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Palais F*luxx

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Lasst uns übers Sterben reden

Gyde Greta Cold weiß: Über Ängste und Trauer ins Gespräch zu kommen, macht nicht nur das Sterben leichter – sondern auch das Leben

Wenn ich Menschen unter 40 erzähle, dass ich Trauerrednerin bin, gucken sie schnell weg und wechseln sofort das Thema. Mit Sterben und Tod möchten sie definitiv nichts zu tun haben. Jetzt nicht und überhaupt am liebsten nie. Die Furcht steht ihnen ins Gesicht geschrieben, allein der Gedanke an ein Ende des Lebens könnte sofort tödlich auf sie wirken. Sterben, das ist doch dieses Grausige für Alte, naja ältere Menschen. Oder?

Das Corona-Virus hat die Endlichkeit des Lebens in das kollektive Bewusstsein zurückgebracht: Alle mussten nun zur Kenntnis nehmen, dass es den Tod gibt. In unvorstellbar großem Maße erschien er weltweit und nahm in manchen Regionen auch viele junge Menschen mit sich. Die Sterbeverteilung in Deutschland hingegen bestätigt eher das bekannte Bild: Überwiegend ältere und vorerkrankte Menschen starben und sterben im Zusammenhang mit dem Virus. Somit bleibt der Tod für viele gedanklich noch in weiterer Ferne.

Wir sehen den Tod überall auf der Welt und sind überrascht, wenn er bei uns auftaucht

Bei Menschen um die 50 ist die Reaktion auf meinen Beruf ganz anders, sie sind erstaunt und erfreut, dass da jemand ist, der sich mit diesem, aus dem Leben ausgeklammerten, Thema auskennt und mit dem sie über ihre Erfahrungen sprechen können – über die starken Emotionen, die das Sterben oder der plötzliche Tod von geliebten Menschen in uns auslösen. Denn spätestens ab jetzt wird auch diese Altersgruppe, also wir, mit dem Tod konfrontiert. Nicht nur unsere alten Eltern und unsere geliebten Onkel oder Tanten sterben, nein, auch unsere Freunde nimmt er zu sich: Immer mehr Gleichaltrige reißt er über Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder den Krebs an sich.

Wir sollten uns also mit dem Tod beschäftigen, je früher und bewusster, desto besser – für uns und für unsere Liebsten, die den Weg vor uns gehen müssen. Unsere Angst vor dem Tod ist so groß, weil zum einen uns allen die Toten des Zweiten Weltkriegs in der DNA sitzen und wir sie verdrängen, aus dem Leben aussondern wollen, und zum anderen, weil unsere Gefühle täglich überschwemmt werden von medialen Meldungen und Bildern zahlreicher unschuldiger Toter, die abrupt einem Krieg, einem Unfall oder einem Attentat zum Opfer gefallen sind. Dieses hinterhältige, sinnlose und zu frühe Sterben ist aber nicht die Normalität.

Über das normale, durch Zivilisationskrankheiten oder einfach aufgrund des fortgeschrittenen Alters verursachte Sterben wird zu wenig gesprochen, und es wird zu wenig gezeigt. Die meisten Menschen sterben nach einer langen Krankheit. Sie selbst und ihre Angehörigen haben also Zeit, sich auf den Tod vorzubereiten. In aller Ruhe und mit aller Liebe und dem größten Bewusstsein, das sie und das wir aufbringen können. Unsere Angst, unsere Liebsten und unser Leben haben es verdient.
Wenn wir uns mitten im Leben mit der Bitternis des Todes beschäftigen, kann er seinen Schrecken verlieren und unser Leben reicher machen.

Meine Mutter ist gestorben – jetzt gibt es keine Generation mehr als Puffer zwischen ihm und mir

Bis vor ein paar Jahren konnte auch ich den Tod ziemlich gut ignorieren. Dann aber kam er in einem Jahr so geballt an mich und mein Innerstes heran, dass ich zwangsläufig lernen musste, ihn zu akzeptieren. Meinen alleinstehenden Onkel Jürgen ließ ein Herzinfarkt zusammensacken und nach einer Reanimation lag er zwei Wochen im Koma, bis sich endlich irgendjemand in dem Krankenhaus bemüßigt fühlte, nach Verwandten zu suchen. Seine Schwester und ich besuchten ihn und erlaubten, die lebenserhaltende Beatmung abzuschalten. Andreas war mit 47 an Speiseröhrenkrebs erkrankt. Eva-Anna, meine Künstler-Freundin, hatte Darmkrebs und verwandelte sich innerhalb weniger Monate von einer schönen Frau zu einem bis auf die Knochen abgemagerten, gelbhäutigen Wesen des Todes. Unfassbar.
Und zuletzt schlief meine 90-jährige demente Mutter in ihrem Bett im Pflegeheim einfach ein. Friedlich und so jung wie 20 Jahre zuvor sah sie aus.

Tja, da war sie, die Gewissheit des Todes. Nach dem Tod meiner Mutter, mein Vater war schon vor 30 Jahren gestorben, waren meine Schwester und ich plötzlich die Ältesten in unserer Kern-Familie. Ups, die nächsten, die der Tod treffen würde – wären also wir. Da gibt es keine Generation mehr als Puffer zwischen uns und ihm. Kein Schutzschild, das wir vor uns schieben könnten. Außer unsere Aufgabe, auf uns zu achten, für unsere körperliche und seelische Gesundheit zu sorgen, damit der Sensenmann nicht so bald kommt.

