Jeden Monat veröffentlichen wir ein Gedicht der Lyrikerin Julia Mantel. In den Versen der Frankfurterin geht es um Frauen, ums Fühlen und um die Fallen des Lebens. Wir lieben die Kraft und die Zartheit, die Julia Mantel in ihren Werken versprüht und die sie einzigartig machen.
Der Radius
um Dich
konnte
in der Schule
mit dem Zirkel
gerade noch
gezogen werden
Über die
Jahre ist
er enger
geworden
als schnürte
er meinem Hals
die Luft ab
Fluchtpunkte
Bezugspunkte
befinden sich
nicht hinter
dem Horizont
geht’s weiter
Heute
hinter mir
meine Ellenbogen
dabei auf die
Tischkante
des Heimatortes gestützt
meine mir
aufgebaute
erreichte
aber wohl
unter diesen
Blicken
nichtssagende
Lebensrealität:
alles was
mir lieb
& teuer wurde
beim Erwachsenwerden
Mit jedem
verzogenen
abwehrenden
& abwertenden
Mundwinkel
bringst Du sie
zum Einstürzen
als wäre sie
ein luftiges Kartenhaus
Dein Haus aber
ist kein Kartenhaus
die Mauern
fest aus Beton
absurderweise
für mich
immer noch
Sicherheit
verstrahlend,
ungewohnt
Als käme
die Hetze
& Anstrengung
der letzten Jahre
überfällig
zur Ruhe
beinahe als Falle
Ist es ein
Kampf gegen
Windmühlen?
Sind meine
Erfahrungen
unsichtbar
oder doch
in Stein gemeißelt?
Machte
diese Skulptur
dann wenigstens
eine gute Figur?
Würden
Vorwürfe damit
verworfen?
Lieber Maler,
male mir:
Gaslighting
leuchtete
zu keiner Zeit
nach Hause.
Julia Mantel, geboren 1974 in Ffm, Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg. Seit 2000 Konzentration auf Lyrik. 2005 Gründung des Konzeptlabels »Unvermittelbar«
Publikation von vier Lyrikbänden: new poems (2008), dreh mich nicht um (2011), Der Bäcker gibt mir das Brot auch so (2018) und Wenn du eigentlich denkst, die Karibik steht Dir zu (2021).
Gründungsmitglied des Frankfurter Lyrikkollektivs „Salon Fluchtentier“, Vize-Vorsitzende des Hessischen Schriftstellerverbands (VS). Lebt als Lyrikerin, Strickkünstlerin & Allroundjobberin in Frankfurt am Main.
Foto: ©Nina Werth