwa vorstellen, wie wenn die Mimen eines Boulevard-Tournee-Theaters, das vornehmlich in der Provinz tingelt, möchten, dass auch noch das Publikum in der letzten Reihe laut und vernehmlich das Küssen hört. Es war ein wenig so, wie wenn Tiere fressen. Ich blickte von meiner Zeitung auf. Ich sah meine Freundin an. Ich fragte leise: KÜSSEN DIE?!?  

Ich schaffte es tatsächlich, mich nicht umzudrehen. Aber ich hätte mir gern Seetang in die Ohren gestopft oder Sand. Dieser Mann war wie ein unbeholfener, ungeübter Tölpel, nicht nur, dass er sich für Containerbewegungen begeistern konnte, er küsste auch wie ein Vierjähriger. Ich nehme an, die Frau begann vollends unsicher zu werden und sich zu fragen, ob als Single zu leben wirklich so schlimm ist.
Egal. Irgendwann war die Kussoperette verstummt und ich drehte mich um. Nun lagen sie halb aufeinander, sie streichelte seinen hübsch gebräunten Rücken und hatte ein Bein über seine geworfen. Das sah schön und harmonisch aus und ich ahnte seinen Ständer. Der würde erstmal abklingen müssen, bevor er sich wieder der Menschheit zudrehen könnte.
Und auf einmal kam mir ein Satz in den Kopf, von dem ich nie im Leben gedacht hätte, dass ich ihn einmal denken würde. Ein Satz, den ich auch ein paarmal in meinem Leben gehört hatte, allerdings war er immer mit Jugend verbunden, und er wurde von Leuten gesagt, die alt waren. In meinem Kopf fragte ich die beiden: „Habt Ihr kein Zuhause?!“

Schön, dass sie so hot aufeinander sind

Ja, ich hatte tatsächlich diesen Alte-Leute-Satz im Kopf, von Menschen, die sich durch das Liebesgetümmel anderer unangenehm berührt fühlen. Und ja, so ist es: Ich möchte nicht dabei sein, wenn mittelalte Frauen ihre Brüste über die Brust ihres Stechers streicheln lassen und nicht daneben liegen, wenn ein mittsechzigjähriger Dauerquassler einen Ständer hat.
Und ja, ich finde, die könnten zum Fummeln nach Hause gehen. Die müssen das nicht hier am Strand machen.

Ich sagte meiner Freundin, dass mir dieser blöde Satz eingefallen sei. Sie wusste, was ich meinte, sagte aber auch, dass es ja eigentlich ganz schön sei, dass die so hot aufeinander seien. Und ja, das finde ich auch. Alt sein und Spaß am Sex haben – ich bin die Erste, die das unterschreibt. Ich möchte trotzdem dabeibleiben und sagen, macht das doch bitte im Privaten. Gleichfalls steckt genau in diesem Umstand das Erfreuliche, das Belebende, das Perspektivische, das dem Älterwerden so oft abgesprochen wird: Man kann gar nicht zu alt sein, als dass man nicht diesen wunderbar beknackten Satz anhören müsste: „Habt Ihr kein Zuhause?!“




Und nun, Weitsicht für die Ohren!

Songs der Erkenntnis, Einsicht und Erleuchtung. Zusammengestellt von Michaela Gerganoff

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