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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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Macht doch, was ihr wollt!

Jeden zweiten Mittwoch stellen wir Euch eine Frau vor, die ihr Leben umgekrempelt hat
oder mittendrin ist in der Veränderung

Heute: Vera Sprengkamp

Endlich die Musik so laut aufdrehen, bis die Wände wackeln: Vera Sprengkamp
Foto: Markus Dömer

Und Cut! Vera ist es gewohnt, immer für andere da zu sein, frauentypisch bis zur Selbstaufgabe … fast! Vor wenigen Monaten hat es ihr gereicht. Sie hat Mann und Bude verlassen. Ab jetzt heißt es nur noch: „Was will Vera?“

Name: Vera Sprengkamp
Alter: 53 Jahre
Beruf: Designerin und Kunsttherapeutin
Wohnt in: im Landkreis Osnabrück
Motto: Das Leben ist wunderbar bunt, Du kannst alles schaffen

Was beschäftigt Dich zurzeit am meisten?
Zum ersten Mal in meinem Leben genieße ich den Luxus, mich nur um mich und meine Belange kümmern zu dürfen. Es gibt keine familiäre Situation, keinen Mann an meiner Seite, keine Hunde – obgleich immer sehr geliebt –, die mich zeitlich und örtlich binden. Jetzt lebe ich meinen Rhythmus und gebe mir Freiraum.

Wie sieht das konkret aus?
Ich entscheide, was ich brauche und will: Ich stehe super früh auf, genieße die Stille oder drehe auch mal die Musik laut auf, wie und wann es mir passt. Im Grunde also Kleinigkeiten, aber wichtige.

Wie kam es zu dieser Neuaufstellung?
Da muss ich etwas ausholen, denn die Vorgeschichte gehört dazu: 1993 hatte ich unverschuldet einen schweren Verkehrsunfall; seitdem bin ich chronische Schmerzpatientin. Trotz allem habe ich in den Folgejahren versucht, meinen erlernten Beruf in der Design- und Werbebranche weiter auszuüben – ich war ja noch in meinen Zwanzigern. Es war ein bitterer Prozess, in dem ich langsam einsehen musste, dass ich mein Leben von Grund auf umstellen musste, denn nicht nur die Dauerschmerzen waren eine Belastung. Auch Beruf und Ehrenamt waren nicht mehr leistbar, meine Beziehung ging in die Brüche, Freunde und Familie konnten mein permanentes Leiden nicht nachvollziehen.

… und das in einem Alter, in dem man eigentlich voll durchstarten will.
Exakt! Reha, Schmerztherapie, Physiotherapien, Verfahren gegen die gegnerische Haftpflichtversicherung … so hatte ich mir mein Leben nicht vorgestellt. Dazu die permanente Sorge, mich nicht mehr finanziell über Wasser halten zu können. Was mir geholfen hat: Im Jahr 2003 habe ich ein Kunsttherapie-Studium begonnen und den Abschluss mitten in meinem Scheidungsverfahren absolviert.

War’s das dann mit den Männern?
Mein Talent, nach Rückschlägen immer wieder aufzustehen, gilt auch für Männer. 2007 kam ein neuer Mann in mein Leben, mit dem ich fast 15 Jahre zusammenblieb. Er war Tanzsporttrainer und gemeinsam haben wir diverse Tanzkreise aufgebaut und ehrenamtlich betreut. Dann kam die Pandemie – und in einer Krise zeigt sich leider oft, wie jemand wirklich tickt: In den Tanzkreisen gab es plötzlich Querdenker, die die verordneten Lockdown-Regeln nicht akzeptieren wollten, und auch in meiner Beziehung zeigte sich, dass unsere Wertvorstellungen weit auseinanderdrifteten. Ehrlichkeit – auch sich selbst gegenüber –, Empathie und Authentizität stehen ganz oben auf meiner Agenda und ich brauche niemanden an meiner Seite, der das komplett anders sieht. Anfang 2022 habe ich den Neuanfang gewagt: allein, mit eigener Wohnung und in einer anderen Stadt.

Würdest Du Deinen Umgang mit Krisen als pragmatisch bezeichnen?
Ich reflektiere viel, bespreche mich mit Menschen, die mir nah sind, und versuche immer, mich weiterzuentwickeln. Aber klar, ich bin’s gewohnt anzupacken! Wenn jemand in Not ist, bin ich zur Stelle; so auch während der Flutkatastrophe im Ahrtal, wo ich als Ersthelferin, ohne groß zu überlegen, bei Freunden von Freunden mitgeholfen habe. Vielleicht liegt’s an den vielen Krisen, die ich schon durchgestanden habe, dass ich immer relativ schnell weiß, was zu tun ist. Die Hände einfach in den Schoß zu legen, liegt mir jedenfalls nicht.

Was treibt Dich immer wieder an?
Meine Lebensfreude. Meine Neugier. Meine Werte.

Auf was kannst Du locker verzichten?
Was ich absolut nicht gebrauchen kann, sind altes Rollendenken und Passivität. Und mit mir kann man ehrlich sein und Tacheles reden, aber mit „so tun, als ob“ kann ich nichts anfangen. Will ich auch nicht mehr. Mittlerweile kann ich auch konsequent Nein und Stopp sagen.

Wie empfindest Du Deine derzeitige Lebensphase?
Ich empfinde sie als Geschenk. Ich bin mir endlich glasklar bewusst, was mir wichtig ist und wie ich mir mein Leben vorstelle. Ich fühle mich befreit und kann nach Jahren auftanken – gesundheitlich und seelisch. Ich lasse mich von Kunst inspirieren; auch meine Arbeit mit Menschen mit körperlich-geistigen Beeinträchtigungen füllt mich aus, ich fotografiere, koche und male gern.

Was möchtest Du in diesem Leben unbedingt noch machen?
Mehr reisen, länger an fremden Orten bleiben, meine Freunde in Südtirol und Lissabon besuchen, Reiten lernen, mit einem Therapiehund arbeiten und noch vieles mehr …

Und Dein Rat an Frauen, denen es ähnlich geht und die sich neu aufstellen müssen?
Habt Vertrauen und Mut, denn Ihr könnt viel mehr schaffen, als Ihr denkt. Sucht Euch Unterstützung und Begleitung auf Eurem Weg – und kommuniziert es, wenn Ihr Hilfe braucht.

Vielen Dank!

Das Interview führte Gerlind Hector, die exakt zwei Tage älter ist als Vera. Die beiden teilen Alter, Sternzeichen und sogar Geburtsort und Gewicht. Den heimlichen Titel „Queen of Ehrenamt“ darf aber nur Vera tragen: von Kunst- und Kulturverein über Kindertanzen und Frauengruppe für Geflüchtete bis hin zur Assistentin des leitenden Notarztes im Landkreis etc. Ihre zupackende Art hat sich Vera zum Glück bewahrt, merkt aber inzwischen, wann ihr Akku wieder aufgeladen werden muss.


Vera Sprengkamp auf Instagram

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