Buchvorstellung: „Ozelot und Friesennerz“
Worum geht es?
Susanne Matthiessen ist auf Sylt aufgewachsen, als Tochter eines Pelzhändlers. In diesem Buch erzählt sie über die Zeit, in der Männer ihren Frauen Nerze kauften, und Frauen sich selbst einen Jaguarmantel. Wir erleben den Alltag auf dieser beliebten Ferieninsel aus der Perspektive der Einwohnerinnen, erfahren einiges über deren Blick auf uns Touristinnen und den Alltag zwischen den „Schönen und Reichen“.
Was kann das Buch und was hat es mit mir zu tun?
Dieses Buch über eine Kindheit auf Sylt ist auch ein Buch über Mütter und die Rolle der Frauen auf der Insel. Susanne Matthiessen berichtet von der Selbstverständlichkeit arbeitender Frauen, die ganz nebenbei auch noch Haushalt und Kinder versorgten. Deren Leben geprägt war vom Umsorgen und Versorgen der Gäste. Kinder liefen einfach so mit, für Helikoptern war keine Zeit. Wenn die Väter und Mütter nicht im Laden, der Pension oder dem Hotel standen, dann wurde gefeiert. Das Kinderzimmer war während der Saison vermietet und für die Kinder ein Bett im Wohnzimmer eingerichtet.
Mit besonderem Blick auf die Rolle der Frauen wie ihrer Mutter und Großmutter schildert Susanne Matthiessen ein Leben, das sehr weit weg ist von unserem Urlaubsdasein auf der Insel.
Ganz nebenbei denkt die Autorin in ihren Geschichten darüber nach, was eigentlich in den vergangenen Jahrzehnten mit ihrer Heimat passiert ist. Wann hat das begonnen, dass Tausende mit ihren Autos nach Sylt kommen, dass Grundstücke und Häuser zu horrenden Preisen verkauft werden, aber bei der Gesundheitsversorgung der Insulaner*innen immer weiter Geld eingespart wird?
Wer je auf Sylt war wird die Insel und vor allem die Insulaner*innen nach der Lektüre mit anderen Augen sehen.
Warum sollte mich das interessieren?
Weil wir viel zu wenig darüber nachdenken, was mit Orten passiert, an denen wir gern Urlaub machen. Was verändert sich landschaftlich, wenn Grundstückspreise steigen und steigen? Wie hoch ist unser eigener Anteil an der Veränderung, wenn wir mit riesigen SUVs auf einen Autozug fahren, statt auf einer kleinen Insel die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen?
Außerdem werden Mütter ganz sicher den einen oder anderen Gedanken daran verschwenden, wieso wir das Vertrauen in unsere Kinder verloren haben. Wann hat es begonnen, dass Kinder kaum etwas alleine machen dürfen? Müssen wir die „Überwachungsmöglichkeiten“ durch Handys wirklich nutzen oder können unsere Söhne und Töchter auch mal unbeobachtet unterwegs sein?
Warum ist die Autorin interessant?
„Ozelot und Friesennerz“ ist das Debut der Journalistin Susanne Matthiessen. Sie hat versucht, sich von der Insel loszusagen. Als Jugendliche ist sie weggegangen von Sylt, hat sich den Norddeutschen Slang fürs Radio abtrainiert, Kontakt zu alten Freunden abgebrochen und versucht, sich in Berlin etwas Neues aufzubauen. Hat nicht funktioniert. Deshalb die Entscheidung, die alten Fotoalben herauszuholen und mit Freunden von damals darüber zu sprechen, wieso einen diese Insel so gefangennimmt.
Kostprobe:
„Er findet, dass Annemarie Renger in ihrem Mantel wirklich elegant aussieht und insgesamt einen guten Job macht. Obwohl sie eine Frau und dann noch in der falschen Partei ist, weil sie nämlich für die SPD im Bundestag sitzt. Sie trägt Pelz mit Stolz. Und sie ist immerhin Bundestagspräsidentin und seit 1972 die allererste Frau der Welt überhaupt an der Spitze eines frei gewählten Parlaments – Dabei ist es gar kein Ozelot, den die Bundestagspräsidentin trägt. Mein Vater sagt, es sei ein wunderschöner Jaguar. “Leider nicht von uns.“
Susanne Matthiessen: „Ozelot und Friesennerz – Roman einer Sylter Kindheit“, Ullstein, 12,99 Euro
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Rezension: Anja Goerz