Olaf Scholz wurde zum Bundeskanzler ernannt – ein Anlass für uns, auf ein sehr besonderes Buch über Angela Merkel hinzuweisen
Es ist das fotografische Porträt Angela Merkels über die Dauer von 30 Jahren durch Herlinde Koelbl. Herlinde Koelbl, 82 Jahre alt, ist eine der bekanntesten und renommiertesten Fotografinnen Deutschlands. Immer wieder hat sie sich in ihrer Arbeit der Beziehung von Macht und Mensch gewidmet und uns zu zeigen versucht, wie sich Macht darstellt und was sich hinter ihr verbirgt.
Das Buch ist seit Mitte November auf dem Markt und mit seinem Erscheinen ist Herlinde Koelbl ein Coup gelungen. Nämlich der, heimlich, still und leise Angela Merkel über die Dauer von 30 Jahren fast jedes Jahr fotografiert zu haben. Ganz schlicht, vor Weiß, ohne Requisiten, Möbel oder erkennbaren Räumlichkeiten. Entsprechend potenzreich haben die Medien – weltweit – reagiert und die Klügsten der Klugen haben erhellende Texte zu der Veröffentlichung verfasst.
Auch wir wollten was Tolles bieten und hatten eine ganze Weile lang die Hoffnung, ein Interview mit Herlinde Koelbl zu bekommen. Außerdem hatten wir uns eine Frau gesucht, die als ehemals mächtige Berliner Medienfrau das Polit-Geschunkel ebenso kennt, wie ihr die Netzwerke der Mächtigen und auch die der mächtigen Frauen aus Politik und Wirtschaft bekannt sind. Sie hatte ihre Lust erklärt, uns einen Text zu dem Buch zu schreiben – und es dann leider nicht getan.
So sind wir etwas spät dran, wenn wir euch das Buch heute vorstellen, und wir haben auch nichts Kluges dazu. Wir können nur versuchen, euer Interesse für diese außergewöhnliche Arbeit zu wecken, die quasi eine Gesichts-Chronik liefert von der ersten Frau, die dieses Land regiert hat, und ihren 16 Amtsjahren. Neben Fotos enthält das 2,7 Kilo schwere Buchquadrat auch Interviews von Herlinde Koelbl mit Angela Merkel und Fremdtexte, u.a. vom Kenner des politischen Berlins, dem Politikjournalisten der Süddeutschen Zeitung, Nico Fried.
Und weil kein kluger Text kam, der meine Gedanken hätte bündeln und lenken können, sind sie auf Reisen gegangen und haben sich vorgestellt, wie es so gewesen sein könnte, wenn Angela Merkel und Herlinde Koelbl Jahr für Jahr zusammenkamen, um ein Foto von der Kanzlerin zu machen:
„Schön, Frau Merkel, dass Sie da sind! Gut sehen Sie aus!“
„Ja danke. Ich freue mich auch, dass wir es geschafft haben. Und dass es schon wieder ein Jahr her sein soll – mir kommt es vor, als wäre es gerade erst gewesen, dass wir uns gesehen haben. Geht es Ihnen gut?“
„Ja danke. Viel zu tun. Aber das kennen Sie ja!
Sollen wir gleich loslegen? Ihr Büro sagte, dass Sie nur 20 Minuten Zeit hätten.“
„Ja, wir haben gleich noch eine Abstimmung. Soll ich mich hier hinstellen?“
Stellt sich mittig vor den weißen Hintergrund, der in einem Konferenzraum des Kanzleramtes aufgezogen wurde.
„Können Sie sich bitte noch etwas weiter nach links stellen, Frau Merkel!“
„Links? Muss das sein? Das wird mir doch gleich wieder politisch ausgelegt.“
„Man wird es nicht sehen. Sie stehen ja vor Weiß. Ist auch nur ein kleiner Schritt. Ich habe Ihnen das Marlene-Licht gesetzt. Dafür müssten Sie bitte einen kleinen Schritt nach links gehen.“
„Marlene? Was für eine Marlene?!“
„Marlene Dietrich.“
„Sehe ich dann aus, als hätte man mir die Backenzähne gezogen?!“
„Nein! Aber es macht Sie etwas kantiger.“
„Wie, etwas kantiger!?“
„Na, etwas angriffslustiger. Weniger wie eine Landesmutter.“
„Ich?! Angriffslustiger?! Ich weiß, das hätten die Jungs gern! Dass ich mich mit denen wie eine Affenhorde um die Macht balge. Nein, das möchte ich nicht. Ich möchte ein Clara Zetkin-Licht.“
„Ein Clara Zetkin-Licht?!“
„Na, ostiges Licht. Eines, das Klarheit und Pragmatismus ausstrahlt.“
„Aber das werden Sie ausstrahlen!“
„Wenn ich aussehe wie Marlene Dietrich?! Was kommt als nächstes? Dass ich ‚Lilli Marleen‘ singe?“
„Na, die ist ja eher bekannt für ‚Sag mir, wo die Blumen sind‘.“
„Na, das wüsste ich auch gern!“
„Was?“
„Wo die Blumen sind!“
Herlinde Koelbl hat begonnen, an den Scheinwerfern rumzufummeln und sie neu auszurichten.
„Sagen Sie, wenn Frauen das Marlene-Licht bekommen, damit sie aggressiver wirken, was bekommen dann die Männer? Auch Marlene?“
„Sie werden staunen, manche ja. Der Kubicki etwa. Andere bestehen auf den Putin-Filter.“
„Den Putin-Filter?!“
„Ja. Viel Fläche, keine Falten.“
„Wer?“
„Der Schröder etwa. Den habe ich jahrelang mit dem Putin-Filter abgelichtet. Oder auch den Seehofer. Stoiber. Koch. Der Merz hat jetzt auch danach gefragt.“
„Na, das sind mir die Richtigen! Das sind genau die Pappenheimer, die mir am Kessel flicken wollen. Das wollen wir doch mal sehen!
Also ich will das Clara-Zetkin-Licht. Keine Diskussion!“
Und, damit sich hier keiner aufregt: Herlinde Koelbl hat Angela Merkel über die Jahre mit dem gleichen Licht, einem weichen, leicht von der Seite kommenden Licht, fotografiert. Auch ist nicht bekannt, dass sie sich von den zu porträtierenden Personen sagen lassen würde, wie diese zu erscheinen haben.
Silke Burmester
Herlinde Koelbl
Angela Merkel
Porträts 1991 – 2021
TASCHEN Hardcover
30 x 30 cm
2,68 kg
248 Seiten, 50 Euro
taschen.com
Foto: Bundesregierung/ Steffen Kugler