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Palais F*luxx

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Rente? Ich?!!

Gabriele Bärtels erhält Post aus einer anderen Galaxis. Die Deutsche Rentenversicherung sagt, es kann losgehen!

Völlig klar, liebe Deutschen Rentenversicherung, hier liegt ein Irrtum vor
Foto: Regina Kramer


Vor einigen Tagen plauderte ich im Regionalladen mit der Verkäuferin. Ich duzte sie wie gewöhnlich, wenn ich das Gefühl spontaner, gegenseitiger Sympathie habe. Dass mich die schöne Frau mit ihren großen Augen im Verlauf des Gespräches hartnäckig zurücksiezte, irritierte mich.
Irgendwann sagte ich: „Wir schwanken hier immer zwischen Du und Sie. Also, ich heiße Gabriele.“
Die Verkäuferin lächelte und nannte ihren Vornamen. Dann sagte sie entschuldigend: „Es war ja aus Respekt.“
Erst da fiel mir wieder ein, dass ich graue Haare habe, und dass die Verkäuferin gar nicht mich sieht, sondern eine deutlich ältere Frau mit Truthahnhals.

Diese Frau, also ich, ist gerade 63 geworden. Als Freiberuflerin treiben mich permanent Geldsorgen um. Vorgestern habe ich mir meinen letzten Rentenbescheid angesehen, nur, um mir klar zu machen, dass ich mangels Entgeltpunkten auch im Alter keine Ruhe genießen werde.
Diesen Bescheid hatte ich viele Jahre lang nur abgeheftet. Die Rente betraf Menschen aus einer anderen Galaxis. Für mich war es bloß ein vages Versprechen in einer fernen Zukunft, das mir völlig unwichtig erschien. Auch jetzt glaubte ich, dem Eintrittsalter noch weit entrückt zu sein, mindestens noch drei Jahre.
Während ich die dicht mit Text und Zahlen bedruckten Seiten durchblätterte, fiel mein Blick auf ein Datum: 1.9.2022. Offenbar konnte ich als langjährig Versicherte zu diesem Zeitpunkt vorzeitig in Rente gehen, wenngleich mit Abzügen. Ich schaute auf. Das war ja in drei Wochen!

Für die Jungen sind wir Stolpersteine

Um die umwerfende Nachricht zu fassen, brauchte ich mehrere Tassen Kaffee und einen langen Spaziergang. Mein Inneres machte einen Katzenbuckel, während ich mich in Rente gehen sah. Hatte ich dem Altern nun nichts mehr entgegenzusetzen, war mein Lebenswerk abgeschlossen, während ich noch auf Ruhm hoffte, würde ich den Kreis der Tätigen nun endgültig verlassen, um mich zu den Gebückten zu gesellen, die auf Parkbänken sitzen? So jedenfalls ist ausnahmslos jeder Zeitungsartikel bebildert, der sich mit Rentnerthemen befasst.
„Rentner“ ist kein wertfreier Begriff. Nein, er hat eine stark negative Note, und es gefällt mir nicht, mich so bezeichnen zu müssen.
Rentner sind diejenigen, die vormittags einkaufen gehen und an der Kasse endlos mit ihrem Kleingeld hantieren, sie bevölkern die Busse und lassen sich in Arztpraxen stöhnend auf Wartezimmerstühle fallen. Ihr Smartphone bleibt ihnen ein ewiges Rätsel. Sie wüten gegen den Fortschritt und regen sich entsetzlich auf, wenn sie einen Hund ohne Leine sehen. Aus der Betriebsamkeit des Lebens haben sie sich abgemeldet, hegen höchstens noch Kleingarten und Kleinhund, kaufen rezeptfreie Ginkgo-Tabletten, um ihrem geistigen Verfall entgegenzuwirken und gucken empört, wenn ein Jüngerer aus der Reihe tanzt.
Diese Jüngeren wiederum würdigen jemanden, der als Rentner zu erkennen ist, keines weiteren Blickes. Für sie sind Grauhaarige bloß Stolpersteine und der Inbegriff der Piefigkeit, was man auch am Fernsehprogramm von ARD und ZDF deutlich erkennen kann. In den Werbeblöcken bei den Privatsendern kommt diese Altersgruppe nur vor, wenn man ihnen ihre Immobilie abschwatzen will. In den Clips für Waschmittel, Baumarkt, Jeans und Abenteuerreisen – ausschließlich junge Leute.

Die Kapitulation ist das Drücken der Enter-Taste entfernt

Ich rief die Website der Deutschen Rentenversicherung auf und stellte fest, dass der Online-Antrag bloß einen Klick entfernt war. Worauf sollte ich warten? Ein paar sichere hundert Euro im Monat sind für eine prekäre Freiberuflerin nicht zu verachten, und der Ausweis für Ermäßigungen ebenfalls nicht. Zugleich möchte ich diesen nicht in der Tasche haben.

Mit einem ideologiefreien Freund, der scharf rechnen kann, beriet ich mich. „Soll ich das machen?“, fragte ich und drohte ihm zugleich: „Wag es niemals, mich Rentnerin zu nennen!“
Er riet mir ausdrücklich zu und half mir damit über die Schwelle, die mir wie eine Kapitulation erschien, obwohl ich natürlich nicht daran denke, das Arbeiten einzustellen, denn ich bin ja immer noch dieselbe tatkräftige, kreative Person wie gestern und habe nicht vor, mich jemals zur Ruhe zu setzen. Dass ich im großen linken Zeh und rechten Kniegelenk bereits Arthrose habe, spielt dabei keine Rolle.

Also tippte ich meine Daten in das Onlineformular, klickte auf „Senden“ und lehnte mich mit Gefühlen des Selbstekels zurück.
Schon vor den Zeiten des hypersensiblen Genderns, dem ich als engstirnige Bald-Rentnerin kritisch gegenüberstehe, hat man Begriffe umgelabelt, die jahrzehntelang Gültigkeit hatten: Lehrling wurde zu Auszubildender, Sozialhilfe zur Grundsicherung, Arbeitsamt zu Jobcenter. Es wird Zeit, dass die Gesellschaft auch den Begriff „Rentner“ ächtet und sich für die Deutsche Rentenversicherung einen Namen einfallen lässt, der das Positive am Altern betont und das Negative verschweigt.
Wie wäre es mit „Deutsche Erfahrenen-Versicherung“? Klingt etwas hölzern wie die meisten politisch korrekten Ausdrücke, trotzdem würde es mir unter diesem Siegel erheblich leichter fallen, diesem erlauchten Kreis beizutreten. Die Jungen, die mit dem neuen Begriff aufwachsen, würden mich fortan bewundern.
Doch so weit ist unsere Gesellschaft nicht. Daher beschloss ich, meinen Schritt ins Abseits den meisten Leuten zu verheimlichen. Es soll kein falsches Licht auf mich fallen. Vielleicht färbe ich mir auch wieder die Haare.

Mehr über Gabriele Bärtels Tun und Schaffen findet Ihr auf ihrer Homepage

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