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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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Ein Mann namens Martin | 3

Vor ein paar Jahren hatte der Großschriftsteller Martin Walser sein Reisetagebuch im Zug liegen lassen. Silke Burmester hatte es in Gedanken gefunden. Wir veröffentlichen Auszüge aus dem Weltbetrachtungskonglomerat des schusseligen Literaten.

Martin Walser sucht im Sand die Spuren der frühen Jahre. Gern würde er sich mit den anderen foppen und necken. Aber keiner ist da

Juli, Bretagne
Wieder im Chalet. Sommerflirren, Grillenklirren, Weinseligkeit. Das erfüllende Gefühl, wenn einem der Kopf langsam taub wird. Wenn die Fantasiawelten die Macht übernehmen und die Bilderboten des Rausches schicken. Des Tagdenkers Träume. Käthe schläft im Kühlen, im Schatten der Hund.

Bretagne, Chalet
Haben für ein paar Tage Herbert und Karin zu Gast. Heute Morcheln auf dem Markt gekauft. Tage wie Rhythmusmaschinen der Gleichförmigkeit. Im Morgendiesel erhebt sich das leise Schnaufen der Schwimmenden aus dem Pool, während Käthe das Frühstück bereitet. Am Mittag drängt einen die Hitze ins kühle Innen des Hauses, erst mit dem späten Nachmittag kommt mit uns das Leben zurück auf die Terrasse. Am Abend die endlosen Gespräche, die Wahrheit des Bacchus. Ich lese aus Unveröffentlichtem. Worte, die das Dunkel der Nacht erfüllen. Durchdringen. Sinnstifter des Moments. Spüre die Blicke Karins warm auf meinem Unterarm.

Bretagne, am Meer
Drunten, im Meer, sind auch wir mit unseren Jahren, die sich in unserer Haut lesen lassen wie Wellen im Ozean, Kindern gleich. Da braucht es keinen Anstoß von außen, um noch einmal herumzutollen, sich zu necken, das Wasser zur Waffe der Annäherung zu machen. Auch jetzt noch werden die Blüten der Frauenbrüste bei den ersten Berührungen mit dem kühlen Nass zu Knospen, stoßen die Weiber spitze Schreie aus wie junge Mädchen.
Der Sommer des Alters wird zu den Sommern von früher, denen der mittleren Jahre, den leichtesten von allen. Auch damals tollten wir herum wie junge Hunde, getragen von der Leichtigkeit des Lavendeldufts. Wir foppten uns und flachsten herum, rauften und rangelten, bis aus dem Spielerischen der Widerstand wich, die Körper geschmeidiger wurden und man die Übersicht verlor, wo der eigene Leib aufhörte und der andere begann. Die Besitzansprüche hatten wir beiseitegelegt, zumindest diese Sommer lang. Ineinander lösten wir uns auf. Das Ich im Du, im Wir, in der Erwartung einer anderen, einer besseren Welt. Es war der Ausgang für „Ein fliehendes Pferd“, meinen großen Erfolg.
Morgen Abreise. Käthe kann die Ausweise nicht finden. Angeblich wollte ich sie einstecken.

August, Linz
Eine Lesung in Linz zugesagt, ohne zu bedenken, wie es ist, wenn kein Luftzug die Schwüle anhebt. Wenn der Atem vor dem Munde stehen bleibt, weil er in der Hitze kein Entkommen findet. Da wird man zur Asche einer Glut, die man nie war.

August, Lissabon
Anruf meines Verlegers wegen des lang erwarteten dritten Meßmer-Buches. Will ihn nun doch schon im Frühjahr bringen. Die Nachfrage. Hatte zunächst erwogen, den neuen Band „Meßmers Augenblick“ oder „Meßmers Weile“ zu nennen, habe mich dann doch für das stärkere „Meßmers Momente“ entschieden.
Morgen Abend Lesung im Deutschen Haus, Aufzeichnung von 3Sat für das Fernsehen. Werde erste Motive und Gedanken aus „Das dreizehnte Kapitel“ lesen. Musste Einladung des verantwortlichen Redakteurs zum Mittagessen ablehnen. Habe mir stattdessen vom Hotel einen Hirsebrei bereiten lassen. Das ist der wohl größte Verlust, nicht mehr die Wahl des Essens zu haben. Die Macht über das Verdauen zu verlieren. Und stattdessen Verdauungsverlust lernen lernen.

September, Bahnhof Innsbruck
Habe ein Ticket zweiter Klasse erworben. Mein Dingeverlust nötigt mich zu neuen Maßnahmen. Sollte ich etwas in der zweiten Klasse verlieren, wird es jemand zurückbringen. Wo der Kapitalist sein Portemonnaie trägt, trägt der ehrliche Mann sein Herz. Anstand und Ehre sind in der Arbeiterklasse noch ein Begriff.

Nußdorf
Angekommen.

Die Texte sind zuvor in der taz veröffentlicht worden. Die Langfassung findet Ihr hier

Bildmontage: Simone Glöckler

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