Wir setzen die Idee fort, dass Künstlerinnen unserer F*luxx Galerie andere Künstlerinnen vorschlagen. Dieses Mal folgen wir der Empfehlung von Katrin Pieczonka und stellen mit großer Freude Vivian Kahra vor. In der Kunst der Freiburgerin spielt der Moment eine zentrale Rolle. Manchmal muss sie dafür zum Cutter greifen und das Bild zerschneiden.
Wie spürst Du, dass Du mit einer Arbeit richtig liegst?
Wenn ich sie lange, still betrachte und sie sich dabei anfühlt, wie ein Teil von mir. Dann ist sie richtig.
Manche Künstler:innen sagen, ihre Arbeit sei körperlich anstrengend. Wie ist das bei Dir?
Erst nach dem Arbeiten spüre ich, dass es körperlich und geistig anstrengend war. Ich empfinde dies aber als wohltuend – ähnlich der Ausgeglichenheit, die ich nach 1.000 Meter schwimmen spüre, einer Skitour oberhalb der Baumgrenze oder drei Stunden Gartenarbeit.
Wo genau spürst Du den Schmerz?
Welchen Schmerz?
Wenn die Arbeit nicht vorangeht, wenn sich nicht das einstellt, was Dir vorschwebt, was machst Du dann?
Dann entsteht eine Art von Schmerz. Ohne diesen Schmerz könnte ich nicht die Harmonie und Leichtigkeit in meinen Bildern ausdrücken. Über die Jahre habe ich erfahren, dass meine Bilder sehr langsam entstehen. Zwischen den Bildern muss meist einige Zeit vergehen, bis ein Neues gemalt oder gezeichnet werden möchte. Diese Zeit strengt mich sehr an. Ich denke dann über Bilder nach, beobachte meine Umwelt, speichere viele Bilder, die ich irgendwo ‚finde‘ auf meinen Laptop.
Ich habe gelernt, ruhig zu bleiben und zu warten, bis es sich leicht anfühlt. Das Geheimnis liegt im (Los-)Lassen. Das gelingt mir unter anderem durch lange Waldwanderungen mit meinem Hund – je höher wir gehen, desto freier werden die Gedanken. Außerdem gehe ich hier in Freiburg gern mit meinem Surfboard auf einem See paddeln oder ich gehe Wingfoilen. Im Winter wandere ich mit Skiern. Still in der Bewegung und dabei in der Natur sein, ist für mein Leben essenziell und Teil des Malprozesses.
Verstehe. Deshalb machen viele deiner Menschen in den Bildern Sport. Weil du aus der Bewegung den Moment herausziehen möchtest?
Genau: Bewegung und Spiel ist gleich Veränderung und Gelassenheit ist gleich Leben und Akzeptanz. Oft nehme ich auch Stills aus einem Video oder Reel als Inspiration für ein Bild. Der Screenshot ist ja so etwas wie die Pausentaste. Ich schaue mir die bewegten Bilder immer wieder an und mache viele Screenshots, bis ich dann den richtigen Moment gefunden habe, aus dem ich mein Bild wachsen lassen kann.
Deine Farb- und Formensprache wirkt zart und zerbrechlich. So, als würden die Menschen in deinen Bilder der Welt vorsichtig begegnen. Wie würdest Du Dein Sujet beschreiben?
In meinen Bildern begegnen die Figuren sich selbst. Diese Momente sind sehr wertvoll, aber eben auch fragil und vergänglich – oft übersehen wir solche Momente, finde ich. Der Raum gehört in meinen Bildern zur Figur. Sie choreographiert ihn über ihre körperlichen Grenzen hinaus. Der Farbauftrag, dick-dünn, hell-dunkel, kühl-warm, richtet sich danach, was die jeweilige Situation erfordert oder was die Figur ‚einfordert‘. Ich betrachte das Bild immer sehr lange, bevor ich den nächsten Farbauftrag mache. Wir sprechen sozusagen miteinander.
In einem Interview sagtest du, Dich interessiere, „wann ein Moment dauert“. War das ein Missverständnis? Meintest Du, wie lang ein Moment dauert?
Nein. Ich meine wirklich, wann. Ich versuche es anders auszudrücken: Wann nehmen wir eine Situation als eine Art Zeitdehnung wahr? Welche Situationen sind das im Alltag? Meiner Ansicht nach ist jeder Moment, jede Handlung im Leben gleich wichtig. Wenn ich male, male ich und wenn ich die Wäsche aufhänge, dann hänge ich die Wäsche auf. Beides hat den gleichen Wert. Wichtig ist, dass wir diese Handlungen im Jetzt wahrnehmen. Für mich entsteht durch diese Art zu leben ein recht angstfreier Blick auf alles, was kommen mag. Denn ich handle mit all meiner Energie so, wie es der Moment erfordert. Und das macht mich zufrieden. Aus dieser Haltung heraus wähle ich unterbewusst mein jeweils nächstes Sujet für ein Bild.
