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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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My Tipsy Glasses

Alkohol? Unbedingt. Und das gut bebrillt. Silke Burmester lernt das stilvolle Trinken

Kaum reist Frau Burmester mit der Zeitmaschine in die frühen 90er, sieht sie aus wie Tina Turners Schwester. Nicht zu sehen: das entsetzliche Gequäke von Chris de Burg Artwork: Brigitta Jahn



Einmal Blau, bitte!

Ich glaube, ich kenne die falschen Leute. Man solle, so stand in der Einladung, in dem dominierenden Klamottentrend der Zeit gekleidet sein, in der man Abitur gemacht hat.
Nicht nur, dass ich offensichtlich auf der Einladungsliste einer versnobten Bildungselite stehe, die nicht weiß, dass die Gesellschaft von Arbeiter*innen und Bäuer*innen ohne Hochschulreife zusammengehalten wird, nein, sie ist auch bereit, ihre Gäste dem optischen Fiasko vergangener Jahrzehnte zu überlassen.
Wenn ich doch auch die einzige sein werde, deren Abitur erst 30 statt 40 Jahre zurückliegt, so bin ich doch die einzige, deren Abitur in die Jahre kurz nach dem Mauerfall fällt – und das bedeutet: Jeans. Also, schlimme Jeans.
70er-Jahre Jeans sind natürlich der Knaller. Aber 80er sind auch schon schlimm. Schlimm-schlimm aber sind die 90er und so ist es kein Wunder, dass ich gar nicht toll aussehe, sondern wie die weiße Schwester von Tina Turner auf Placebo.

Das Schicklsa meinte es gut mit mir und schickte mich aufs Wirtschaftsgymnasium St. Pauli

Zunächst gefiel mir die Idee der Einladung sehr. Denn: Dieser Tage ist mein Abitur 30 Jahre her und das ist ein unbedingter Grund, sich dieser schönen Tage zu erinnern. Hä?, wird die verehrte Leser*innenschaft jetzt denken, ist die erst 48?, ich dachte, sie wäre 56! Und ja, das bin ich, ich war 26 als ich mein Abiturzeugnis entgegennahm.
Sagen wir es mal so, ich hatte die Jahre zuvor anderes gemacht. Nichts mit Abschluss, aber vieles mit guter Absicht. Mit Anfang 20 und der Erkenntnis, dass meine Entsprechung die der Journalistin ist, hat mich das Schicksal auf das Wirtschaftsgymnasium St. Pauli gespült, und da hatte das Schicksal es mal richtig gut mit mir gemeint. Irgendwann, so denke ich ab und zu, schreib ich das mal auf, denn unser Gemisch aus Gestrandeten, Sozialhilfeempfängern, St. Pauli-Hafenstraßen-Besetzer*innen und Blankeneser Unternehmer-Brut, deren letzte Aussicht auf den Abschluss diese Schule war, weil sie für andere zu dumm war oder den Internatsbrunnen unter Strom gesetzt hatte, und Lehrer*innen, die gerade aus Nicaragua zurückgekehrt waren, wo sie mit Schüler*innen eine Schule errichtet hatten, birgt beträchtliches Unterhaltungspotential.

Jetzt aber erstmal zurück in die Tage meines Abschlusses, 1992 und der Herausforderung, dem Jeanslook die passende Brille zu verpassen, denn wenn ich mich auch noch in eine Jeansjacke quetschen kann, die ich mir mit 25 gekauft habe, so verlangen meine Augen doch nach Anpassung.
Die Optikerin meines Vertrauens und ich gehen dieses Mal nach der Farbe, denn das Modell „Yoko“ der in Kopenhagen ansässigen Brillenmanufaktur Orgreen steht für einen hippiesken Friedens- und Aktivismusanspruch, der, zumindest im Deutschland in den Ausdünstungen der Wiedervereinigung, scheißegal war.
Überhaupt war ja vieles scheißegal, anders ist es nicht zu erklären, dass Chris de Burg und Chris Rea in dieser Zeit große Karriere machten. Und Jennifer Rush. Oder eben Tina Turner, von der man unter emanzipatorischen Gesichtspunkten den Hut ziehen kann, was aber nicht darüber hinweghilft, dass sie in den 90ern scheußliche Musik gemacht hat und ein schlimmes Styling hatte. Und nun ich.

