Was bis eben noch passend war, greift nicht mehr. Der Körper fordert einen neuen Umgang und die Gesellschaft verändert ihren uns gegenüber. Wir müssen uns neu orientieren. Und kommen zu großen Erkenntnissen
Nicht mehr vermittelbar? Auch gut!
Früher habe ich mit langhaarigen Jünglingen aus meiner Abschlussklasse zu Angie von den Rolling Stones geschwooft. Die Erkenntnis, dass ich mit Anfang sechzig sogar für diese gleichaltrigen Männer uninteressant geworden bin, schlug bei mir ein, als kürzlich ein solcher mit mir flirtete.
Während ich begann, zarte Keime der Verliebtheit in meinem Herz zu züchten, traf ich ihn wenige Tage später mit einer deutlich Jüngeren im Arm, mit der er jetzt fest zusammen ist. Er winkte mir freundlich zu. Ich, die täglich in Jeans auf dem Fahrrad herumturnt und bei guter Musik jederzeit bereit ist, wieder wild und sinnlich zu tanzen, begriff in dieser Sekunde, dass ich ein Auslaufmodell geworden war wie Generationen von Frauen vor mir.
Die meisten partnersuchenden Damen meines Alters werden diese Erfahrung bestätigen. Da jedoch bestimmt nicht alle Rentner für jüngere Frauen attraktiv sind, können einige von uns vielleicht noch fündig werden, und die anderen müssen die Hoffnung nicht aufgeben. Nur ich finde bestimmt keinen Mann mehr, denn ich bringe neben meinem Alter noch eine Reihe anderer Minuspunkte mit, die mich schlicht unvermittelbar machen: Ich bin ein Habenichts mit einer mikroskopisch kleinen Rente, außerdem eine unverbesserliche Raucherin. Obendrein werde ich durch Tag und Nacht von einem großen Hund begleitet, was romantische Spontanreisen unmöglich macht.
Ich schleppe nicht länger ein Kosmetikstudio mit mir rum
Mit solchen Parametern sinkt die ohnehin schon einstellige Zahl männlicher Interessenten gegen null, da mag ich noch so warmherzig, treu, charmant und attraktiv erscheinen. Folglich schaue ich auf Jahrzehnte des Alleinlebens voraus. Ob mir das nun wehtut oder nicht, ist der Menschheit egal. Bevor mich diese Aussicht niederzuschmettern drohte und mein Gesicht Gefahr lief, sich in Bitterfalten zu legen, beschloss ich, mich lieber mit meinem unabwendbaren Schicksal abzufinden. Ich war ja auch einmal eine Jüngere gewesen, die einer Älteren vorgezogen worden war, und zu ihrem (und meinem) Glück zwingen kann man nach Jugend haschende Ü-60-Männer nun mal nicht.
Seitdem ich diese Kröte geschluckt habe, geht es mir besser, tatsächlich fühle ich mich befreit. Früher wollte ich Männern automatisch gefallen, meistens bemerkte ich nicht einmal, wie ich das Köpfchen schief hielt, wie hoch meine Stimme stieg, wie oft ich meinen Lippenstift überprüfte. Solche letzten Reste übertriebener Mädchenhaftigkeit fallen gerade von mir ab, und ich habe nichts dagegen. Zu wissen, dass man bestimmt keinen Mann mehr abkriegt, hat ja auch Vorteile: Nie wieder werde ich die hochhackigen Sandalen tragen, deren Riemchen schmerzhaft ins Fleisch schneiden. Die verführerischen, aber kneifenden Spitzen-BHs habe ich entsorgt, ebenso die engen Röcke, die meine Bewegungsfreiheit einschränken. Mit auf den Müll geflogen sind Handtaschen in großer Zahl und allen möglichen Farben. Ich schleppe nicht länger ein Kosmetikstudio mit mir herum – Schlüssel, Geldbörse und Handy genügen.
Es gibt so viele interessante Frauen in meinem Alter
All das bedeutet keineswegs, dass ich mein Frausein abrüste. Zeitlebens werde ich Freude daran haben, gepflegt und geschmackvoll zu erscheinen, aber nicht länger auf Kosten meiner eigenen Bequemlichkeit. Mit Bauarbeitern – sofern sie mich bemerken – flirte ich genauso gern wie früher, sogar enthemmter, denn es geht um absolut nichts. Doch allgemein biete ich Männern keine verführerische Weiblichkeit im Tausch gegen Komplimente mehr an und stelle fest, dass dabei eine Menge Energie frei wird. Es hebt sich außerdem ein Schleier, und ich sehe heute viel eher den Menschen als sein Geschlecht. Davon abgesehen gibt ja so viele interessante Frauen in meinem Alter, nach denen ich mich lange Zeit nicht umgesehen habe! Die lerne ich nun nach und nach alle kennen. Außerdem bin ich wie viele meiner Geschlechtsgenossinnen über sechzig hilfsbereit und engagiere mich für andere. Liebe und Zuspruch finde ich bei Freundinnen, Nachbarn und bei meinem Hund.
Ungeachtet dessen werde ich einen Gefährten weiter vermissen. Aber die alleinstehenden, älteren Herren sind selber schuld, wenn sie ein Prachtexemplar wie mich nicht in Erwägung ziehen. Meinem Hund kommt das sehr zupass: Der belegt jetzt den Schlafplatz in meinem Bett, den ich ihm lange verwehrt habe.
Gabriele Bärtels
Und nun, Weitsicht für die Ohren!
Songs der Erkenntnis, Einsicht und Erleuchtung. Zusammengestellt von Michaela Gerganoff