Bild links: Her Way, 2024, Acryl und Öl auf Leinwand, 80x60cm; Bild rechts: Pink Moment with Red Horse, 2024, Öl auf Leinwand, 120x100cm
Ich stelle es mir schwierig vor, den Übergang zwischen dem Momenthaften und einer abgeschlossenen Situation künstlerisch nicht zu verpassen. Wann merkst du, dass deine Arbeit fertig ist?
Ja, das stimmt. Als ich noch jünger war, habe ich die Skizzenhaftigkeit eher als fertiges Bild stehenlassen können. Inzwischen verpasse ich öfter mal den Übergang und male mich fest und stehe dann vor der Herausforderung das Bild wieder zu öffnen. Wenn dies malerisch nicht funktioniert, zerschneide ich es mit dem Cutter. Auch dabei gehe ich bewusst und ruhig vor.
Manchmal muss nur ein Teil herausgeschnitten werden und das Bild funktioniert wieder in seiner Momenthaftigkeit. Andere Bilder zerschneide ich komplett, Teile mit interessanten Malstrukturen hebe ich auf. Irgendwann hole ich sie wieder hervor und integriere sie in neue Bilder – das sind Collagen auf Leinwand. Die Bilder bekommen durch die Schichten eine neue Tiefe und behalten gleichzeitig ihre spielerische Offenheit.
Je älter ich werde, desto mehr Erfahrungen fließen in meine Malerei ein – parallel zum Leben. Ich empfinde das als Entwicklung. Entwicklung ist Veränderung … und da kommt auch schon Deine nächste Frage:
Es kann auch bedeuten, das Unfertige anzustreben. Wie siehst du das?
Ich glaube, wir müssen das Unfertige gar nicht anstreben, weil es nichts Fertiges gibt. Wir Menschen sind lediglich Teil eines Prozesses – nicht mehr und nicht weniger. Das empfinde ich als angenehm und schön.
Twist, 2021, Acryl und Öl auf Leinwand, 120x100cm
Jetzt muss ich dich einfach fragen: Lebst du nach den Lehren des Buddhismus?
Nein, damit kenne ich mich nicht aus. Ich hatte mit 29 Jahren eine recht schwierige Operation, die ich nach einigem Hin-und Her gut überstanden habe. Seitdem hat es Klick gemacht.
Die Personen, die du malst, sind oft jung oder kommen aus anderen Kulturen. Manche tragen einen Hijab, es gibt Skateboarderinnen oder Surferinnen. Wie kommt es dazu?
Ich habe zwölf Jahre in der New Yorker Gegend verbracht, meine Kinder sind dort geboren und aufgewachsen. Wir haben in einem multikulturellen Alltag gelebt. In der Grundschule werden jüdische, christliche, islamische Feste gefeiert. Vielleicht stoße ich bei den Betrachter:innen meiner Bilder eine erweiterte Wahrnehmung und Reflexion an.
Die jüngeren Menschen male ich, weil ich die kontrastreichen Lebenswelten von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen wahnsinnig interessant finde: Es ist die Zeit größter Veränderungen und emotionalen Auf und Abs, eine Zeit, in absolute Aussagen neben zerstörerischen Zweifeln stehen. Ich finde es spannend aus dieser bewegenden Zeit, Momente kraftspendenden Friedens oder Harmonie mit sich selbst herauszuarbeiten.
Gibt es in Bezug auf Deine Arbeit ein Versäumnis, das Du bereust?
Naja, wann hat man etwas versäumt? Es kann ja noch kommen!
Wenn Du keine Künstlerin wärst, was wärst du dann geworden?
Es ist gut so wie es ist.
Vivian Kahra, 1971 in Braunschweig geboren, begann in ihrer Heimatstadt ein Kunsterziehung-Studium an der Hochschule für Bildende Künste und schloss dies an der Christian-Albrechts Universität Kiel ab. Im Anschluss studierte sie Freie Malerei an der Muthesius Kunstschule in Kiel. Nach einem Aufenthalt in Nyack/New York lebt und arbeitet die 53-Jährige in Freiburg. Seit 2024 ist sie Lehrbeauftragte für Malerei am Institut der Bildenden Künste der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Weitere Infos findet ihr auf ihrer Website.
Ab 27. April 2025 werden die Bilder von Vivian Kahra im Kunstverein Kirchzarten bei Freiburg zu sehen sein.
© Foto: privat
Kuratorin der F*luxx Galerie ist Anette Frisch, sie hat auch das Interview geführt.