Blue Curacao als eskapistische Ausflucht aus dem Dunkel des Kalten Krieges

Da hilft nur eines: ich muss das Desaster durch einen passenden Drink in den Status einer Gesamtkomposition erheben. Ich brauch´ was Blaues. Ich kreische Betty förmlich an. Betty Kupsa, die Barfrau, die es geschickt versteht, Wünsche, Träume, Sehnsüchte durch gekonntes Mischen rauschversprechender Tinkturen für einen Moment in die Gegenwart zu holen – und die immer eine Idee hat. Betty, bodenständige Österreicherin und allenfalls durch die Wiedereinführung der Monarchie zu erschüttern, bleibt gelassen. „Da mix ich Dir was für die wilde Seite vom Abiball – based on the 80s!“, sagt sie, denn in diesem ästhetisch gesehen ja auch sehr herausfordernden Jahrzehnt, hatte Blue Curacao als eskapistische Ausflucht aus den trüben Tagen des Kalten Krieges West-Deutschland quasi erobert. Also Blue Curacao statt eines Orangenlikörs gewählt und schwuppsdi, hat Madame einen herrlich sommerlich zitrusfrischen Cocktail parat, der meinen Auftritt – ganz im Sinne Yoko Onos – zu einem Gesamtkunstwerk macht. Und mich durch den Mix von Wodka und Zitrone an etwas erinnert, das ich komplett vergessen hatte: Saure. Wir tranken damals Saure. In jedem Laden, den man damals beim Ausgehen auf St. Pauli ansteuerte, gab es Saure. Zwei Mark. Im Gun Club, im Pudel, im Sorgenbrecher, im After Shave. Und das war das Geile dieser Zeit: nachts traf man sich am Tresen, morgens saß man bei Herrn Dahmer im Englisch-LK. Ja, es gibt viel zu erzählen.


So mischt die Betty

Lemon Drop
mit Blue Curacao Dive
6 cl Vodka
1 cl Zuckersirup
3cl Zitronensaft

0,5cl Blue Curacao
Zuckerrand

Vodka, Zuckersirup und Zitronensaft kräftig shaken und in einer Schale mit Zuckerrand vorsichtig abseihen.
Zum Schluss Blue Curacao vorsichtig dazugeben, dass er absinkt

Für den Rand: Glasrand mit Zitronensaft einreiben und in flache Schale mit Zucker tauchen.
Tipp: Bunter Zucker rockt extra!

The Chug Club heißt die Bar von Betty Kupsa. Betty wurde mit und ohne Bar ausgezeichnet, mit Lorbeer behängt und über den grünen Klee gelobt. Für uns und die Frage, „Welcher Drink passt zur Brille?“, ist Betty ein Geschenk, denn sie hat eine irre Gabe: Sie schmeckt quasi im Kopf vor und schüttet dann zusammen, was bis dahin getrennt war. Jetzt hat sie mit „Lupita“ ihre eigene Margarita-Linie kreiert, die natürlich alsbald im Palais-F*luxx-Shop erhältlich ist.
www.thechugclub.bar

Bellevue Dort, wo Hamburgs Innenstadt am Schicksten ist, hat Karin Stehr ihr Geschäft für exklusive Brillenmanufakturen. Eine Brille ist hier nicht das Gestell, das die notwendigen Gläser hält, sondern ein Designobjekt, über dessen Entstehung, Hintergrund und Material die Mitarbeiter*innen ALLES wissen. Vor allem aber haben sie einen Faible für Gewagtes, da sind wir gerade richtig!

Pia Norberg ist eine Maskenbildnerin für die große Bühne. Ob die Ruhrtriennale, Musikvideos oder das Maskenkonzept für große Shows wie der der Aida-Kreuzfahrtschiffe – von der Stirnlocke bis zum Ziegenbart, vom Lidstrich bis zum blauen Auge kreiert Pia Erscheinungswelten. Ja, und jetzt auch Silkes Erscheinungswelt.

Und für alle, die jetzt neugierig geworden sind, was es mit Silkes „Das geheime Tagebuch der Carla Bruni“ auf sich hat, hier die Infos

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