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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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Lesen oder lassen?

Buchbesprechung: „Unsere Stimmen bei Nacht“

Worum geht es
Die Kinder sind aus dem Haus und die Kosten für das Haus hoch, da entschließen sich Gloria und Herbert Zimmer in ihrer Villa in Berlin unterzuvermieten. Neben dem Akademiker Gregor und seiner Tochter Alissa wohnt noch der Student Jay bei dem Ehepaar. Wenig später mietet sich Lou ein und alle Zimmer sind wieder mit Leben erfüllt. Und was eigentlich nur eine Zweckgemeinschaft sein soll, entwickelt sich zu einer Mehr-Generationen-WG im Südwesten der Hauptstadt – mit allem, was dazugehört.

Wie ist es geschrieben?
Wohltuend unaufgeregt schildert Franziska Fischer das Zusammenleben dieser sechs Personen. Sie findet die richtigen Worte für große Gefühle, ohne schmalzig zu werden und die keineswegs erdrücken. Wir sitzen mittendrin, vielleicht im Treppenhaus und beobachten. Trinken dabei auch Tee und lauschen den Unterhaltungen. Die Gedanken und Worte der Protagonist*innen gehen fließend ineinander über und zeichnen ein schön unkitschiges Bild des Zusammenlebens verschiedener Generationen. Hinzu kommt noch gut dosierter Witz, der keinerlei konstruierte, aberwitzige Situationen benötigt.

Was kann es?
Bestens unterhalten. Ruhig, feinsinnig, leichtfüßig, dabei kurzweilig und mit Tiefe. Da wäre Alissa – Teenager und noch nicht Herrin über ihre Gefühle: Wir ahnen die noch andauernde Pubertät, werden damit jedoch nicht ausgiebig genervt und müssen keine allseits bekannten Streitereien aushalten, sondern mit Andeutungen und wenigen Worten schafft Franziska Fischer es, viel hineinzuschreiben. Nie trägt sie dick auf, um Atmosphäre zu erzeugen. Und wir können uns an einigen Stellen wiedererkennen – ob als Teenager, junge oder ältere Frau, Fischer trifft die Sprache der jeweiligen Generation.

Was hat das mit mir zu tun?
So stelle ich mir das Wohnen im Alter vor – ihr wisst schon, dann, wenn es so weit ist. Mit allem, was an Freuden und Problemen dazugehört. Die Bereitschaft, sich jederzeit mit jedermann und -frau an den Tisch zu setzen und über Alles und Nichts, gern auch Unsinniges, zu reden, zu schweigen – einfach nebeneinander zu sein. Dazu bitte einen Garten vor der Tür.

Autorin
Franziska Fischer studierte Germanistik und Spanische Philologie. Nach einem Aufenthalt im Ausland lebt die gebürtige Berlinerin wieder in Deutschland und arbeitet als Lektorin und Autorin. Zuletzt erschien 2022 der Bestseller „In den Wäldern der Biber“.

Kostprobe
„Herbert?“, sagte Gloria.
Er blickte auf. Wenn sie seinen Namen als Frage aussprach, folgte meistens nichts Gutes. Wahrscheinlich schlug sie gleich etwas Verrücktes vor, zwei Wochen Urlaub in der Toskana zum Beispiel.
„Dieses Leben, das wir hatten … in dem Haus hier, mit den Kindern, mit meiner Mutter und dann ohne sie, war das das Leben, das du dir früher vorgestellt hast?“
Was war das denn für eine Frage? Er wartete darauf, dass sie anfing zu lachen oder sonst wie ihren Scherz als solchen zu erkennen zu geben, doch Gloria lachte nicht. Vollkommen ausdruckslos tauchte sie den Löffel in ihre Suppe.
„Ich habe mir kein Leben vorgestellt“, antwortete er.
„Das glaube ich nicht. Wir haben uns doch alle irgendetwas ausgemalt, als wir jung waren. Du musst doch eine Vorstellung davon gehabt haben, wie du leben willst und wo, wie deine Familie aussehen soll, was für einen Beruf du haben willst.“
„Das weißt du doch alles“, sagte er.
[…]
„Ja“, sagte Gloria, das wusste sie tatsächlich noch. „Aber wir haben nie darüber gesprochen, wie viele Kinder du haben willst. Oder ob überhaupt welche.“ […]

„Natürlich wollte ich Kinder.“ Das Gespräch verursachte ein unangenehmes Kribbeln auf Herberts Armen. Wohin wollte sie denn damit? Vielleicht wünschte sie sich einen Hund.
Das konnte sein. Gloria wählte manchmal sehr lange und umständliche Einleitungen, bis sie zum eigentlichen Gesprächsthema fand. „Ich will keinen Hund“, sagte Herbert deshalb. Besser, er stellte diese Tatsache rechtzeitig klar.
„Einen Hund? Wie kommst du auf einen Hund?“

Franziska Fischer: „Unsere Stimmen bei Nacht“, DuMont Buchverlag, 300 Seiten, 23 Euro
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Rezension: Simone Glöckler

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