Close

Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

Close

Es befinden sich keine Produkte im Warenkorb.

Der Werkzeugkasten wird wieder geöffnet

Gesetze zur Abtreibung sind das ultimative Instrument, um Frauen klein zu halten. Weltweit. In den USA geht der Verteidigungskampf in eine neue Runde.
Silke Burmester über einen Kampf, der uns auch dann nicht egal sein kann, wenn wir keine Kinder mehr bekommen können

Weltweites Symbol für den kriminalisierten Schwangerschaftsabbruch: der Drahtbügel



Irgendwann in den letzten Jahren kam die Erleichterung, den fruchtbaren Teil meines Lebens abschließen zu können, ohne abgetrieben zu haben. In die Bredouille einer ungewollten Schwangerschaft war ich nicht gekommen. Die Frage: ja oder nein?, die Angst, die Verzweiflung, vielleicht auch die Scham, die Unsicherheit, das Gefühl der Ausweglosigkeit und womöglich das der Zerrissenheit, etwas zu tun, von dem ich wünschte, es nicht tun zu müssen, das alles hatte ich nicht durchmachen müssen.
Andere Frauen haben es durchgemacht und sind ebenfalls aus der Nummer raus: Die Fruchtbarkeit ist durch, schwanger werden wir nicht mehr.

In letzter Zeit genieße ich den Umstand, dass nicht mehr jung zu sein, damit einhergehen kann, sich um bestimmte Themen nicht mehr kümmern zu wollen. Die Enttabuisierung der Menstruation, die Forderung nach ausreichend Kitaplätzen, danach, dass Männer in Elternzeit gehen – finde ich wichtig, sind aber nicht mehr meins. „Sollen die Jungen machen!“, denk ich, „ist ihr Ding.“

Jetzt kann ich nicht mehr schwanger werden – ist mir dadurch das Recht auf Abtreibung egal? Die Situation, in der die Amerikanerinnen sich überraschend wiederfinden, die sich quasi von jetzt ab ins Gegenteil verkehren könnte? Die von ihrem im Grundgesetz verankerten Recht auf Abtreibung zu einem – in einigen Bundesstaaten mitunter gänzlichem – Verbot von Abtreibung umschwenken könnte?
Allein, weil ich nicht mehr blute und Amerika ein Land in der Ferne ist, ist das Ganze nicht mein Problem?
Doch. Denn bei der Frage, ob und wenn ja, unter welchen Umständen Frauen abtreiben können, geht es um weit mehr als um die Frage, was erlaubt ist. Es geht um die Frage, wer über uns Frauen bestimmt. Wer über unsere Körper bestimmt.
Es ist ganz simpel: Die Abtreibungsregelung war und ist ausnahmslos ein Instrument zur Reglementierung von Frauen. Es ist eines der elementaren Werkzeuge, unsere Autonomie, unsere Unabhängigkeit, unser Bestreben nach Gestaltung des eigenen Lebens in Bahnen zu halten. Zu kontrollieren. Zu bestimmen, was wir dürfen, welches Maß an Gestaltung der Welt uns zugestanden wird.

Es waren Männer, die den Anspruch erhoben haben, das Maß festzulegen. Zunehmend sind es auch Frauen, die meinen, diese Maßstäbe anlegen zu müssen. Es sind meist die, die sich in ihrer Argumentation auf die zutiefst patriarchale Bibel stützen – das Urbuch zur weiblichen Unterdrückung, Gefügigmachung und Gängelung.
Wir sind im Jahr 2022 nach Christi Geburt und müssen immer noch und schon wieder einen Kampf gegen unseren Anspruch führen, selbst über uns zu bestimmen.

„Kein Mensch muss FÜR Abtreibungen sein. Darum geht es nicht.“

Seit Jahren werden auch in Deutschland die Stimmen lauter, die fordern, den §218 restriktiver zu gestalten, die Fristenregelung mit Beratungszwang zugunsten des Lebens durch ein strengeres Gesetz zu ersetzen. Was in den USA geschieht, geschieht stellvertretend für eine Entwicklung, die sich auch hier abzeichnet. Und die auch hier stark durch religiöses Denken motiviert ist.
Deswegen geht es nicht nur um unsere schwesterliche Solidarität, sondern es geht auch darum, die Antennen auszufahren und sich zu wappnen für einen Kampf, der auch hier u.U. bald wieder zu führen sein wird

Sich für das Recht von Frauen zur Selbstbestimmung einzusetzen, sich dagegen zu verwehren, dass das Recht auf Abtreibung eingeschränkt oder abgeschafft wird, heißt nicht, für Abtreibungen zu sein. Kein Mensch muss FÜR Abtreibungen sein. Darum geht es nicht. Es geht darum, FÜR das Recht von Frauen zu sein, über ihr Leben selbst zu bestimmen. Und dagegen zu sein, mit dem Instrumentarium des Abtreibungsgesetzes Frauen in eine Situation als Mutter zu zwängen, die fast automatisch verhindert, dass Frauen Männern in deren Bedürfnis nach Verwirklichung ihrer Selbst in die Quere kommen. Denn darum geht es, um wenig anderes: Die Möglichkeit, Frauen ins Muttersein zu zwingen, ist der Garant für deren Häuslichkeit und damit für die freie Bahn der Männer in allen Lebensbereichen.

„Für diesen Kampf gibt es kein ‚zu alt‘.“

Das Schöne am Älterwerden ist die Ruhe, die in der Klarheit liegt. Ab 1985, mit 19 Jahren, war ich für zwei, drei Jahre in Hamburg in einer §218-Gruppe aktiv. Ich war damals sehr aufgeregt, ob der Ungerechtigkeit und der Anmaßung. In die politische Arbeit spielten immer wieder die Situationen einzelner Frauen hinein: Was ist, wenn Katrin nun noch ein drittes Kind bekommt? Was soll die Studentin tun, die ihr Studium abbrechen müsste, wie schnell ist ein Termin bei Pro Familia zu bekommen, und wie sind die Fahrten in die Niederlande zu organisieren?

Jetzt, so stelle ich fest, ist das nicht mehr mein Thema. Der Praxisbezug spielt keine Rolle mehr. Mit der Ruhe der Erkenntnis wandert der Blick zum Kern der Sache, zu den Wurzeln des Baumes: dem ultimativen Übel, der Arroganz des Anspruches, Frauen zu reglementieren. Uns klein und kontrolliert zu halten.
Auch jetzt noch. In einer Welt, in der von Tag zu Tag klarer wird, dass man zur Lösung der enormen Probleme und Herausforderungen nicht auf die Bildung, die Klugheit, das Wissen, die Strategie und das Denken von Frauen verzichten kann, in der der erkennbare Nutzen von Frauen für diese Welt und Gesellschaft mit jedem Tag sichtbarer wird, sollen wir reglementiert werden. Über das Instrument des Gebährzwanges und dessen Folge: die Kriminalisierung.

Das ist so erbärmlich. So kleingeistig. Ich könnte sagen: Das können sich nur Männer ausdenken. Aber was nützt es, das zu denken?
Antwort: Es schärft noch einmal das Bewusstsein für die Hilflosigkeit und Verachtung, mit der Männer seit jeher auf Frauen reagieren. Und es macht noch einmal klar: Für diesen Kampf gibt es kein „zu alt“, kein „ausgeblutet“, kein „nicht mehr gebährfähig“. Dieser Kampf ist in jedem Alter zu führen. Wir sind dazu in einem der besten.

Close