Es war hart und ich brauchte zwölf Monate, um diese Abschiede zu verarbeiten. Ein Jahr, in dem ich mich mehr betäubt als präsent fühlte. Als der Schmerz langsam abebbte, merkte ich, wie bereichernd diese Erfahrungen gewesen waren. Sie haben meine phasenweisen Depressionen gestoppt, ich habe begriffen, wie kostbar jeder Tag ist, ich bin lebendiger geworden, bin klarer und folge dem, was mir wichtig ist und wofür ich meine Kraft und mein Herz einsetzen möchte. Ich machte eine Ausbildung zur Trauerrednerin, weitere Fortbildungen; jetzt zur Trauerbegleiterin und seitdem bin ich ständig mit dem Thema im Kontakt – ohne ein Trauerkloß zu sein. Im Gegenteil, den Tod zu akzeptieren, brachte mir Leichtigkeit. Denn das Schlimmste, wovor ich viele Jahre Angst hatte – der Tod meiner Mutter –, war nun geschehen. Den Tod habe ich als unausweichliche Tatsache angenommen und er ist Teil meines Lebens geworden.

In vielen Gesprächen erlebe ich, dass in den meisten Familien niemand sich bewusst und im Gespräch auf Sterben, Tod und den Abschied voneinander vorbereitet. Die Absurdität ist groß: Auf dem Sterbebett darf partout nicht über das offensichtlich bevorstehende Sterben und das Ende des Lebens gesprochen werden. Aus gegenseitiger Rücksichtnahme und weil das Wort die Hoffnung auf Genesung zerstören könnte, entmündigen sich viele Menschen selbst und ihre Angehörigen gleich mit. Lieber stellt man sich starr und stumm – anstatt die Kraft  zu nutzen, die in der befreienden Klarheit liegt, den letzten wesentlichen Prozessen ins Auge zu schauen, sie zu besprechen, dadurch die Ängste zu verringern und sich voneinander verabschieden zu können.

Eine kleine Übung zur Annäherung an das schwierige Thema

Sich in der Vorstellung durch Reflexion und Gedankenspiele vorzubereiten, diese Schritte mit mir zu gehen, lade ich euch herzlich ein. In den kommenden Monaten können wir uns zusammen dem Sterben gedanklich und emotional behutsam annähern. Die erste Übung ist schlicht, sie träufelt uns die Erfahrung der Vergänglichkeit tropfenweise ein: Stell dir einen schönen Blumenstrauß auf den Tisch und betrachte ihn täglich ausgiebig: Wie leuchten seine Farben, wie sind die Blätter geschnitten, wie zart duften die Blüten? Und wenn er seine pralle Pracht verloren hat, lass ihn noch eine oder zwei Wochen lang stehen, lass das Vergängliche auf dich wirken. Das klingt banal, aber Tag für Tag beobachten wir die Veränderungen, den Zerfall. Die Vergänglichkeit nagt an jedem Blattrand und Stängel – und so auch an uns. Die Zeit vergeht, unser Leben vergeht, wir sind Teil des Kreislaufes der Natur, des Werdens und Vergehens.

Mitten im Leben kann uns der Tod durcheinanderrütteln und wenn wir unsere Einzelteile wiedergefunden haben, stellen wir fest, dass er uns aufgerüttelt, aufgeweckt und zu einem wacheren Leben verholfen hat. Er gibt uns die Chance, überall genauer hinzusehen, unsere Gefühle deutlicher wahrzunehmen und klarer zu entscheiden, denn wir haben begriffen, dass auch unsere Zeit auf Erden begrenzt ist. Sie läuft ab. Morgen könnte dein letzter Tag sein. Oder der letzte eines deiner Lieblingsmenschen. Eine schreckliche und zugleich anspornende Vorstellung.

Bei Fragen melde Dich gerne: kontakt@trauerrede-cold.de

Gyde Greta Cold ist als Journalistin bereits ihrem Interesse für Menschen und ihrer Liebe zum Wort nachgegangen. Als Trauerrednerin vereint sie beides, indem sie Abschiedsfeiern verwirklicht und als Trauerbegleiterin Trost spendet. Gydes Homepage

Wenn Du in seelischer Not bist und Hilfe brauchst, wende Dich bitte an eine der folgenden Adressen:

Bundesweit:

– Telefonseelsorge:  0800/1110111 oder  0800/1110222 www.telefonseelsorge.de
– Bundesweit tätige Trauerbegleitung findest Du hier:
www.bv-trauerbegleitung.de/angebote-fuer-trauern/hier-finden-sie-unsere-trauerbegleiterinnen/
– Deutschlandweites Info-Telefon Depression: 0800 33 44 5 33 (kostenfrei) www.deutsche-depressionshilfe.de
– Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (DGS): Adressen von helfenden Einrichtungen, Ansprechpartner nach
– Bundesländern geordnet, Tagungen, Hintergrundinformationen zu Suizidalität www.suizidprophylaxe.de

In Hamburg:

– Inge Krause, Systemische Therapeutin und Trauerbegleiterin:  www.inge-krause.de Tel. 0157/77333552
– Lebens- und Sterbeammen Nadine Beyer und Heike Vetter:  www.sterbeammen-netzwerk.de  Tel. 04151/83 44 110

Foto: Lucy Joy/Unsplash

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