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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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Die Stille des Kühlschranks

Eine Berliner Geschichte von Christiane Gaebert

Nicht kühl, sondern kühn, die Collage „Weltfrauentag 2019“ von Christiane Gaebert


Prolog, von Mutter zu Tochter zu Mutter

Wie ein Monolith ragt er auf in der kleinen Küche, riesig, silbern – ein Raumschiff,
gelandet in terrestrischer Peripherie vergangener Kultur. Ein stummer Zeitzeuge erkalteter
Geschichte, empor gereckter Finger der Moderne inmitten eines Küchenwohnareals
unbestimmbarer Stil-Mixe und Alter.
Mehrere Männer hat er überdauert, geduldig mal Tofu, mal Eisbeine toleriert,
gammelige Joghurts, rechts- und linksdrehend, Käserinden, Nagellack, Sekundenkleber,
Warzenmittel und Nosoden, Ei-Tempera neben Mayonnaise, winterschlafende Landschildkröten, tote Fische, floh-besetztes Kinderspielzeug,
Mottenteddy, Jubiläumstorten, Weihnachtsgänse, Stuhlproben, Kefirpilze und den
Hermann, die Plazenta des Zweitgeborenen – Hausgeburt, 4. Stock – Hinterhaus ohne Bad – Winterkind.
Katzenkadaver, ein Straßentäubchen in Spiritus für die Kunst – Geburt und Tod – bezeugt von Liebherr & Co.

Ist der innere Kreislauf der Konservierung verderblicher Güter gewidmet, so steht die
Außenhülle ganz im Dienste der Bewahrung und Präsentation geistiger Nahrung und Ausscheidungen.
Zwischen Postkarten, Arztterminen, Abfall-Kalendarien mehrerer Jahre, Zeichnungen der lieben Kleinen, Sterbebildchen, Fleißkärtchen, Einkaufszetteln und Erinner-Michs, Röntgenbild eines Mittelfußknochens, Einnahmetabelle ebenjener im Innern befindlichen Nosode, findet sich eine Fotografie.
Alt und klein, braun mit gezacktem, weißen Rand, darauf eine Gruppe von Frauen jeden Alters. Lange Kleider, eng geschnürte Taillen, Hüte über schwarzem Haar, Kinder fein herausgeputzt, die Mädchen beschleifte Locken und brave Zöpfe, der kleine Junge mit ernst gerunzelter Braue, kurzer Hose über den Kniestrümpfen und Lackschuhen, hält einen Welpen im Arm. Männer sind nicht zu sehen. Stolz und ernst die jüngste der Frauen, ein Mädchen noch, lächelt unsicher dem Betrachter zu. Die anderen scheinen alle Augen-blicke der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bereits zu kennen, nix Neues zu erwarten. Zu ihren Füßen liegt ein alter Teppich, mitten im Garten. Darunter werden Jahre später drei Frauen und ein Mädchen zusammengekauert in der Kartoffelmiete hocken, während oben die inzwischen schwere Alte wuchtig mit einem Fleischer-Beil Knochen zerteilt und laut ruft:„Hier gibt’s keine jungen Frauen, zieht weiter!“ Jeden Moment bereit, auch andere Knochen zu zerteilen als die des Schweins.
Der Kühlschrank summt sehr leise, da steht auf einem neonfarbenen Post-it:
Der Müll muss noch raus.

Epilog
Für meine Ur-Ur-Oma, Ur-Oma „Amama“, meine Oma Friedel oder „Fritze“, die tatsächlich nicht nur im Hühnerstall Motorrad fuhr, meine Mutter und für alle jene Frauen, die unbesungen in allen Zeiten Rücken kraulten, Zöpfe flochten, Knie flickten, Nasen putzten, Geschichten und Märchen erzählten, Pfannkuchen buken, bisweilen sich das Kinn rasierten und dem Alltag ein Schnippchen schlugen mit Wort, Witz und manchmal auch mit Beil.

Christine Gaebert ist 1964 in Berlin geboren, hat dort Kunst studiert und dann die wilde Stadt verlassen, um in … Franken! zu leben. Damit es dort nicht so öde bleibt, agiert sie seit einem Jahr als Vorstandsvorsitzende des unterfränkischen Regionalverbandes des Berufsverbandes Bildender Künstler:innen. Und manchmal schreibt sie auch. Zum Glück.
Hier findet Ihr ihre Website

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