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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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Na fein!

Sylvia Heinleins Wochenjournal über die Stürme im Wasserglas des Alltags. Diese Woche fordert unsere Kolumnistin „Rumhopsen!“

Lasst Euch nicht unterkriegen, weder von Tierchen noch Plaisirchen!



Ich könnte Geschichten erzählen, meine Luder, vor allem über Krebs und Krankenhäuser, aber solche Storys muss man mögen. Das ist wie mit belegten Häppchen, kaum jemand greift auf dem Servierteller zuerst zum Schnittchen mit Schlimme-Augen-Wurst. Ich selbst mag am liebsten Ei mit Sardellencreme und als Krankheit bevorzuge ich Halsschmerzen.

Nicht wenige Menschen, die Krebs haben oder hatten, schreiben darüber ein Buch. Warum tun sie das?, habe ich mich oft gefragt. Antwort, eventuell: Weil sie etwas Tragisches erlebt haben und daran gewachsen sind und diese Erfahrung für wertig genug halten, sie der Welt mitzuteilen. Okay, kann man machen, stört ja keinen großen Geist. Nächste Frage: Wer liest so etwas und warum? Ist es das Gleiche, wie langsam an einem dramatischen Unfall vorbeizufahren, man will nicht hinblicken, tut es aber doch und sieht die böse zerknautschten Fahrzeuge, womöglich steht sogar noch ein Krankenwagen da und man denkt „Oh Gott, die Armen!“, aber gleichzeitig ist da auch dieses „Ujujujuj, puh!“, weil es einen selbst nicht erwischt hat?

Im Buch über Krebs müssen unbedingt auch philosophische Gedanken drin sein

Ich hätte auch gerne Spaß daran, ein Buch über meinen Krebs zu schreiben, vielleicht am besten so eine Art tapferes, zuversichtliches Tagebuch, weil ich ja noch nicht weiß, wie und wann die Geschichte ausgehen wird. Es müssten in jedem Fall auch noch eine Menge optimistischer und philosophischer Gedanken drin sein und natürlich Humor, so ein feines, unterschwelliges Schmunzeln, dann kann hinten auf dem Umschlag „Trotz aller Tragik ein heiteres Plädoyer fürs Leben“ stehen und man könnte es auch an Leute verschenken, die sonst eher dramatische Liebesromane lesen oder historische Krimis. Als Kritiken stelle ich mir „Ausgesprochen unterhaltsam“ und „Nein, das ist beileibe nicht nur privat, das ist wahrlich universell“ vor. Vielleicht gäbe es auch einen Preis, die Jury könnte ihre Entscheidung mit „Oft drastische Metaphorik zwischen Splattermovie und biblischer Idylle“ begründen. Tatsächlich werde ich kein Krebsbuch schreiben, herrjeh, ich habe keine Zeit für anstrengende Albernheiten, ich bin ausreichend damit beschäftigt, auf dem Sofa zu liegen und Beruhigungstabletten zu schlucken.

Kaputtes Beinchen oder Krebs – egal, der Frühling ermuntert zu fröhlichem Hopsen

Der Umgang Betroffener mit dem Thema ist sehr unterschiedlich, mein Postbote hat seinem Tumor einen charmanten, französisch klingenden Namen gegeben: Etine – Ein Tumor Ist Nicht Erwünscht. Er schreibt mir, es seien jetzt nur positive Gedanken und Gefühle erlaubt. Das ist eine schöne Einstellung. Mich richtet anderes auf. „Ich tret‘ dem Krebs in seinen verseuchten Wichsarsch“, ließ mich eine Freundin wissen. „Diese hässliche Killerfratze, ich schieß die Dreckstöle übern Haufen, unwerte Geburt der Hölle.“ Das ist so die Art von Milieu, in dem ich mich aktuell herumtreibe.

Jetzt aber wollen wir es uns hübsch machen, meine frühlingssehnsüchtigen Luder, und uns freuen über die Natur, die bei allem Wirrwarr so überraschend zuverlässig und herrlich erwacht; wir dürfen draußen herumhopsen, zwei Humpen Cremant trinken und ausnahmsweise ein Zigarettchen rauchen, wenn es uns denn drängt. Hopsen sollten wir in jedem Fall, auch wenn wir Rücken haben oder ein kaputtes Beinchen oder Krebs oder Frühblüher-Allergie. Nützt alles nichts, meine Luder, schaffen wir uns rein in die nächste Runde.

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