Bisher sehen nur CDU/CSU-Politikerinnen eine Notwendigkeit, die Wechseljahre auf die politische Agenda zu setzen. So trafen sich letzte Woche auf Einladung von Dorothee Bär rund 100 Frauen im Deutschen Bundestag – für uns war Simone Glöckler dabei. Und sie bekam Interessantes zu hören
Hätte mir jemand vor zehn Jahren gesagt, du sitzt mal mit vier Politikerinnen der CDU/CSU in einem Raum wegen desselben Themas – ich hätte der Person den Vogel gezeigt und sie für bekloppt erklärt. Nun. Es ist passiert. Und dazu noch im Deutschen Bundestag. Die Zeiten ändern sich. Gewaltig.
Was Dorothee Bär, Julia Klöckner, Silvia Breher und Franziska Hoppermann und mich zusammenbringt: die Wechseljahre.
9 Millionen Frauen und 16,89 Euro – diese Ziffern ebenso wie der Code N95, sind die Schlagworte der zweistündigen Veranstaltung letzte Woche in Berlin. In Deutschland leben derzeit knapp neun Millionen Frauen in den Wechseljahren und sind zwischen 45 und 55 Jahre alt. Fürs innere Auge: Das sind die Einwohner*innen von Berlin, Hamburg, München, Köln und Frankfurt a. M. addiert. 16,89 Euro bekommt ein*e Gynäkolog*in PRO Quartal für die Behandlung zu den Wechseljahren, egal, wie oft die Betroffene die Praxis aufsucht. N95 ist der dazugehörige mickrige Diagnoseschlüssel. Diese Fakten gepaart mit der Tatsache, dass die Ausbildung von Fachärzt*innen bezüglich der Wechseljahre unterirdisch ist und die Forschung das Thema so gut wie ignoriert, machen es notwendig, die Wechseljahre auf die politische Agenda zu hieven. Und weil außerdem die wirtschaftlichen Folgen des Ignorierens der geplagten Arbeitnehmerin immens sind, möchte Frau Bär mit ihren Kolleginnen zeitnah im Plenum des Deutschen Bundestags diskutieren. Und obendrein eine nationale Strategie fordern.
Dass die Politik sich des unterbelichteten Themas annimmt, ist Miriam Stein, Autorin des Buchs „Die gereizte Frau“, zu verdanken. Nachdem sie alle Parteien angeschrieben hatte und nur Dorothee Bär reagierte, wurde am 16. März auf Einladung der CDU/CSU ins Jakob-Kaiser-Haus gebeten. Ein kleiner Plenarsaal, gefüllt mit rund 100 Frauen, die sich zeitlich in, vor, nach oder um die Wechseljahre herum befinden oder damit beruflich zu tun haben – wie Dr. Sheila de Liz, Gynäkologin und Autorin des Bestsellers und mittlerweile Standardwerks „Woman on Fire“.
Nach einer informativen und humorvollen Eröffnung folgten Stimmen der Zuhörenden – es waren drei Männer anwesend. Für mich besonders erhellend: Eine Berliner Internistin erklärte, dass in der Zeit um die Menopause die richtigen Weichen für die Gesundheit von Frauen im Alter gestellt werden können. Durch Fokussierung auf Prävention reduzierten sich die Gesundheitskosten für Osteoporose, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Demenz deutlich. Denn: Erkennt der/die Mediziner/in frühzeitig den Hormonhaushalt etwa als Ursache für die Gelenkschmerzen, kann einer Arthrose vorgebeugt werden.
Die Wechseljahre gefährden den Wohlstand
Neben den oben genannten Punkten, die diskutiert, von Frau Bär notiert und mit Stimmen der Zuhörenden untermauert wurden, setzte die ehemalige Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner noch einen interessanten Aspekt obendrauf: Unser Wohlstand ist durch die Wechseljahre gefährdet. Großes Unbehagen machte sich ob der Wortwahl in mir breit. Doch ich muss zugeben, dass das Argument so kapitalistisch formuliert noch mehr Wucht bekommt und die Wirtschaft es kaum ignorieren kann. Studien aus Großbritannien belegen, wie wichtig es ist, Wechsel und Wirtschaft zusammen zu denken. Auf der Insel gehen geschätzte 14 Millionen Arbeitstage durch wechseljahresbedingte Ausfälle verloren und 25 Prozent der Arbeitnehmerinnen tragen sich mit Kündigungsabsichten. Nischenthema? No way!
Da ist noch viel Brett zu bohren, für Frau Bär & Kolleginnen, dachte ich zwischendurch. Doch Dr. de Liz hält praktische Lösungsansätze bereit, die das Ganze gar nicht mehr so groß erscheinen lassen. Als Beispiel: So wie ein Brief von der Krankenkasse ab 50 zur Mammografie aufruft, könnten weibliche Mitglieder ab Ende 40 an die Wechseljahre „erinnert“ werden. In dem Schreiben würde auf mögliche Auswirkungen des verwirrten Hormonspiegels und auf Präventionsmaßnahmen hingewiesen werden. So einfach, so kompliziert offenbar. Dafür müssen die Wechseljahre eben doch noch mehr Sichtbarkeit erfahren. Und vor allem ins medizinische Curriculum aufgenommen werden und den Weg aus der gesellschaftlichen Tabuzone finden.
Ich bin wirklich sehr gespannt, wie der weitere Weg der Wechseljahre in die Politik sein wird. Dass Frau Bär es ernst meint, hat sie ausdrücklich betont und als 44-Jährige ist ihr Interesse auch eigennützig und das ist oft der beste Treibstoff. Und noch ein Eindruck ist bleibend: Die Frauen, die dort saßen, lauschten und diskutierten, werden nicht lockerlassen, bis sich die medizinische Versorgung und die berufliche Situation in den Wechseljahren verbessert haben. Wir sind ja schließlich neun Millionen. Oder auch fünf Großstädte.
Simone Glöckler