Sylvia Heinleins Wochenjournal über die Stürme im Wasserglas des Alltags.
Diesmal: Weniger Gefühl, ihr Luder
Gestern zur Autowerkstatt gefahren. Man muss hinfahren, wenn man eine Frage hat, der Meister hält nichts vom Telefonieren. „Das Gequatsche…“, sagt er, „wer was will, soll kommen.“ Wer möchte da widersprechen? Der Meister ist dieses Mal nicht leicht zu finden, er sitzt in der hintersten Werkstattecke auf einem Stuhl, die Arme über dem mächtigen Bauch verschränkt. „Moin“, sage ich, „dachte schon, der Meister ist nicht da, aber hier sitzt er ja, warum so versteckt?“. „Weil“, sagt der Meister, „ich die Schnauze voll hab‘.“ Da fragt man nicht groß nach, da nickt man und kommt zum Wesentlichen: Ich brauche dringend TÜV, er ist schon seit Mai abgelaufen, ich habe bereits einen Strafzettel und muss den Wagen nun umständlich beim Amt vorführen, quasi bereits gestern, es ist alles sehr brisant, die Briefe von der Polizei und anderen sind scharf im Ton. Der Meister schnaubt. „Vor Weihnachten wird das nix“, sagt er. Ich fahre das übliche Programm auf – der Meister will es so, er braucht es, jedes Mal –, schlage die Hände vors Gesicht, sacke in mich zusammen, bin kurz vor einer Ohnmacht, stöhne, mein Leben ist verwirkt, da ist nichts als hoffnungslose Verzweiflung. „Na, dann bring ihn Montag“, sagt der Meister.
Dann kommt der Geselle rein und sagt, dass er doch noch ‘nen Dreierflansch gefunden hätte und der 25er sei wieder da, er würde jetzt loslegen. Der Meister nickt, der Geselle trollt sich. Abends, wurde mir in diesem Moment klar, gehen Meister und Geselle, wie Millionen andere Männer weltweit, nach Hause zu ihren Frauen und wenn die dann über die Beziehung reden wollen, dann passt das einfach nicht. Weil Beziehungsgespräche nämlich etwas Schwammiges, Undefiniertes sind, alle Beteiligten haben dabei ein unangenehmes Gefühl und niemand kann wissen, wo das Ganze enden wird. Jetzt mal im Gegensatz zu einer Autoreparatur.
Lassen wir also, meine gesprächsbedürftigen Luderchen, probehalber mal die Emotionen beiseite. Das wird auch an Weihnachten helfen, ich selber fürchte mich bereits vorm Fest. Mein Bruder kommt zu Besuch, er lebt in Amerika, und bringt Frau und Kinder mit. Ihr Small Talk überfordert mich, sie wiederum geraten in Panik, weil ich über Gefühle spreche. Als älteste Frau der Großfamilie möchte ich dieses Jahr jedoch versuchen, meine Verantwortung wahrzunehmen.
In einem Interview sagt ein erfolgreicher Unternehmensberater zum Thema Authentizität: „Ob ein Chef sich authentisch fühlt oder nicht, interessiert mich eigentlich nicht. Er hat eine Dienstleistungsfunktion gegenüber den Mitarbeitern, er muss sie besser machen. Wer das nicht mag, muss entweder den Job aufgeben oder lernen zu schauspielern, bis er sich damit irgendwann wohlfühlt.“ Das scheint mir ein kluger Rat für jedes gefühlige Luder bei Familienzusammenkünften. Kürzer wird es nur noch Undercoveragenten in norwegischen Fernsehserien geraten: „Verhalte dich unauffällig und sei ein guter Bürger.“ Die Pistole steckt natürlich am besten im Strumpf, unter dem Hosenbein.