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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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Dieses scheiß Geld

Das Leben war mal ganz normal. Heute sammelt Gudrun Theissen die Centstücke zusammen, wenn sie einkaufen muss. Altersarmut. Für fast ein Fünftel der Rentnerinnen auch ganz normal.

Wenn jede Münze zählt, hört der Selbstwert auf zu zählen
Foto: Josh Apple, unsplash



Im Auto liegen noch Parkgroschen, es sind 3 Euro 20. Zusammen mit den 80 Cent aus meinem Portemonnaie macht das 4 Euro, meine letzte Barschaft. Das Problem ist: Die Milch ist alle, der Joghurt für mein Müsli fehlt, für ein warmes Essen habe ich nichts im Kühlschrank, und eine avisierte Überweisung von 107 Euro kommt und kommt nicht.

Seit Tagen prüfe ich alle halbe Stunde meinen Kontostand. Es sind noch 20 Euro drauf, aber die können schnell von einer Lastschrift aufgesogen werden. Bargeldlos einkaufen zu gehen, traue ich mich nicht mehr, denn ich möchte nicht mit steifen Lippen an der Kasse stehen und hören, wie das System piept, weil meine Karte nicht akzeptiert wurde. Milch, Joghurt und Abendessen müsste ich bei der Kassiererin lassen, und wir beide würden angestrengt so tun, als wäre nichts.

Mir fällt ein, dass ich noch drei leere Pfandflaschen habe, macht 4 Euro 75. Wenn diese verdammte Überweisung nicht kommt, muss das über Wochen reichen, und das funktioniert natürlich nicht. Mein Puls geht schneller.

Ich wage außerdem nicht mehr, mit dem Auto zu fahren, denn das Benzin reicht höchstens noch bis zur nächsten Tankstelle. Es darf mir nichts passieren. Meine Brille darf nicht runterfallen, mein PC sich nicht mit einem Virus verseuchen, und ich darf auch keine Schmerzen kriegen, weil ich mir die 6 Euro für den Bus zum Arzt gerade nicht leisten kann.

Anpumpen möchte ich niemanden, dafür schäme ich mich viel zu sehr, trotzdem gehe ich im Kopf durch, wen ich aller notfalls fragen kann, ob er mir aushilft, doch die bekannten und vertrauten Gesichter, die vor meinem Auge auftauchen, streiche ich alle durch. Die meisten von ihnen haben keine Ahnung, wie knapp ich ständig über der Kante hänge. Sie sehen eine gepflegte, ältere Frau, die sich engagiert für nachbarschaftliche Projekte einsetzt. Ich möchte nicht, dass sie denken: die Arme!

Die Furcht vor dem Totalaus durchzieht meine Tage mit Schleimfäden. Ich kann mich nicht konzentrieren, außer auf den Gedanken an Geld. Ständig rechne ich Kleinstsummen zusammen. 10 Euro würden schon reichen, um mich ein wenig sicherer zu fühlen, aber die paar Aktien, die ich mal als Vorsorge gekauft hatte, sind längst mit Verlust verkauft. Es gibt keine Quelle mehr, die ich anzapfen könnte. Gestern habe ich in einem Kleinanzeigenportal einen Wollpullover eingestellt – für ein Fünftel dessen, was er mal gekostet hat. Dann ist mir siedend heiß eingefallen, dass ich die Versandkosten vorfinanzieren muss und dies meinen Kontostand unter die rote Linie bringen könnte.

Ich lebe von 400 Euro Rente und Bürgergeld. Dazuverdienen darf ich 100 Euro. Von diesen maximalen 550 Euro, die ich im Monat zur Verfügung habe, gehen schon mal 50 Euro für Strom und 35 Euro für Internet ab. Die Zahnversicherung, die ich neu abgeschlossen habe, weil sie 100 Prozent aller Zahnersatzkosten übernimmt, kostet 64 Euro im Monat. Das kann ich mir natürlich nicht leisten.

Aber ohne Zahnversicherung werde ich bald keine Zähne mehr haben, und das finde ich würdelos, denn mein Gesicht wird dadurch einfallen, ich werde nur noch nuscheln können und nichts mehr kauen, müsste mein Essen fortan pürieren, jahrzehntelang. Auch eine Gleitsichtbrille gehört nicht zum Existenzminimum, obwohl im Alter alle Augen genauso schlecht werden wie alle Zähne. Der Staat zahlt nur eine bifokale Brille, denn es macht ja nichts, wenn ein Rentner nicht ordentlich sieht und Nackenschmerzen bekommt, weil er ständig den Kopf auf und ab bewegen muss, um von einem Sichtbereich in den anderen zu wechseln.

Wieder schaue ich auf mein Bankkonto. Die 100 Euro sind nicht eingegangen. Aber eine Abbuchung ist vorgemerkt: 12 Euro für meine E-Book-Leseflatrate. Wenn ich die kündigen muss, kann ich nichts mehr lesen. Wie soll ich einschlafen ohne Buch?

Neulich ist meine Daunendecke kaputtgegangen. Sie war so alt, dass sich die Nähte auflösten. Überall drangen Federn heraus, büschelweise ballten sie sich unter meinem Bett. Ich zog zwei Bezüge über die Decke, doch es half nichts. Wochenlang musste ich warten, bis ich eine neue kaufen konnte, zweite Wahl natürlich.

Macht ein Privatsender Werbung für ein Telefongewinnspiel, dann starre ich lange auf die fünfstellige Preissumme und fühle mich in meiner Fantasie entfesselt. Ein paarmal gab ich meinen Träumen nach und verschickte tatsächlich eine SMS mit dem dämlichen Lösungswort. Von dem fünfstelligen Gewinn könnte ich jahrelang leben. Zuerst würde ich im Supermarkt alles einkaufen, was in der Küche fehlt, und im Vorbeigehen ein paar exotische Gewürze mitnehmen. Oder einen Blumenstrauß. Oder beides. Erst an der Kasse würde ich wissen, was ich zu zahlen habe, denn ich hätte nicht mitrechnen müssen. Dann würde ich durch das Internet gondeln und mir was Schönes zum Anziehen bestellen. Schließlich würde ich spüren, wie meine innere Unruhe weicht und es in meinem Hirn still wird. Ich könnte mal wieder eine Freundin anrufen und sie sogar zum Essen einladen. Keine innere Panik würde mich vom Stuhl reißen, weil ich an nichts anderes denken kann als an das Scheißgeld, das ich nicht habe. Ich trinke den Kaffee schwarz, und er schmeckt fürchterlich bitter.

In den Nachrichten lese ich, wie Elon Musk mit der Erdkugel spielt. Ich bin damit beschäftigt, in meinen Jackentaschen nach mehr Kleingeld zu suchen.


Gudrun Theissen heißt anders. Weil sie eine namhafte Journalistin ist, haben wir ihren Namen geändert. Wenn Euch ihr Text berührt oder ihr denkt, sie schreibt so toll, sie sollte Geld dafür bekommen, dann könnt Ihr welches überweisen. Das Stichwort ist „Gutes Geld“, wir leiten es an sie weiter.
Gern auch per paypal

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