Marion Taube: „Die Kinder von Torremolinos“ von James A. Michener
Das erste „moderne“ Buch, das ich mich erinnere, gelesen zu haben, ist eines, das ich in genau diesem Bewusstsein las, weil mich bis dato alte Schinken und Schmachtlappen begeistert hatten. Wir reden über James A. Micheners „Die Kinder von Torremolinos“. Für mich war das damals 1977 mit 14 Jahren harte Hippie-Kost. Fast etwas Verbotenes, so wie Rauchen auf dem Mädchenklo im Ursulinenkloster. Weil in dem Buch die beeindruckend ein paar Jährchen älteren und vor allem die Andersdenkenden, zu denen man ja unbedingt hinstrebte, ihr Leben lebten. Die Wege ganz verschiedener Typen und Pärchen kreuzen sich in dem Buch immer wieder im südspanischen Szene-Hotspot Torremolinos, und ich ging diese mir völlig fremden, aber faszinierenden Lebensrouten Seite für Seite mit. Man wanderte tatsächlich quer durch Europa, Amerika, Israel und Nordafrika, weil spätestens in Tanger oder Marrakesch zum Beispiel Kriegsdienstverweigerer zu ihrem Recht kamen. Oder Michener ließ seine „Kinder“ anderswo in der Welt als freiheitsliebende und immer nach Liebe hungernde Freaks vagabundieren. Ein großes, herrlich freies und verstörendes Panoptikum schillernder junger Menschen, allesamt Persönlichkeiten. Im Grunde auch ein vorweg genommenes EINEWELT-Szenario, rückblickend.
Ich habe das Buch nie wieder gelesen, musste es auch nicht. Es war literarisch kein erschütternd übergroßes Buch. Das empfand ich schon damals. Es hatte etwas durchaus Angeschmöcktes, fast zu „Billiges“ im besten Sinne, es las sich leicht. Ich hatte gerade Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ aus Opas Regal gelesen; da war Michener fast zu easy, bei allem heavy Flowerpowersein. Aber sein Buch hatte eben diesen Flow eines großen Versprechens von Jugend und ewiger Freiheit. Ich habe mir mein ganzes Leben den letzten Satz des Pärchens aus Schweden oder Norwegen oder Dänemark gemerkt und ihn so viele Male für mich und später bei Lebensweh für meine Söhne aus dem Hut gezaubert, wie ein bewährtes Hausmittelchen der Großmutter gegen allerlei Herzeleid. Dieses Pärchen, das es sich mit viel Mühe und zu meiner großen Bewunderung einrichtete, ein halbes Jahr zuhause und ein halbes Jahr in Torremolinos zu wohnen, so als skandinavisch-spanisches Lebensmodell, sagt den entscheidenden Satz. Sie, deren Namen ich nicht erinnere, sagt, ich glaube zu ihrem Vater in Schweden oder Norwegen oder Dänemark: „Man muss trachten, seine Träume zu verwirklichen, um zu erkennen, was sie wirklich wert sind.“
Seither laufe ich mit diesem Anspruch ans Leben durch die Welt. Zumindest trachte ich, es muss ja nicht ein jeder Traum gleich wahr werden, auf dass er sich auf seinen Gehalt prüfen ließe. Aber trachten, ja, da liegt Kraft drin. Das ist so wie das Umsetzen ersehnen. Die Sehnsucht nach den Träumen aufrecht zu erhalten, darum geht es. „Die Kinder von Torremolinos“ haben das tief in meinem Herzen versenkt, und ich meinen Kindern in die ihren.
Marion Taube, 57 Jahre, lebt in Dorsten, hat viele schöne Kunstprojekte mit ihrem Label FREITAUBE initiiert und begleitet, macht jetzt mal kurz nichts mehr außer Lesen und Joggen und den Garten bestellen, ja und ab und zu das Haus feudeln.