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Palais F*luxx

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Das Recht auf Entschädigung

Seit dem 1. Januar können Menschen, die Gewalttaten erlitten, eine Entschädigung beantragen. Wibke Kastner hat von diesem Recht Gebrauch gemacht. Mit diesem Text möchte sie andere ermutigen, ihr gleichzutun

In der Jugend verletzt, jetzt entschädigt – die mit dem neuen Gesetz verbundenen Kompensationen könnten das Leben der Autorin im Alter sichern. Illustration: KI

Am 1. Januar dieses Jahres meldete die Tagesschau, dass ein neues Gesetz in Kraft getreten ist. Gewöhnlich bleiben solche Nachrichten nicht lange bei mir hängen, aber diesmal saß ich augenblicklich auf der Sofakante, denn das neue Soziale Entschädigungsrecht ging mich praktisch alles an.

Und weil ich gewiss nicht die einzige Frau bin, die in ihrem Leben folgenschwere tätliche Angriffe ertragen musste, möchte ich diese Information unbedingt mit euch teilen, denn es ist bedauerlicherweise ziemlich unbekannt, dass der Staat uns Opfern unter Umständen eine monatliche Entschädigung zahlt.

Also: Ihr Frauen, die Ihr missbraucht wurdet oder häusliche Gewalt erfahren musstet, ob in Partnerschaft oder Kindheit – schaut Euch dieses Gesetz näher an! Habt Ihr körperliche oder seelische Schäden davongetragen, die Euch im Alltag beeinträchtigen, dann könnte ein positiver Bescheid Eures zuständigen Versorgungsamtes eine sehr hilfreiche Krücke sein. Für mich persönlich wäre er schlicht die Rettung vor Altersarmut.

Die Gewalt, die ich erlebte, reicht mehr als ein halbes Jahrhundert zurück, sie dauerte meine Kindheit und Jugend an. In unserer Familie herrschte ein cholerischer Vater, der jederzeit zu rauschhaften Prügelexzessen fähig war.

Weiter ausführen möchte ich das hier nicht, aber eins ist sicher: Ich startete mit einem seelischen Mühlstein um den Hals ins Leben: Posttraumatische Belastungsstörungen, schwerste soziale Ängste, Bulimie, Kleptomanie, Depression. Mein Leben habe ich damit verbracht zu verstehen, was mit mir los war, um einigermaßen durchzukommen. In Sicherheit war ich nie, einsam fast immer. Für eine anständige Rente haben meine beruflichen Anstrengungen nicht gereicht. Niemand sah es mir an, doch ich saß innerlich in einem Rollstuhl.

Neu ist seit diesem Jahr, dass die Entschädigungszahlungen erhöht und die Beweisführung erleichtert wurden.

Auch nach dem bisherigen Opferentschädigungsgesetz (OEG), das nun abgeschafft wurde, hätte ich bereits Entschädigung beantragen können, aber ich wusste davon nichts. Zudem krankte dieses OEG daran, dass viel zu wenige Opfer davon profitierten. Neu ist seit diesem Jahr, dass die Entschädigungszahlungen erhöht und die Beweisführung erleichtert wurden.

Am 2. Januar reichte ich meinen Antrag ein. Ich erhielt das erste Aktenzeichen dieses neuen Gesetzes. Ein Fallmanager wurde mir zur Seite gestellt, der mich durch den Antragsprozess begleiten soll und jederzeit für mich ansprechbar ist. Tatsächlich antwortet er auf Mails binnen eines Tages.

Nach dem ersten Gespräch, das ich mit ihm hatte, wurde mir klar, dass dieses Verfahren keine Lustwandelei sein wird. Ihr müsst Eure Gewaltgeschichte ja darlegen, und ihr werdet merken, dass die Haut über der seelischen Wunde dünn ist. Die Gefahr von Retraumatisierungen soll durch das Angebot einer Trauma-Ambulanz vermindert werden. Sofern es Zeugen gibt, werden diese befragt, und Gerichtsakten werden herangezogen.

Erst, wenn das Amt zu dem Schluss gekommen ist, dass Eure Angaben höchstwahrscheinlich wahr sind, wird geprüft, wie groß die individuellen Schädigungsfolgen sind. Hier werden auch Therapeuten aus Eurer Vergangenheit kontaktiert, eventuell gibt es ein Gutachten.

Eine monatliche Entschädigungszahlung von 400 Euro wird ab einem „Grad der Schädigung“ von 30 (analog zur Schwerbeschädigung bis 100) gezahlt. Bei einem Schädigungsgrad von 50 sind dies schon 800 steuerfreie und nirgends  auch beim Sozialamt nicht  anrechenbare Euro. Hinzu kommt ein monatlicher Berufsschadenausgleich in Form von Rentenpunkten. Das kann sich erheblich auswirken! Besteht außerdem Bedarf an Therapie, einem Auto, Umzug, so bietet das neue Gesetz nun für alles Hilfen.

Bisher zog sich der ganze Prozess bis zu einem Jahr hin. Mit dem neuen Gesetz soll schneller entschieden werden. Wie meine Aussichten sind, kann ich derzeit kaum beurteilen.

Mein Fallmanager wird mir raten, mir nicht zu große Hoffnungen zu machen, was ich außerordentlich schwierig finde, denn es geht schließlich um meine Alterssicherung.

Mein Antrag ist mittlerweile drei Monate alt und ich habe keine Ahnung, wie der Bearbeitungsstand ist. Nächste Woche werde ich mich wieder bei meinem Fallmanager erkundigen und er wird mich wieder um Geduld bitten. Er wird mir raten, mir nicht zu große Hoffnungen zu machen, was ich außerordentlich schwierig finde, denn es geht schließlich um meine Alterssicherung.

Ich wäre nicht die Erste, die nach Monaten des Bangens einen negativen Bescheid in der Hand hält. In der Vergangenheit wurden die meisten Anträge abgelehnt. Ob sich dies mit dem neuen Gesetz ändert, kann derzeit wohl keiner voraussagen.

Trotzdem wäre ich schön blöd, wenn ich es nicht versuchen würde. Und genau das ist der Rat, den ich jedem von Euch Gewaltopfern geben möchte!


Wibke Kastner heißt anders. Weil sie eine namhafte Journalistin ist, haben wir ihren Namen geändert. Der Weiße Ring berät Opfer von Gewalttaten; die PDF-Broschüre des Bundesministerium für Arbeit und Soziales informiert zum Sozialen Entschädigungsgesetz.

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