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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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Das Jahr in einem Wort

Julia Karnick hat auf ihrer Facebook-Seite Frauen aufgefordert, das vergangene Jahr mit einem Wort auf den Punkt zu bringen. Sieben der Wörter hat sie ausgewählt, um die Geschichten dahinter zu erzählen. Hier sind sie, jeden Tag eine.

Evelyn Keiling, 67, Verwaltungsangestellte in Rente

An meinem allerletzten Arbeitstag haben meine Kolleginnen und Kollegen gesagt: „Deine Lache wird uns fehlen!“. Ich lache laut und viel und bin eine, die auch gerne umarmt und Bussis gibt. Dass man auf das alles verzichten muss, das drückt mich nicht total nieder, aber setzt mir schon zu. Anders als viele andere bin ich zwar nicht einsam. Ich habe meinen Mann und gehe öfter mal spazieren mit Nachbarinnen oder ehemaligen Kolleginnen. Aber mit Abstand und Maske kann man sich nur noch mit den Augen anlächeln. Das wirklich Warme und Herzliche fehlt total.

Wenn wir Besuch haben, tackere ich meine Mann am Sofa fest

Meine leibliche Tochter lebt in England, die habe ich schon ein Jahr nicht mehr gesehen. Letztes Weihnachten war sie bei uns zu Besuch, am 27. Dezember 2019 habe ich sie das letzte Mal in den Arm genommen, da ist sie wieder abgereist. Mein Mann ist lungenkrank, ich fahre ihn zu seinen Arztterminen, ansonsten darf der nicht mehr aus dem Haus. Wenn wir doch mal Besuch haben, tackere ich ihn auf dem Sofa fest. Niemand darf ihm näher kommen als drei Meter. 
Er hat drei Töchter, vier Enkel und seit Ostern auch einen Urenkel, die sehen wir seit Corona so gut wie nie. Nur seinen 80. Geburtstag im Oktober, den haben wir alle zusammen gefeiert, aber ohne jede Berührung. Alles andere wäre zu gefährlich, auch für meine älteste Stieftochter, die schweres Asthma hat. Und die beiden anderen arbeiten in Arztpraxen, da müssen wir sehr vorsichtig sein. Auch dieses Weihnachten werden mein Mann und ich zu zweit verbringen, ohne unsere Familie.  

An unserem 20. Hochzeitstag haben wir uns nochmal kirchlich trauen lassen

Wir haben uns vor 30 Jahren kennengelernt, nach meiner zweiten Scheidung. Zuerst wollte ich keine dritte Ehe, erst nach sieben Jahren war ich bereit dazu. Im Juni 1997 haben wir standesamtlich geheiratet, heimlich. Vier Monate später wurde bei meinem Mann Krebs diagnostiziert. Es sah nicht gut aus. Wir dachten, es gäbe keinen ersten Hochzeitstag für uns. Aber er hat überlebt. Sieben Jahre später ist er am nächsten Krebs erkrankt, und 2011, wieder sieben Jahre später, hat er einen Schlaganfall erlitten. Darum habe ich vor 2018 richtig Angst gehabt, zum Glück ist da aber nichts Schlimmes passiert. Trotzdem, der Tod war für uns oft etwas sehr Nahes. Dass wir schon so viele Jahre miteinander erleben durften, dafür sind wir sehr dankbar. Deshalb haben wir uns 2017, an unserem zwanzigsten Hochzeitstag, auch noch kirchlich trauen lassen.       

2020 also Corona. Mich bedrückt die Situation auch wegen der wirtschaftlichen Folgen, die ja vor allem die jüngeren Generationen treffen. Wir dagegen sind privilegiert, da sind mein Mann und ich uns einig. Als Rentner haben wir keine Existenzsorgen. Wir wohnen auch nicht beengt und müssen uns weder um alte Eltern noch um kleine Kinder kümmern. Ich habe meine Tochter selbst jahrelang ohne Vater großgezogen, ich weiß genau: Die Alleinerziehenden haben es jetzt furchtbar schwer, die tun mir sehr leid. Wir dagegen müssen ja nur auf uns selbst aufpassen.

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