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Palais F*luxx

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Lesen oder Lassen

Buchbesprechung: „Das Paradies ist weiblich“

Worum geht es?
Um die Frage: Lebt es sich im Matriarchat besser – ist das Patriarchat wirklich so schlecht, dass wir es abschaffen sollten? Und die Frage: Wie sähe die Welt aus, wenn Frauen nicht nur das Sagen, sondern das Denken und Sehen übernehmen würden? Herausgeberin Tanja Raich hat eine Sammlung von 20 Autor*innentexten herausgebracht, deren Bandbreite an Visionen und Ist-Zuständen nicht vielfältiger sein könnte.

Warum sollte ich das lesen?
Ich wurde neugierig, als ich den Untertitel las: „20 Einladungen in eine Welt, in der Frauen das Sagen haben“, und dachte: Mal sehen, ob ich alle 20 annehmen würde.

Denn es laden nicht nur Frauen* ein, sondern auch sechs Männer, und das ist gut so. Denn wir wollen ja schließlich alle gemeinsam im Paradies leben, nicht wahr? Auch wenn es weiblich „geführt“ wird, müssen wir an die Reproduktion und an Arbeitskräfte denken. Und zu erfahren, wie Männer sich das weibliche Paradies vorstellen, lohnt sich ebenfalls.

So bildet diese Sammlung unglaublich interessante, kluge, gezeichnete – ja, ein Cartoon ist dabei – und wahrlich unterhaltsame Gedanken zum Matriarchat ab.

Warum sollte es mich interessieren?
Weil es frau auf den Gedanken bringt, sich Gedanken zu machen. Über das Leben unter Frauen. Über die Fragen: Was würde ich als erstes abschaffen/erneuern, wie würden wir politisch regiert werden, oder auch: Sind Frauen die besseren Männer? Verschwinden Rassismus, Kapitalismus und Ausgrenzung, wenn wir friedliebenden, familiendenkenden Wesen das Sagen hätten? Hierzu gibt es zum Beispiel den Cartoon des Zeichners Nicolas Mahler, in dem eine Verlegerin einen 49-jährigen Autor auflaufen lässt. Klar sind die Worte der Frau die, die heute in der Regel ein Mann sagt. Die Figur muss einiges über sich ergehen lassen – wie Anspielungen auf Aussehen und Alter. In wenigen Bildern stellt sich der Lesenden die Frage: Das ist ein weibliches Paradies? Und es wird vor Augen geführt, was leider noch an der Tagesordnung ist – umgekehrt natürlich.

Oder die Erzählung von Kübra Gümüşay, die verdeutlicht, wie frau sich ihren paradiesisch ausgemalten Zustand selbst verbaut – oder ist es möglich, dass die Frau „männlich“ denkt und handelt? Da wäre noch der sehr erheiternde Einblick von Gertraud Klemm in die Biologie. Sie macht nicht nur an Seepferdchen und Clownsfischen das Thema Patriarchat versus Matriarchat in der Tierwelt deutlich. Und lässt dabei auch nicht die Tierfiguren im Kinderfernsehen und Zeichentrickfilmen außer Acht. Ich muss nicht alle 20 Einladungen annehmen, doch ich kann sagen: Wie gut, dass es sie gibt, denn durch ihre Vielfalt wird jede*r in dieser Anthologie fündig und neben aller Ernsthaftigkeit auch wunderbar unterhalten.

Kostprobe (Gertraud Klemm, Der feuchte Traum):
Bei meiner ersten Recherche auf der Suche nach matriarchalen Tieren stoße ich auf einen Beitrag über Zebramangusten. Dort haben „Weibchen […] das Sagen, was sie auch in vielerlei Hinsicht ausnutzen“. Bei den Tüpfelhyänen klingt das so: „Bei diesen Tieren sind Männchen zum lebenslangen Schleimen verdammt.“ Und weiter: „Das ranghöchste Männchen hat weniger zu sagen als das rangniederste Weibchen. Seit mehr als einhundert Jahren rätseln Biologen über Gründe dafür.“

Sapperlot! Was ist das für eine Sprache?, frage ich mich. Wenn Weibchen, die gar nicht sprechen können, das Sagen haben, verrät uns das mehr über die Urängste des Autors als über die Biologie der Tiere. Die Sprache der Berichterstattung entlarvt die patriarchalen Ängste und deckt das misogyne Unbehagen auf, das der Autor mit matriarchalen Systemen hat, oder, sagen wir: mit allem, was nicht patriarchal ist.“

Tanja Raich (Hg.): „Das Paradies ist weiblich – 20 Einladungen in eine Welt, in der Frauen das Sagen haben“,
Kein & Aber, 2. Auflage, 256 Seiten, 24 Euro. Hier bestellen

Rezension: Simone Glöckler

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